Davongekommen
Dem Kampf gegen Plastikmüll wären beinahe auch Luftballons zum Opfer gefallen
Sie hat es in Kauf genommen, viele Kinder in ganz Europa traurig zu machen, die Fraktion der Liberalen im Europaparlament. Sie wollte bei der Abstimmung über das Verbot von Einweg-Plastik auch Luftballons verbieten. Nicht viel mehr Herz hatte die EU-Kommission: Sie hätte es am liebsten gesehen, wenn es nur noch Industrieunternehmen und nicht mehr Jungen und Mädchen erlaubt gewesen wäre, mit den bunten Gummibällen zu spielen. Erst die Konservativen haben dem Spuk ein Ende gesetzt: Sie haben dafür gesorgt, dass Trinkhalme, Plastikgabeln und Wattestäbchen künftig verboten werden sollen – Luftballons aber von dem Gesetz ausgenommen sind. Glück gehabt!
BRÜSSEL - Von neunundneunzig Luftballons sang Nena im Jahr 1983. Da war die Welt noch in Ordnung, und der Dekowahn fand im Wesentlichen virtuell in Liedertexten statt. Beim Urlaub an der Costa del Sol holte man sich allerdings klebrige schwarze Fußsohlen vom Altöl, das die Frachter ins Meer abließen. Auch Verpackungsmüll war bereits ein Thema. Erste Gesetze wurden auf den Weg gebracht, die keine große Wirkung zeigten. Dass aber knapp 35 Jahre später die Müllmenge dem Fischbestand Konkurrenz machen würde, hätten sich damals wohl nicht einmal die Grünen träumen lassen.
Das Altölproblem ist durch Gesetze, Verbote und die Androhung drastischer Strafen deutlich entschärft worden. Plastik erwies sich als wesentlich beständiger. Mehrere Revisionen der Verpackungsverordnung und der Abfallrahmenrichtlinie konnten den Wahnsinn nicht stoppen. Der Müllberg wird immer größer. Vielleicht sind Verbote von Einwegplastik, Feuchttüchern und Wattestäbchen, wie sie das Europaparlament am Mittwoch befürwortete, wirklich der einzige Weg, Verbraucher dazu zu bringen, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern.
Verantwortungsvolle Industrie
Doch taugt das Rezept tatsächlich auch für Luftballons? Im ursprünglichen Gesetzentwurf der EU-Kommission sollten sie für Privatleute verboten werden, für „industrielle und sonstige gewerbliche Verwendungszwecke und Anwendungen, die nicht an Verbraucher abgegeben werden“hingegen erlaubt bleiben. Offizielle Begründung: Die Industrie gehe verantwortungsvoller mit den Ressourcen um als private Konsumenten. Eine kühne Behauptung. Der wahre Grund dürfte sein, dass sich Brüssel nicht dem Vorwurf aussetzen will, die Konjunktur zu behindern. Fazit: Luftballons, die lediglich dem Amüsement von Kindern dienen, sind entbehrlich. Zu Werbungszwecken aber dürfen Umwelt und Meere gern weiter verschmutzt werden.
Die für das Gesetz im EU-Parlament zuständige liberale Abgeordnete Frédérique Ries änderte den Text so ab, dass nicht mehr zwischen privater und gewerblicher Nutzung von Ballons unterschieden wird. Sie wollte die Nutzung im Freien generell untersagen. Ihr Textvorschlag: „Luftballons zählen zu den zehn an Stränden am häufigsten gefundenen Arten von Abfall. Sie verschmutzen die Umwelt und stellen eine Gefahr für wildlebende Tiere dar. Sie sollten nicht mehr lediglich aus Spaß in die Umwelt freigesetzt werden.“
Bei allem Mitgefühl für die wildlebenen Tiere ist es doch erfreulich,
dass die Konservativen im Europaparlament den Spaß nicht ganz aus unserem Leben verbannen wollen. Sie beantragten, den Passus über Luftballons ganz zu streichen und setzten sich damit durch. Wer Tiere und Kinder gleichermaßen mag, kann durch einen Griff ins richtige Regalfach einen Ausweg aus dem Dilemma finden. Ballons aus Kautschuk sind umweltfreundlicher als Konkurrenzprodukte aus Gummi oder Folie.