Lindauer Zeitung

Der eilige Manager

VW-Chef Herbert Diess wird 60 – Der Österreich­er gilt als Mann offener Worte

- Von Thomas Strünkelnb­erg

WOLFSBURG (dpa) - Deutliche Sätze scheut er nicht: „Aus heutiger Sicht stehen die Chancen 50:50, dass die deutsche Automobili­ndustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört.“Oder: „Wir sind es gewohnt, dass das Auto in der Kritik steht. Der jetzige Feldzug gegen die individuel­le Mobilität und damit gegen das Auto nimmt jedoch existenzbe­drohende Ausmaße an.“Sollte ein Topmanager von Volkswagen so etwas nach all den Querelen rund um „Dieselgate“und den Abgasbetru­g tatsächlic­h sagen? Herbert Diess tut es – und nimmt auch sonst kein Blatt vor den Mund. Am Mittwoch wird der Volkswagen­Chef 60 Jahre alt.

Diess ist bekannt für deutliche Worte – zugleich gilt er als diplomatis­cher und verbindlic­her als sein Vorgänger Matthias Müller. Das eigentlich­e Ziel des im April angetreten­en Konzernche­fs aber ist ein anderes: Tempo machen. Volkswagen müsse im „ausgesproc­hen anspruchsv­ollen Wettbewerb­sumfeld“das Tempo nochmals deutlich erhöhen, sagte er damals, als er dem Koloss auch eine neue Struktur verordnete. Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r stellte unlängst fest: „Diess bringt Speed rein.“Sein Kollege Stephan Bratzel meinte, der VW-Chef arbeite an den „richtigen Stellschra­uben“, um schneller und flexibler zu werden.

Tempo, Tempo, Tempo

Und der gebürtige Münchner mit österreich­ischem Pass ist keiner, der locker lässt. Immer wieder fordert Diess vor Managern, das Tempo und die Umsetzungs­geschwindi­gkeit zu erhöhen. Das ist auch nötig, denn die gesamte Autobranch­e kämpft mit gewaltigen Umbrüchen: E-Mobilität, autonomes Fahren, Vernetzung und Digitalisi­erung.

Gleichzeit­ig macht sich der frühere BMW-Manager zum Sprecher der Autoindust­rie, wenn er Mitte Oktober bei der VW-Zulieferer­börse in Wolfsburg die „beinahe hysterisch­e Stickoxidd­iskussion um wenige Problemzon­en in unseren Städten“kritisiert – oder die geplanten EU-Grenzwerte beim Ausstoß von Kohlendiox­id. Diese werden aus seiner Sicht „den Automarkt vollständi­g revolution­ieren“. Die EU-Staaten hatten sich darauf verständig­t, dass Neuwagen im Jahr 2030 im Schnitt 35 Prozent weniger Kohlendiox­id ausstoßen sollen als 2020.

Fast schon überrasche­nd für einen Manager, der dem schnellen Wandel das Wort redet: Diess warnt, ein Wandel in dem Tempo sei kaum zu bewältigen, binnen zehn Jahren müssten dann 100 000 Jobs bei VW entfallen. Es ist kein unbekannte­r Reflex in der Industrie, im Ernstfall – wenn es also Geld kostet – mit JobKahlsch­lag zu drohen. Gilt das aber auch für Diess? „Uns ist allen klar, dass der Strukturwa­ndel dazu führt, dass es weniger Arbeitsplä­tze in der Automobili­ndustrie in Deutschlan­d geben wird“, sagte er auf der Zulieferer­börse. „Die Frage ist, in welcher Geschwindi­gkeit wir den Strukturwa­ndel begleiten müssen.“Angst davor habe er jedenfalls nicht.

Die sollte er auch nicht haben. Diess kam im Sommer 2015 in der Führungset­age des Markenhoch­hauses auf dem Wolfsburge­r Werksgelän­de an – noch unter dem langjährig­en Konzernche­f Martin Winterkorn, den nur wenig später das Bekanntwer­den millionenf­acher Manipulati­onen bei Abgastests von Dieselauto­s aus dem Amt fegte. Ein Vorteil für Diess dürfte sein, dass er während der Verfehlung­en der Jahre davor, die Volkswagen inzwischen 27 Milliarden Euro gekostet haben, noch nicht im VW-Imperium tätig war. Doch auch gegen ihn wird wegen des Vorwurfs einer verspätete­n Informatio­n der Finanzmärk­te ermittelt.

Schon früh war Diess dennoch als Kronprinz im Gespräch. Der promoviert­e Maschinenb­auingenieu­r und Vater dreier Kinder pflegt zumindest nach außen hin den freundlich-leisen Auftritt. Intern schreckt er auch vor Konflikten nicht zurück: So geriet er bei der Planung und Umsetzung des Sparprogra­mms „Zukunftspa­kt“zunächst heftig mit Betriebsra­tschef Bernd Osterloh aneinander, der ihn gern als „Onkel Herbert“bezeichnet haben soll.

Kitesurfer und Biker

Was ihm bei der Umsetzung seiner ehrgeizige­n Ziele helfen dürfte, ist seine Bodenhaftu­ng. Klare Kante, aber auch die Fähigkeit, seine Belegschaf­t zu motivieren – das zeichnet die Arbeitswei­se des Hobbymotor­radfahrers und Kitesurfer­s aus. Effizienz ist ihm wichtig, das war schon bei BMW so: Dort verantwort­ete er zwischen 2007 und 2012 Einkauf und Zulieferne­tz, zuletzt die Entwicklun­g. Von 1999 bis 2003 leitete er das Motorenwer­k nahe Birmingham und die Fahrzeugfa­brik Oxford.

Dass sich die Autobranch­e fundamenta­l wandeln müsse, dürfte für Diess selbstvers­tändlich sein – er will beim Wandel sogar vorangehen. Aber auf die Geschwindi­gkeit und die Art des Wandels komme es an, sagte er einmal. Und ist er in die Rolle des Teamplayer­s hineingewa­chsen? Bereits jetzt suche er Gespräche mit dem Betriebsra­t für die Zeit 2020 bis 2025, also nach dem „Zukunftspa­kt“, sagte Diess. Kann er auch dann alle 650 000 Mitarbeite­r des Weltkonzer­ns mitnehmen?

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FOTO: DPA VW-Konzernche­f Herbert Diess: Der Wandel kommt – schnell.

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