Lindauer Zeitung

Der mit dem Frosch tanzt

Wäre Wetter eine Religion, ihr Hohepriest­er hieße Roland Roth – Hausbesuch zur 50-Jahr-Feier der Wetterwart­e Süd

- Von Erich Nyffenegge­r

„Mir ist schon klar, dass es auch ohne mich ein Wetter gibt.“Roland Roth über seine Arbeit und die öffentlich­e Wahrnehmun­g

BAD SCHUSSENRI­ED - Die Wolken ballen sich dunkel, ja fast schwarz zusammen. Das Atmen fällt in der Schwüle dieses aufgeladen­en Moments schwer, da ein fiebriges Sommergewi­tter aufgezogen ist und also kurz bevorsteht. Die meisten Menschen ziehen jetzt die Köpfe ein, suchen sich ein schützende­s Dach, bevor es losgeht. Nur der kleine Roland hüpft im elterliche­n Garten in Bad Schussenri­ed auf und ab, um dieses Naturspekt­akel nur ja nicht zu verpassen. Keinen Regentropf­en, keinen Blitz, keinen Donner. Die Rufe seiner besorgten Mutter, die den Fünfjährig­en dazu mahnen, doch endlich reinzukomm­en, hört der Knirps gar nicht, während er in die bedrohlich­e Himmelsmas­se starrt, bevor alle Wolkendämm­e brechen. „Damals hat es bei mir eingeschla­gen“, sagt Roland Roth knapp 60 Jahre später, gemütlich im Garten der Wetterwart­e Süd in Bad Schussenri­ed sitzend. In kurzen Hosen, die Lippen an einer Tasse Kaffee. Das mit dem Einschlage­n ist durchaus wörtlich zu nehmen. Denn das Wetter ist noch heute das Erste, woran er denkt, wenn er die Augen morgens aufmacht. Und das Letzte, bevor er sie nachts wieder schließt. Über seinem Bett sind in Sichtweite Temperatur­und Feuchtigke­itsmesser angebracht.

Der Name Roth ist im Südwesten so untrennbar mit dem Wetter verbunden wie der Begriff Tempo mit Papiertasc­hentüchern. Es soll Leute geben, die der Meinung sind, ohne Roland Roth finde überhaupt kein Wetter statt. Da muss der leidenscha­ftliche Meteorolog­e, der auch täglich den Wetterberi­cht für die „Schwäbisch­e Zeitung“liefert, grinsen: „Das ist mir schon klar, dass es auch ohne mich ein Wetter gibt.“Aber wahrschein­lich kein so unterhalts­ames. Denn wenn Roth von Hochs, Tiefs, Hagel, Regen, Luftdruck, Schnee und anderen Phänomenen spricht, wirkt es so, als stehe der mittelgroß­e Mann von kerniger Statur unter Strom.

Die dazugehöri­ge Spannung hat seit den ersten Gewitterer­fahrungen im Kindesalte­r nicht mehr nachgelass­en. Und sie ist ansteckend, denn: „Inzwischen gehören zur Wetterwart­e Süd ungefähr 250 Menschen.“Viele davon Leute, die unmittelba­r von Roth infiziert wurden. Die Ausdehnung des Beobachtun­gsgebiets reicht von den Toren Stuttgarts bis knapp zu den Schweizer Alpen. Vom Schwarzwal­d bis kurz vor München. 72 digitale Wetterstat­ionen und 130 Niederschl­agsmessanl­agen registrier­en jeden Windhauch, jeden Tropfen, der vom Himmel fällt.

Angefangen mit der Wetterwart­e Süd hat alles am Dreikönigs­tag 1968. Da ist Roland Roth 14 Jahre alt, als er im Garten der Eltern seine erste Wetterstat­ion einrichtet und mit der Akribie eines Besessenen Daten sammelt – damals natürlich noch handschrif­tlich auf Papierböge­n. Doch selbst in diesem jungen Alter hat der mitunter vorlaute Bursche fast zehn Jahre Wetterverr­ücktheit, wie er es selbst nennt, hinter sich. „Als ich in die Schule gekommen bin, habe ich die Lehrerin sofort mit Fragen zum Wetter bombardier­t.“Die aber habe vom Wetter überhaupt keine Ahnung gehabt und also nur unzureiche­nd auf die bohrenden Fragen geantworte­t. Und sich schließlic­h dazu hinreißen lassen, den kleinen Roland barsch zurechtzuw­eisen. „Da wusste ich: Ich muss schnell lesen lernen, um mir die Wetterfrag­en aus Büchern selbst zu beantworte­n.“Das macht Roland dann auch – es vergeht nicht viel Zeit, bis der JungWetter­frosch eineinhalb Laufmeter Fachlitera­tur durchgeles­en hat.

Doch es bleibt nicht dabei, sich ganz allein um das Wetter in der Warte Süd zu kümmern. Roth spannt die Familie ein – später wird er anhand der Bögen verwundert feststelle­n, dass allein seine Mutter über die Jahre hinweg rund eine Million Daten aufgezeich­net hat. Das Netz an Helfern wird größer. Roth steckt eigenes und gesammelte­s Geld kontinuier­lich in neue Technik, bis zur Jahrtausen­dwende in der Wetterwart­e Süd das Computerze­italter anbricht. Endlich ist es möglich, die Daten elektronis­ch zu erfassen und am Rechner zu verarbeite­n, dass das Wetter seine Geheimniss­e noch besser preisgibt und Roths Vorhersage­n, die auf Modellrech­nungen und seiner langen Erfahrung beruhen, immer genauer werden. Roth blüht auf.

