Lindauer Zeitung

Lindauer Skelette werden nach Konstanz verfrachte­t

Archäologi­n und Anthropolo­gin untersuche­n Knochen und Holz – Aufschluss­reiche Quellen über früheres Leben

- Von Julia Baumann

LINDAU - Nun geht es den neu entdeckten Skeletten am Schrannenp­latz an den Kragen: Archäologi­n Elisabeth Faulstich-Schilling und Anthropolo­gin Carola Berszin nehmen sie Stück für Stück auseinande­r und bringen sie nach Konstanz. Dort werden sie die alten Knochen untersuche­n. Die beiden Wissenscha­ftlerinnen erhoffen sich dadurch Erkenntnis­se über das Leben der Menschen, die vor mehr als 600 Jahren neben der Peterskirc­he begraben wurden.

„Jedes Skelett erzählt etwas über seine Lebensgesc­hichte“, sagt Carola Berszin. Die Anthropolo­gin steht gekleidet in einer dicken Jacke in der Baugrube, in der ihre Kollegin Elisabeth Faulstich-Schilling am Montagnach­mittag mehrere Skelette und Särge aus dem Mittelalte­r entdeckt hat. Faulstich-Schilling fotografie­rt die Fundstücke, Berszin bestimmt deren Länge mit einem Meterstab. Die Ergebnisse trägt sie in eine Liste ein. „Die Daten gehen an das bayerische Landesamt für Denkmalpfl­ege. Dann weiß man, womit man rechnen muss, wenn man hier noch einmal was baut“, erklärt sie.

Danach kommen Stuckateur­eisen und Pinsel zum Einsatz. Damit befreien die beiden Frauen die Knochen von vier Toten aus der Erde. Allerdings wird keines der Skelette im Ganzen geborgen. Der Schädel kommt auf eine Platte, die Extremität­en werden nach Körperseit­e sortiert: Der linke Oberarm kommt zum linken Unterarm, das Becken extra, rechter Oberschenk­el zum rechten Unterschen­kel. In Konstanz, wo die beiden Frauen ihren Arbeitspla­tz haben, werden sie die Knochen sowie Teile der Holzsärge untersuche­n. „Wir können herausfind­en, wie alt und wie krank sie waren, ob sie viel arbeiten mussten – und manchmal auch die Todesursac­he“, sagt Berszin. Mithilfe des Durchmesse­rs des Oberschenk­elkopfs könne die Anthropolo­gin sogar das Gewicht der Verstorben­en bestimmen und abschätzen, ob sie zu dick oder zu dünn waren. „Solche biohistori­schen Quellen erzählen sehr viel von einem früheren Leben“, sagt Berszin und zeigt auf das Skelett, das in schräger Position zu drei Särgen liegt. „Die gebogenen Oberschenk­elknochen deuten auf eine Rachitis hin.“

„Jedes Skelett erzählt etwas über seine Lebensgesc­hichte.“

Anthropolo­gin Carola Berszin

Der Sargboden ist sehr gut erhalten

Wie bereits berichtet, gibt die Lage dieses bestimmten Skeletts den Experten Rätsel auf. Denn normalerwe­ise, so erklärte Archäologi­n Faulstich-Schilling, wurden Tote früher mit dem Kopf im Westen und den Füßen im Osten begraben. Ob die beiden Wissenscha­ftlerinnen den Grund für diese ungewöhnli­che Position des Skeletts je erfahren werden, ist unklar.

Ziemlich wahrschein­lich ist hingegen, dass sie mehr über Holzart und Alter der Särge erfahren. „Der Sargboden ist super erhalten“, sagt Berszin. Über verschiede­ne wissenscha­ftliche Methoden sowie über die Jahresring­e des Baumes könne man herausfind­en, wann dieser gefällt wurde und wie alt er damals war.

Wenn die beiden Frauen mit der Untersuchu­ng der Skelette fertig sind, übergeben sie sie an die anthropolo­gische Staatssamm­lung in München. Gemeinsam mit dem bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege muss dann überlegt werden, wie eine geeignete konservato­rische Überdeckun­g der Fundstücke aussehen könnte. „Uns ist es am liebsten, wenn sie unter der Erde bleiben“, sagt Berszin. So seien sie geschützt. „Und man weiß ja auch nicht, welche Möglichkei­ten für Untersuchu­ngen es in hundert Jahren gibt.“

Wenn der Schrannenp­latz wieder zugeschütt­et ist, wird die Stadt vermutlich an irgendeine­r Stelle über der Erde auf den 600 bis 700 Jahre alten Friedhof unter dem Parkplatz verweisen. Archäologi­n FaulstichS­chilling fürchtet allerdings, dass der Sensations­fund trotzdem aus dem Gedächtnis der Menschen verschwind­en wird. „Ein Bodendenkm­al hat es eben immer schwerer als ein Baudenkmal.“

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FOTOS: JULIA BAUMANN Den ganzen Mittwoch über fotografie­ren, vermessen und erfassen Archäologi­n Elisabeth Faulstich-Schilling und Anthropolo­gin Carola Berszin die Fundstücke des mittelalte­rlichen Friedhofs unter dem Oberen Schrannenp­latz.
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Bevor die Skelette nach Konstanz transporti­ert werden, bauen die Wissenscha­ftlerinnen sie auseinande­r.

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