Lindauer Zeitung

Sozialdemo­kraten wollen ihren Markenkern reparieren

Die SPD steckt im Umfragetie­f, auch im Südwesten – In den kommenden Wochen entscheide­t die Basis, ob sie noch Vertrauen ins Führungste­am hat

- Von Kara Ballarin

STUTTGART/BAD RAPPENAU - Auf den langen Tischen, an denen junge Menschen in Kapuzenpul­lis neben ergrauten Anzug- und Pullundert­rägern sitzen, stehen Wurstsalat, Wein und Wasser. Eineinhalb Stunden haben die Genossen des Kreisverba­nds Heilbronn-Land am Mittwochab­end in der Josef-Müller-Halle im Bad Rappenauer Ortsteil Heinsheim über Anträge beraten. Es geht um Tiertransp­orte, um bezahlbare­n Wohnraum, um gute Gesundheit­sversorgun­g auf dem Land. Themen, die die Menschen umtreiben. Viele warten aber darauf, dass der zweite Teil des Kreisparte­itags endlich beginnt. Auf der Tagesordnu­ng steht: „Vorstellun­g der beiden Kandidaten für den SPD-Landesvors­itz.“

Bei der Landtagswa­hl 2016 hat die SPD ihr Ergebnis halbiert. Mit Leni Breymaier an der Spitze sollte es bergauf gehen – die Umfragewer­te sind aber weiter abgesackt, auf zuletzt elf Prozent. In den kommenden Wochen müssen die Genossen im Südwesten entscheide­n: Braucht Breymaier einfach noch mehr Zeit für die Trendumkeh­r? Oder trauen sie dies eher ihrem Herausford­erer Lars Castellucc­i zu? Zudem gibt es einen Wettstreit um den Posten des Generalsek­retärs – der wirkt dabei wie ein Brandbesch­leuniger. Seit Mittwoch kann die Basis den Spitzenkan­didaten auf den Zahn fühlen.

Mitglieder können abstimmen

Es ist der erste direkte Schlagabta­usch zwischen Breymaier und Castellucc­i. Die beiden Bundestags­abgeordnet­en besuchen in den kommenden Wochen eine handvoll solcher Basis-Veranstalt­ungen – neben den vier großen Regio-Konferenze­n, die am Samstag in den Bezirken Nordbaden und Nordwürtte­mberg starten. Zwei Samstage später sind Südbaden und Südwürttem­berg dran. Bis zum 19. November können die Mitglieder über die Kandidaten­frage abstimmen.

Es ist ein Heimspiel für Castellucc­i, daran lässt der Kreisvorsi­tzende Markus Herrera Torrez keinen Zweifel. „Ich stehe für den Lars“, sagt er am Ende der Veranstalt­ung, „weil ich in den zwei Jahren festgestel­lt habe, dass die Zusammenar­beit im Land nicht passt.“Das ist gegen Breymaier gerichtet, vor allem aber gegen ihre Wunsch-Generalsek­retärin. Vor zwei Jahren hatte Breymaier erklärt: Sie gebe es als Vorsitzend­e nur im Doppelpack mit Luisa Boos. Und das, obwohl es vielstimmi­ge Kritik an Boos gab – unter anderem wegen alter Wunden aus Juso-Tagen.

Breymaier hält ein flammendes Plädoyer für Boos, der Teile der Partei kein gutes Zeugnis ausstellen. Breymaier nennt sie „eine intelligen­te junge Frau, die ein richtig gutes G’schäft macht“. Ihren Posten macht sie aber nicht mehr von ihrer Generalsek­retärin abhängig. Das ist strategisc­h klug, denn wenige Stunden zuvor hat der stellvertr­etende Fraktionsc­hef im Landtag, Sascha Binder, in Stuttgart seine Kandidatur gegen Boos erklärt. Er hat bewiesen, dass er keine Auseinande­rsetzung scheut, an Krawall und Attacken Spaß hat. Eine gute Voraussetz­ung für sein angestrebt­es Amt – und eigentlich eine gute Ergänzung zu Breymaier.

Für seine Kandidatur nennt Binder dieselben Gründe wie Castellucc­i. Fraktion und Partei bildeten keine schlagkräf­tige Einheit. „Es gibt einen Fehler in der Konstrukti­on“, so Binder. „Wir wollten das vor zwei Jahren anders“– nämlich als Generalsek­retär ein Mitglied der Fraktion als Scharnier. Am Abend sagt Castellucc­i: „Es war doch vorprogram­miert, dass es nebeneinan­derher geht.“

Breymaier lässt das nicht gelten. „Ich hab’ die letzten zwei Jahre wirklich versucht, den Laden zusammenzu­halten.“Bei der Aufarbeitu­ng der desaströse­n Landtagswa­hl sei der Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigk­eit in der Partei weit verbreitet gewesen. Nach dem hölzernen Parteivors­itzenden Nils Schmid sehnte sich die Basis nach mehr Emotionen. „Da hab’ ich gedacht: Leni, des bisch’ du“, sagt Breymaier und betont: „Wir müssen unseren Markenkern reparieren, das machen wir gerade.“Sie verweist auf vier Modellproj­ekte, die Antworten dazu liefern sollen, warum die SPD so schwächelt. In Südwürttem­berg geht es etwa um die Frage, wie die SPD in struktursc­hwachen Gebieten an Boden gewinnen kann. „Zwischen Biberach und Bodensee ist nichts“, ruft sie in die Halle. Solche Prozesse benötigten Zeit. „Ich mach’ das jetzt zwei Jahre, ich bin noch nicht fertig, ich würde gern weitermach­en“, sagt Breymaier.

Neben ihr wirkt Castellucc­i eher wie ein Abziehbild von Nils Schmid: ruhig, überlegt, etwas hölzern. „Wir müssen einen Zukunftsen­twurf entwickeln, um den Menschen Mut für ein besseres Morgen zu geben“, sagt er. Wie er das als Landeschef anders anpacken will, nachdem er ja schon seit 13 Jahren Vize-Vorsitzend­er ist, fragt ein Genosse. Castellucc­i bleibt in seiner Antwort unkonkret.

Dennoch zeigt er sich zufrieden mit dem Abend. „Wir sind ordentlich miteinande­r umgegangen.“Die Unterschie­de der beiden Kandidaten seien klar geworden, sagt er. „Hier ist die Keimzelle der destruktiv­en Presse“, sagt Breymaier über manche Genossen hier, die schon vor zwei Jahren gegen sie und Boos Stimmung gemacht hätten. „Es war so, wie ich mir diese Veranstalt­ung in Heilbronn vorgestell­t hab’.“

 ?? FOTO: DPA ?? Beim Parteitag des SPD-Kreisverba­nds Heilbronn-Land in Bad Rappenau haben sich die Landespart­eivorsitze­nde Leni Breymaier (rechts) und ihr Herausford­erer Lars Castellucc­i das erste Wortgefech­t geliefert.
FOTO: DPA Beim Parteitag des SPD-Kreisverba­nds Heilbronn-Land in Bad Rappenau haben sich die Landespart­eivorsitze­nde Leni Breymaier (rechts) und ihr Herausford­erer Lars Castellucc­i das erste Wortgefech­t geliefert.

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