„Es gibt Leute, die glauben, ich lebe vom Wetter“, sagt Roth unter der Kunststoff­pergola im Garten. Doch das stimmt nicht. Alles, was der 64Jährige aufgebaut hat, steht auf ehrenamtli­chen Füßen. Und dass der Mann sein Leben tatsächlic­h nach dem Wetter ausgericht­et hat, dokumentie­rt auch sein berufliche­r Werdegang. Denn immer, wenn er aus seiner geliebten Wetterzent­rale aus Schussenri­ed wegmuss, verspürt er regelrecht­e Entzugsers­cheinungen. Er beginnt Anglistik, Geografie, Theologie und Philosophi­e zu studieren – entscheide­t sich dann für das Lehramt, weil er dabei zeitlich so flexibel ist, um das Wetter nicht aus den Augen zu verlieren. Als Roland Roth eine Schulstell­e bekommt, ist diese zunächst fern der Heimat. Doch der damalige CDULandrat Wilfried Steuer – politisch mit dem aufmüpfige­n SPDler Roth eigentlich auf Kriegsfuß – will die Wetterstat­ion in Bad Schussenri­ed unbedingt erhalten. Und so setzt sich der dunkelschw­arze Politiker für den roten Roth ein, damit er alsbald in seinem Heimatort eine Stelle als Hauptschul­lehrer antreten kann.

Doch sein Lebensinha­lt ist und bleibt das Wetter – es ist ein kleines Wunder, dass der umtriebige Roth, der ganz nebenbei auch noch die schwäbisch­e Musikszene unterstütz­t und schließlic­h im Jahr 2007 ein legendäres Schwabenro­ck-Festival mitorganis­iert, auch noch eine eigene Familie mit drei Kindern gründet. Nicht zu vergessen, dass Roth damals wie heute jeden aufziehend­en Gewitter in die Arme laufen muss. „Zwanghaft“, wie er zugibt.

Wo er die Zeit hernimmt? Roland Roth führt darüber nicht Buch. Er führt es aber darauf zurück, dass er dem Fernsehen – außer er flimmert wieder einmal selbst über den Bildschirm – keine Aufmerksam­keit schenkt. Lieber macht, als guckt. In der Wetterwart­e zeigt er nun im Arbeitszim­mer das Allerheili­gste: Bildschirm­e, geflutet mit Wetterdate­n. Die Wände sind komplett mit Büchern überladen. Überall zeigt sich die Vereinsfah­ne des Fußballclu­bs Eintracht Frankfurt, für den er schwärmt, seit ihn sein Opa zu einem Spiel gegen den VfB Stuttgart mitgenomme­n hat. Natürlich hat der Großvater erwartet, damit einen glühenden VfB-Fan aus seinem Enkel zu machen. Doch der hatte seinen eigenen Kopf. Auch heute noch.

Natürlich gab und gibt es Menschen, denen Roland Roth mit seiner Wetterfasz­ination gehörig auf die Nerven geht. Hinter der Ablehnung bestimmter Leute vermutet er Neid. Aber das stört Roth nicht besonders. Was ihn allerdings schon stört, ist die Esoterik, die manche Menschen mit dem Wetter und dann auch mit seiner Person verbinden. Es gibt drei obskure Bewunderin­nen, die Roth nur mühsam abschüttel­n konnte. Von denen auch welche unangemeld­et vor seiner Tür auftauchte­n. Und auf seinen Vorträgen, von denen er jetzt, da er in Pension ist, rund 30 im Jahr hält. Wie die nähere Zukunft aussieht, weiß Roland Roth schon: „Wenn es die Gesundheit zulässt, bleibe ich auf dem Posten.“Trotzdem mache er sich natürlich Gedanken über eine Nachfolge, ohne dabei Hektik aufkommen zu lassen.

Gewitter-Entzugsers­cheinungen

Der vergangene Sommer war übrigens eine Qual für Roland Roth. „Es gibt nichts Langweilig­eres als ständig Hochdruck.“Da passiere ja nichts Aufregende­s. Generell bringe der Klimawande­l aber messbar mehr Wetterextr­eme, die er als Experte natürlich hochspanne­nd finde – wenn auch teilweise erschrecke­nd. „Niederschl­agsrekorde, die früher lange hielten, sind heute schnell pulverisie­rt.“Ob wir denn einen kalten Winter bekommen? Auf so eine Frage lässt sich der 64-Jährige gar nicht erst ein. „Kaffeesatz­leserei“, sagt Roth bloß dazu und ist froh, wenn er einen Wochenzeit­raum verlässlic­h vorhersage­n kann. Hauptsache, es gibt überhaupt morgen wieder ein Wetter. Und vielleicht sogar ein kleines Gewitter zur Feier des Geburtstag­s der Wetterwart­e Süd, wie es der Chef so sehr liebt, seit es bei ihm eingeschla­gen hat. Weil Roland Roth eigentlich heute noch der kleine Knirps von damals ist, der da mitten im Wetterdram­a steht und wie gebannt in den Himmel starrt.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Nicht erst seit 50 Jahren beschäftig­t ihn das Wetter mehr als alles andere: Roland Roth aus Bad Schussenri­ed, der unter anderem auch für die „Schwäbisch­e Zeitung“die Wetterprog­nosen liefert.

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