Häftling
Ob Oleg Senzow schon weiß, dass das Europaparlament ihm den Sacharow-Preis für Menschenrechte verliehen hat? Die Strafkolonie Labytnangi, in die der ukrainische Filmregisseur weggeschlossen wurde, liegt östlich des Ural-Gebirges – und nördlich des Polarkreises. Hier kommt keiner vorbei, um sich nach dem Befinden zu erkundigen.
2014 im Mai wurde Senzow auf der Krim vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen. Zusammen mit drei ukrainischen Aktivisten, die wie er Russlands Einverleibung der Krim nicht hinnehmen wollten. Senzow und die Mitangeklagten wurden der Zugehörigkeit zur nationalistischen ukrainischen Bewegung „rechter Sektor“bezichtigt. Das passt zum offiziellen russischen Feindbild: Die Annexion der Krim hat Moskau mit der vermeintlichen Machtübernahme ukrainischer Faschisten in Kiew begründet. Senzow werden Anschläge gegen ein Büro der Kreml-Partei „Einiges Russland“und eine Einrichtung der „Russischen Gemeinschaft der Krim“zur Last gelegt, außerdem soll er die Sprengung eines Lenin-Denkmals geplant haben.
„Ich habe nie zu Aktionen aufgerufen, die Opfer verursacht hätten“, beteuerte dagegen Senzow. Weder hätte er eine Terrororganisation gegründet noch eine Verbindung zu Rechtsradikalen gesucht. Die Vorwürfe gegen ihn wurden von den russischen Anklägern nie bewiesen. Im August 2015 verurteilte ein Gericht Senzow in Rostow am Don dennoch zu 20 Jahren Haft.
Im Mai dieses Jahres trat er in einen Hungerstreik. Er forderte die Freilassung von 64 Ukrainern, die seiner Ansicht nach aus politischen Gründen festgehalten werden – vergeblich. Nach mehr als 140 Tagen brach Senzow Anfang Oktober den Protest ab, da ihm Zwangsernährung drohte. Gesundheitlich ist er seitdem angeschlagen. Klaus-Helge Donath