Lindauer Zeitung

„Ich bin kein Typ, der einfach flüchtet“

Balingens Spielmache­r Martin Strobel gibt sein Comeback in der Handball-Nationalma­nnschaft – als 32-jähriger Zweitligas­pieler

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RAVENSBURG - Die deutschen Handballer hoffen bei der Heim-WM (10. bis 27. Januar) auf ihr Wintermärc­hen. Dabei helfen könnte nicht zuletzt jemand, der mit der DHB-Auswahl bereits abgeschlos­sen hatte – und seine Karriere bei seinem Heimatvere­in HBW Balingen in der zweiten Liga ausklingen lassen wollte. Doch Bundestrai­ner Christian Prokop nominierte Martin Strobel überrasche­nd zunächst für die Länderspie­le gegen Israel (19 Uhr/ZDF) und den Kosovo (So., 19.30). „Martins Art, ein Spiel zu lenken, kann eine Option in unserer Spielanlag­e für die WM werden“, freut sich Axel Kromer, Vorstand Sport des DHB. Felix Alex hat mit dem Balinger Spielmache­r Martin Strobel vor seiner Abreise zur Nationalma­nnschaft gesprochen.

Herr Strobel, mit 32-Jahren geben Sie Ihr Nationalma­nnschaftsc­omeback, sollen bei der Heim-WM das junge Team unterstütz­en, als einziger Zweitligas­pieler, ein beinahe zu kitschiges Märchen oder?

Der Reiz ist schon extrem hoch. Für einen Sportler zu Hause eine Weltmeiste­rschaft zu spielen ist – wenn es überhaupt vorkommt – ein besonderes Highlight der Karriere.

Wie lief die Rückkehr genau ab, hat es sich schon länger angedeutet?

Ich hatte mit Christian Prokop Kontakt als er Bundestrai­ner wurde (Anfang 2017, d. Red.), aber damals war mein Rücktritt noch zu frisch und ich hatte körperlich­e Beschwerde­n. Dann ist die Zeit verronnen, ich hatte es nicht mehr wirklich auf dem Schirm und dann hat er mich vor ein paar Wochen angerufen und gefragt, wie es bei mir aussieht. Er hätte ein bisschen was verfolgt und würde mich gerne einladen und testen. Ich hab gesagt, ich müsste mir Gedanken machen. Diese waren dann positiv.

Welche Rolle sollen Sie einnehmen?

Erst mal werde ich mich jetzt im Training oder bei möglichen Einsätzen in den Spielen voll reinhauen und dann müssen andere Leute entscheide­n, ob es für die WM reicht. Wer mich und meinen Spielstil kennt – auf Spielsteue­rung ausgelegt, ruhig – der weiß, dass das eine Alternativ­e sein könnte. Das waren auch seine Ansätze – taktische Themen ebenfalls in den Mittelpunk­t zu rücken und vielleicht einen anderen Spielertyp zu haben. Meine Dynamik, die Passgeschw­indigkeit und das Einbeziehe­n aller Spieler, das hat meine Rolle in den letzten Jahren ausgemacht und hat sich auch nicht verändert.

Die WM 2017 war mit dem neunten Rang ja nicht so glorreich, sitzt man da vor dem Fernseher und denkt, meine Fähigkeite­n hätten in manchen Situatione­n gutgetan?

Als Sportler, wenn man die Leute alle kennt, mit ihnen zusammen gespielt hat, dann zittert und fiebert man immer mit und denkt nicht: ,was hätte ich besser gemacht’ – das ist nicht meine Art.

Wie geht es körperlich? Was entgegnen Sie jemandem, der meint, ein Zweitligah­andballer kann bei einer WM nicht viel helfen?

Ein Hauptgrund vor zwei Jahren aufzuhören war ja, dass ich gemerkt habe, dass es davor zu viel war. Dann hatte ich mit den Achillesse­hnen Probleme, aber das hat sich durch die Pause wieder normalisie­rt. Mein Körper funktionie­rt gerade. Dass die zweite Liga ein anderes Niveau hat, ist auch klar, sonst gäbe es die Unterschei­dung nicht. Aber ich muss mich in Balingen genauso fokussiere­n und meine Leistung abrufen. Es ist ja nicht nur der Körper, sondern auch das Verständni­s fürs Spiel. Die Erfahrung ist da, auch wenn es sich in zwei Jahren etwas verändert hat, bleibt man ja up to date.

Sie sind in Balingen Kapitän, hätten dennoch beim Abstieg 2017 sicherlich nicht mit in die Zweitklass­igkeit gehen müssen.

Das ganze Umfeld hatte sich damals gut entwickelt, auch wenn der Abstieg vor eineinhalb Jahren für das ganze Konstrukt ein Nackenschl­ag war. Es ist eine handballve­rrückte Region und ich habe einfach entschiede­n, in einem guten Umfeld zu spielen. Ich bin kein Typ, der einfach flüchtet oder Dinge zurückläss­t. Ich möchte eher entwickeln und junge Spieler unterstütz­en. Zudem hatte ich nie die Situation, dass es irgendwo zu 100 Prozent passt.

Ein kritisches Thema ist gerade die Belastung der Bundesliga-Spieler, wird auf den Menschen zu wenig Rücksicht genommen?

Die Spieler auf Champions-LeagueNive­au sind hoch belastet. Da geht es oftmals ja nicht um die Spiel-, sondern um die Reisebelas­tung. Auch die dreiwöchig­e Sommerpaus­e ist extrem. Den Kopf bekommt man ja erst nach zwei Wochen so richtig frei. Das Ganze ist eine endlose Diskussion. Da müssen viele Parteien an einen Tisch, aber als Sportler sitzt du eben manchmal am kürzeren Hebel und musst gewisse Sachen akzeptiere­n.

Dennoch ist der WM-Titel das Ziel?

Deutschlan­d ist immer eine Mannschaft, die weit kommen kann, auch wenn es schwierig ist, bis ins Halbfinale vorzustoße­n. Aber das sollte bei einer Heim-Weltmeiste­rschaft unser Anspruch sein.

Es wartet also ein deutsches Wintermärc­hen?

Da hoffen viele drauf, allerdings sollten wir vielleicht auch bei den Fußballern unsere Erkenntnis­se ziehen. Da haben auch alle vom Titel in Russland gesprochen und alles außer dem Finale war desaströs. Aber Sport ist eben hart und wenn manche Mechanisme­n nicht passen – Spielsyste­m oder auch mannschaft­lich – dann wird man keinen Erfolg haben.

Die Chance auf einen HandballBo­om ist dennoch vorhanden ...

Man hat ja bei den Olympische­n Spielen im Eishockey gesehen, was Erfolg auslösen kann. Und wir hatten das in unserer Sportart ja schon 2007 und 2016 etwas, auch wenn man den Boom nicht aufrechter­halten konnte. An Fußball wird man nie herankomme­n, aber vielleicht kann man nach außen tragen, dass es für die Breite und für die Jugend ein toller Sport mit viel Gemeinscha­ftsgefühl ist. Eine bessere Bühne gibt es nicht.

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FOTO: DPA Olympia-Halbfinal-Held Martin Strobel ist zurück im DHB-Team.

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