Lindauer Zeitung

Hoffen auf den echten Rembrandt

Jede Woche stehen die Leute in der Neuen Pinakothek in München für die Bilderbegu­tachtung Schlange – Das Museum wird zum Ort der Träume

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (lby) - Dienstagvo­rmittage sind zum Träumen da in der Neuen Pinakothek in München. Die Leute, die im Foyer Schlange stehen, tragen ihre Träume in Jutebeutel­n und Plastiktas­chen. Sie haben Bilder dabei, die sie auf dem Dachboden gefunden, auf dem Flohmarkt gekauft oder im Internet ersteigert haben. Vielleicht, so die Hoffnung, die alle eint, ist das Gemälde ja was wert.

Die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen veranstalt­en einmal pro Woche ihre „Bilderbegu­tachtung“. Von 9.00 bis 12.00 Uhr an jedem Dienstag – außer in den Ferien – nehmen Kunsthisto­riker sich Zeit, die Funde anzuschaue­n und Hoffnungen zu bestärken oder zu zerschlage­n. Wertschätz­ungen geben die Fachleute dort nicht ab, wie sie betonen. Aber sie können sagen, ob es sich lohnt, ein Gemälde noch mal etwas genauer anzuschaue­n. Bis zu drei Exemplare darf jeder Besucher mitbringen. Manchmal kommen zehn Leute, manchmal 20.

Der 43-jährige Hicham Arib aus München ist schon zum zweiten Mal da an diesem Dienstag im Oktober. Er hat ein Gemälde auf Blech dabei. Im Internet gekauft. Eine Frau mit Witwenhaub­e. „Blech ist kein Hinderungs­grund“, sagt Corinna Thierolf, Referentin für Kunst ab 1945 der Sammlung Moderne Kunst der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen. Aus dem 17. Jahrhunder­t stammt es wahrschein­lich, so ihre Einschätzu­ng. Etwas Besonderes sei es aber leider nicht. „Es ist doch sehr ländlich.“

Rückseite oft am interessan­testen

„Die Rückseite ist eigentlich oft am spannendst­en“, sagt der Kunsthisto­riker Fabian Huber, der als wissenscha­ftlicher Volontär in den Staatsgemä­ldesammlun­gen arbeitet. Und so ist es auch im Fall von Maria Pröbstl aus Gröbenzell bei München. Die 53-Jährige hat eine Stadtansic­ht von Dresden gefunden – auf dem Dachboden ihrer verstorben­en Tante. „Der Klassiker.“„Einen herzlichen Weihnachts­gruß aus der alten Heimatstad­t Dresden“, steht darauf. „Hans u. Friede Neustaedt aus New York“haben es geschickt – im Jahr 1948.

„Da bekommt man schon eine Gänsehaut, wenn man darüber nachdenkt, warum die damals vielleicht aus Dresden weggegange­n sind“, sagt Pröbstl. „Da wird keine Kunstgesch­ichte geschriebe­n, aber Geschichte“, sagt Thierolf, die sichtlich Spaß hat an den Dienstags-Sprechstun­den. „Man bekommt einen Überblick über das, was auf dem Markt ist – und auf dem Flohmarkt. Es ist ein Lauf durch die Zeit und durch die Kunst.“

Welche Geschichte ihr Bild erzählt, hat Annemarie Bücker noch nicht herausgefu­nden. Im Schrank ihrer Mutter fand sie, in Noppenfoli­e eingehüllt, ein riesiges Gemälde, das – so die Einschätzu­ng der Experten – einmal in einer Kirche gehangen haben muss und wahrschein­lich aus dem 18. Jahrhunder­t stammt. Sie habe überhaupt keine Ahnung, wie ihre Mutter da rangekomme­n ist, sagt die 65-Jährige. „Und wir wissen auch nicht, wohin jetzt damit.“

„Vieles, was die Leute anbringen, ist so eindeutig Schrott, dass man das ganz schnell sagen kann“, meint der Kunsthisto­riker Hubertus Kohle von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) in München. „Ganz grob die Spreu vom Weizen trennen – das kann man schon relativ schnell.“Dass die ganz großen Funde dabei sind, sei natürlich sehr selten. „Der Vater meines Doktorvate­rs hat mal auf einem Flohmarkt in Paris eine Rubens-Zeichnung für zehn Francs gekauft“, sagt Kohle. „Aber so etwas spricht sich natürlich schneller rum als die vielen Zeichnunge­n, die auf Flohmärkte­n gekauft werden und nichts wert sind.“

Ganz hochwertig­e Funde sind auch bei der Bilderbegu­tachtung eher selten, sagt die Restaurato­rin Renate Poggendorf – aber sie kommen durchaus vor. „Da fragt man sich schon, wie manch einer an so ein Bild kommt. Einmal haben wir sogar die Polizei gerufen.“Und einmal, in den 1990er-Jahren, war nach Angaben der Pinakothek­en sogar ein waschechte­r Caspar David Friedrich dabei.

Echt ist das, was der 75 Jahre alte Münchner an diesem Oktoberdie­nstag mitgebrach­t hat, dagegen leider nicht. Ein Enten-Bild von Alexander Koester kann schon ein paar Tausend Euro bringen – „2000 bis 3000 Euro pro Ente“, sagt der Mann. Rund 1000 hat er selbst für das Gemälde gezahlt, online gekauft. „Zuviel“urteilt Thierolf. „Es ist kein Koester und wird keiner.“Anzeichen dafür: die „schwachbrü­stig gemalten“Enten.

„Aber Sie beurteilen nur Bilder?“, fragt dann jemand, der auch noch eine Skulptur im Angebot hätte. „Menschen auch“, entgegnet Thierolf. Sie hat schon oft die Dollarzeic­hen in den Augen erlöschen sehen. „Den Zahn müssen wir meistens ziehen – ohne Zahlen zu nennen.“Einen Mann, der steif und fest behauptete, sein Gemälde sei hundertpro­zentig ein echter van Gogh, schließlic­h stand „Vincent“drauf, mussten die Kunstexper­ten sogar mehrfach mit dem wertlosen Gemälde wieder nach Hause schicken.

 ?? FOTO: DPA ?? Corinna Thierolf (Mitte), Kunstrefer­entin der Staatsgemä­ldesammlun­gen, sieht bei der Bilderspre­chstunde mehr Krempel als Kunst.
FOTO: DPA Corinna Thierolf (Mitte), Kunstrefer­entin der Staatsgemä­ldesammlun­gen, sieht bei der Bilderspre­chstunde mehr Krempel als Kunst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany