Feuerwehren im Osten schlagen Alarm
Einsparungen und Nachwuchssorgen machen Probleme – Situation im Süden entspannt
BERLIN - Es ist 18.38 Uhr, als Stefan Ehricht mit seinem Notarzteinsatzfahrzeug von der Feuerwache Spandau zu einer Frau mit Atemnot nach Rudow alarmiert wird – einmal quer durch Westberlin. Ehricht schafft die Strecke in 40 Minuten. „Wir arbeiten am Rande unserer Belastungsgrenze“, sagt Ehricht. Ihr Schutzziel kann die Berliner Feuerwehr längst nicht mehr erreichen. In nur 59,7 Prozent der Einsätze im Jahr 2017 war der Rettungswagen zehn Minuten nach der Alarmierung beim Patienten. Das Soll liegt bei 90 Prozent.
Durch jahrelange Einsparungen ist das System belastet: Deutschlands älteste und größte Berufsfeuerwehr kämpft mit Personalmangel und einem überalterten Fuhrpark. In Teilen Deutschlands ist das ein verbreitetes Problem. „Es wird immer schwieriger, Personal zu finden“, bestätigt Uwe Lübking, Sicherheitsexperte des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Finanzschwache Gemeinden täten sich schwer. Vielen fehle das Geld für Fahrzeuge und Geräte. „Berlin ist kein Einzelfall“, sagt Lübking.
Besonders angespannt ist die Situation im Osten. Spätestens im Jahr 2030, so hieß es Ende September in der Enquetekommission des Landtags in Potsdam, seien die Freiwilligen Wehren in Brandenburg personell so ausgedünnt, dass sie nicht mehr ausrücken könnten. „Die Situation ist sehr ernst“, sagt Frank Kliem, Vize-Präsident des Landesfeuerwehrverbands. Bereits heute seien in rund der Hälfte aller Gemeinden tagsüber weniger als sechs Feuerwehrleute verfügbar.
Während der Osten metaphorisch brennt, glänzt der Süden. In BadenWürttemberg wächst die Zahl der freiwilligen Feuerwehrangehörigen seit Jahren an. Zum 31. Dezember 2017 waren fast 109 000 Ehrenamtliche aktiv. Während fast überall im Bundesgebiet Freiwillige Mangelware sind, halten die Menschen im Südwesten dem Ehrenamt die Treue. Bei der Feuerwehr Ulm etwa treten alljährlich 20 bis 25 neue Mitglieder ihre Grundausbildung an. „Die Tendenz zu sinkenden Mitgliederzahlen, die sich bundesweit abzeichnet, ist bei uns derzeit nicht zu erkennen“, sagt der stellvertretende Ulmer Kommandant Reiner Schlumberger. In der Jugendfeuerwehr engagierten sich über 160 Mädchen und Jungen. Für Schlumberger liegt dies auch am Engagement der Ulmer Feuerwehrabteilungen: Sie übernehmen seit Jahren die Brandschutzerziehung in Schulen und Kindergärten und ermöglichen den Kindern so bereits früh einen Kontakt zur örtlichen Wehr.
Auch in Bayern steht es gut um den Nachwuchs. Obwohl in den vergangenen sechs bis sieben Jahren knapp 3000 Jugendliche abgewandert sind, liegen die Zahlen laut Alfons Weinzierl vom Landesfeuerwehrverband Bayern in einem Bereich, der die Feuerwehren nicht in Angst und Bange versetze. Bei den knapp 7800 Feuerwehren im Freistaat sind aktuell rund 47 000 Jugendliche mit dabei. „Das ist noch sehr, sehr hoch“, sagt Weinzierl.
„Wir sind in einer recht komfortablen Situation“, sagt Andreas Wersch vom Landesfeuerwehrverband Baden-Württemberg. Dazu kommt, dass in diesem Bundesland Doppelmitgliedschaften erlaubt sind. Nicht wenige Feuerwehrmänner und -frauen rückten seither nicht nur mit der Feuerwehr an ihrem Wohnort, sondern auch mit der an ihrem Arbeitsplatz aus. Im ländlichen Bereich sorgen interkommunale Kooperationen dafür, dass tagsüber ausreichend Kräfte zur Verfügung stehen: „Bei bestimmten Alarmstichworten werden in dieser Zeit automatisch mehrere Feuerwehren alarmiert“, sagt Wersch.
Neue Zielgruppen ansprechen
Damit das auch in Zukunft so bleibt, setzt der Landesfeuerwehrverband auf Zielgruppen, die bisher nicht oder nur selten zur Feuerwehr gehörten – darunter Frauen. Über 6000 weibliche Einsatzkräfte zählt der Verband in 2017, ein Plus von 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Noch macht ihr Anteil gerade einmal 5,6 Prozent an der Gesamtstärke aus. Doch die Statistik zeigt auch: Viele Mädchen engagieren sich bei Jugendfeuerwehren. Sie sind ein Potenzial, das der Landesfeuerwehrverband halten will. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind willkommen.