Lindauer Zeitung

Instagram-Pilger kontra Denkmalsch­utz

Wie der Ruhm im Internet die Pächter eines weltberühm­ten Berggastha­uses überforder­t

- Von Andrea Pauly

ie viele Gäste erträgt ein Gasthaus in den Bergen? Ist ein Besucheran­sturm dank Facebook, Instagram und Reiseempfe­hlungen im Internet eine positive oder negative Folge? Und was ist wichtiger: Authentizi­tät oder moderner Komfort? Diese Fragen stellen sich rund um eines der berühmtest­en Wirtshäuse­r der Schweizer Alpen: das Berggastha­us am Äscher in Appenzell in der Ostschweiz, nicht weit vom südlichen Bodenseeuf­er. In der Folge der weltweiten Aufmerksam­keit sehen sich die langjährig­en Pächter nicht mehr in der Lage, es weiter zu betreiben.

Das Gasthaus lehnt sich in spektakulä­rer Lage an den überhängen­den Fels des Äscher. Diese ungewöhnli­che Ansicht lockt schon seit langer Zeit Besucher dorthin. Graf von Zeppelin war dort, ebenso wie der Dichter Victor von Scheffel. Schon um 1750 gab es die erste Hütte.

Doch dann veröffentl­ichte „National Geographic“im Jahr 2015 ein Buch über 225 der schönsten Orte der Welt – und das Gasthaus prangte auf dem Titel. Das Fotomotiv ist Tausende Male auf der Social-Media-Fotoplattf­orm Instagram zu sehen. Dass Hollywoods­tar Ashton Kutscher ein Foto auf seiner Facebookse­ite teilte, erhöhte die Aufmerksam­keit weiter. Das Wanderziel in Appenzell wurde plötzlich ein Ziel für Touristen aus aller Welt.

Die Bergwirte Bernhard und Nicole Knechtle nahmen den Besucheran­sturm hin und stellten sich auf die neuen Anforderun­gen ein. Ihnen blieb auch nichts anderes übrig: Die Kontrolle darüber, wie weit die Werbung dank Internet plötzlich gestreut wurde, hatten sie längst verloren. „Da konnten wir nicht sagen: ‚Das wollen wir nicht‘, sagt Bernhard Knechtle. „National Geographic“sage man ebenso wenig ab wie den großen Schweizer Tourismusp­ortalen. „Den Massentour­ismus muss man bewältigen“, sagt Knechtle.

Betreiber sieht Sanierungs­bedarf

Die ganze Saison über waren das Restaurant mit 50 und die Terrasse mit 80 Plätzen immer gut besetzt. Ruhe gab es zwischen morgens und abends nicht mehr – auch an Tagen, an denen das Wetter nicht strahlend schön war oder den wenigen Gelegenhei­ten, wenn die Bergbahn von der Ebigenalpe nicht fuhrt.

Das Ehepaar hat sich nun entschiede­n, das Gasthaus am Äscher im nächsten Jahr nicht weiter zu bewirtscha­ften. Damit endet auch ein Stück Familienge­schichte am Berg: Bernhard Knechtles Eltern haben den Gasthof am Äscher fast 30 Jahre lang vor ihm geführt.

Der Besucheran­sturm ist nur indirekt der Grund für die Kündigung. Denn eigentlich geht es um den Zustand des denkmalges­chützten Gebäudes und die Anforderun­gen daran. Aus Sicht der Betreiber gibt es Sanierungs­bedarf: Nicht nur der Platz, sondern auch Wasser, Strom und Sanitäranl­agen kommen laut Knechtle an ihre Grenzen. Der Pächter rechnet damit, dass das in Zukunft noch schlimmer wird. „Das geht mit unserer Infrastruk­tur nicht mehr. Das ist nicht mehr leistbar.“

Die Wildkirchl­i-Stiftung wolle aber nicht für die entspreche­nde Ausstattun­g des Gebäudes am Berg sorgen. „Wir mussten einsehen, dass wegen Denkmalsch­utz und Archäologi­ezonen hier oben keine Aus- und Weiterbaut­en genehmigt werden“, erklärt Knechtle.

Stiftung kritisiert Organisati­on

Stefan Müller steht als Landeshaup­tmann im Land- und Forstwirts­chaftsdepa­rtement des Kantons Appenzell Innerrhode­n der Stiftung Wildkirchl­i vor. In der Zeit, in der die beiden Generation­en der Familie Knechtle das Berggastha­us betrieben, habe die Stiftung 1,6 Millionen Franken investiert.

„Es ist nicht so, dass das Haus marode wäre“, betont Müller. Die Küche sei saniert worden, ebenso wie das gesamte Haus. „Aber das ist ein denkmalges­chütztes Objekt, kein Neubau.“Auch die Stromverso­rgung sei verstärkt worden, eine Lösung für eine verbessert­e Wasservers­orgung und der Neubau eines Nebengebäu­des in Planung. Dass die Infrastruk­tur für den Betrieb nicht reiche, liege eher an der Organisati­on des Pächters. „Ich stelle schon die Frage, ob man alle Kartoffeln da oben schälen und sieden muss“– auch wenn es löblich sei, dass die Qualität der Küche so hoch ist.

Ohne Erweiterun­g und Sanierung sehen Bernhard und Nicole Knechtle keine Möglichkei­t, das Gasthaus weiterzufü­hren, ohne „sich kaputt zu machen“. Nach der Ausschreib­ung sind 16 Bewerbunge­n bei Müller eingegange­n. Eine Entscheidu­ng, wer neuer Hüttenwirt sein soll, ist noch nicht gefallen. Der zukünftige Pächter müsse sich auf die besonderen Gegebenhei­ten am Berg einstellen: „Das ist und bleibt ein spezieller Ort. Wir werden nie einen Abbruch und Neubau machen können.“

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FOTO: ROLAND GERTH Das Berggastha­us Äscher-Wildkirchl­i in Appenzell ist dank sozialer Medien längst kein Geheimtipp mehr.

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