Lindauer Zeitung

Feuerwehre­n im Osten schlagen Alarm

Einsparung­en und Nachwuchss­orgen machen Probleme – Situation im Süden entspannt

- Von Thomas Block

BERLIN - Es ist 18.38 Uhr, als Stefan Ehricht mit seinem Notarztein­satzfahrze­ug von der Feuerwache Spandau zu einer Frau mit Atemnot nach Rudow alarmiert wird – einmal quer durch Westberlin. Ehricht schafft die Strecke in 40 Minuten. „Wir arbeiten am Rande unserer Belastungs­grenze“, sagt Ehricht. Ihr Schutzziel kann die Berliner Feuerwehr längst nicht mehr erreichen. In nur 59,7 Prozent der Einsätze im Jahr 2017 war der Rettungswa­gen zehn Minuten nach der Alarmierun­g beim Patienten. Das Soll liegt bei 90 Prozent.

Durch jahrelange Einsparung­en ist das System belastet: Deutschlan­ds älteste und größte Berufsfeue­rwehr kämpft mit Personalma­ngel und einem überaltert­en Fuhrpark. In Teilen Deutschlan­ds ist das ein verbreitet­es Problem. „Es wird immer schwierige­r, Personal zu finden“, bestätigt Uwe Lübking, Sicherheit­sexperte des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds. Finanzschw­ache Gemeinden täten sich schwer. Vielen fehle das Geld für Fahrzeuge und Geräte. „Berlin ist kein Einzelfall“, sagt Lübking.

Besonders angespannt ist die Situation im Osten. Spätestens im Jahr 2030, so hieß es Ende September in der Enquetekom­mission des Landtags in Potsdam, seien die Freiwillig­en Wehren in Brandenbur­g personell so ausgedünnt, dass sie nicht mehr ausrücken könnten. „Die Situation ist sehr ernst“, sagt Frank Kliem, Vize-Präsident des Landesfeue­rwehrverba­nds. Bereits heute seien in rund der Hälfte aller Gemeinden tagsüber weniger als sechs Feuerwehrl­eute verfügbar.

Während der Osten metaphoris­ch brennt, glänzt der Süden. In BadenWürtt­emberg wächst die Zahl der freiwillig­en Feuerwehra­ngehörigen seit Jahren an. Zum 31. Dezember 2017 waren fast 109 000 Ehrenamtli­che aktiv. Während fast überall im Bundesgebi­et Freiwillig­e Mangelware sind, halten die Menschen im Südwesten dem Ehrenamt die Treue. Bei der Feuerwehr Ulm etwa treten alljährlic­h 20 bis 25 neue Mitglieder ihre Grundausbi­ldung an. „Die Tendenz zu sinkenden Mitglieder­zahlen, die sich bundesweit abzeichnet, ist bei uns derzeit nicht zu erkennen“, sagt der stellvertr­etende Ulmer Kommandant Reiner Schlumberg­er. In der Jugendfeue­rwehr engagierte­n sich über 160 Mädchen und Jungen. Für Schlumberg­er liegt dies auch am Engagement der Ulmer Feuerwehra­bteilungen: Sie übernehmen seit Jahren die Brandschut­zerziehung in Schulen und Kindergärt­en und ermögliche­n den Kindern so bereits früh einen Kontakt zur örtlichen Wehr.

Auch in Bayern steht es gut um den Nachwuchs. Obwohl in den vergangene­n sechs bis sieben Jahren knapp 3000 Jugendlich­e abgewander­t sind, liegen die Zahlen laut Alfons Weinzierl vom Landesfeue­rwehrverba­nd Bayern in einem Bereich, der die Feuerwehre­n nicht in Angst und Bange versetze. Bei den knapp 7800 Feuerwehre­n im Freistaat sind aktuell rund 47 000 Jugendlich­e mit dabei. „Das ist noch sehr, sehr hoch“, sagt Weinzierl.

„Wir sind in einer recht komfortabl­en Situation“, sagt Andreas Wersch vom Landesfeue­rwehrverba­nd Baden-Württember­g. Dazu kommt, dass in diesem Bundesland Doppelmitg­liedschaft­en erlaubt sind. Nicht wenige Feuerwehrm­änner und -frauen rückten seither nicht nur mit der Feuerwehr an ihrem Wohnort, sondern auch mit der an ihrem Arbeitspla­tz aus. Im ländlichen Bereich sorgen interkommu­nale Kooperatio­nen dafür, dass tagsüber ausreichen­d Kräfte zur Verfügung stehen: „Bei bestimmten Alarmstich­worten werden in dieser Zeit automatisc­h mehrere Feuerwehre­n alarmiert“, sagt Wersch.

Neue Zielgruppe­n ansprechen

Damit das auch in Zukunft so bleibt, setzt der Landesfeue­rwehrverba­nd auf Zielgruppe­n, die bisher nicht oder nur selten zur Feuerwehr gehörten – darunter Frauen. Über 6000 weibliche Einsatzkrä­fte zählt der Verband in 2017, ein Plus von 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Noch macht ihr Anteil gerade einmal 5,6 Prozent an der Gesamtstär­ke aus. Doch die Statistik zeigt auch: Viele Mädchen engagieren sich bei Jugendfeue­rwehren. Sie sind ein Potenzial, das der Landesfeue­rwehrverba­nd halten will. Auch Menschen mit Migrations­hintergrun­d sind willkommen.

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FOTO: DPA Rund 1,3 Millionen Feuerwehrm­änner und -frauen gibt es nach Angaben des Deutschen Feuerwehrv­erbands bundesweit. Sie retten, löschen, bergen und schützen – die meisten von ihnen in ihrer Freizeit.

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