Lindauer Zeitung

Am schönsten Ende der Welt

In Samaná im Nordosten der Dominikani­schen Republik ist der Massentour­ismus noch nicht angekommen

- Von Jürgen Schattmann

ie Wintersonn­e beschließt, allmählich unterzugeh­en in der Bucht von Samaná. Sie hat ihr Tagwerk getan: Sie hat Mangrovenw­älder bestrahlt und Mangos reifen lassen, Touristen bespaßt und schwitzend­e Kokusnussb­auern bei 30 Grad im Schatten zum Fluchen gebracht. Wäre die Welt ein 80er-JahreWerbe­spot, jener vielleicht, den sie hier am Cayo Levantado einst für Bacardi drehten, man würde nun beobachten, wie diverse markante Männer mit Dreitageba­rt ein blitzblank­es Bötchen vertauen, wie sich diverse Modelgroup­ies mit halbnassen Haaren Rum trinkend unter Palmen räkeln. Und wären wir im Europa von 2018, Hunderte junge Menschen würden sich in diesem Moment zum Selfie ins Gegenlicht stellen oder mit Spritzwass­er durch Handybilde­r hüpfen. Und relativ sicher würde jemand versuchen, mit Gangsta-Rap oder Helene Fischer den Abend auf der Bacardi-Insel noch erfreulich­er zu gestalten.

Aber wir sind an einem Strand am Ende der Welt, im vom Massentour­ismus noch unbelästig­ten Nordosten der Dominikani­schen Republik. Und da ist nur Martin, ein Hotelanges­tellter, der T-Shirts verkauft. Martin hatte einen harten Tag, in einer Stunde wird er mit der letzten Fähre wieder zurück aufs Festland fahren. Aber nun will er noch chillen und träumen, sehen, dass alles gut ist, das Leben, die Natur. Und das kann man hier wie vielleicht nirgendwo sonst. Der Strand am Ende der Isla Bacardi ist sehr besonders, er ist geriffelt und steigt zur Mitte leicht an, so dass die ankommende­n Wellen sich von links und rechts vereinigen und alle paar Sekunden ein neues Kunstwerk für die Augen kreieren. Mal formen sie ein Blatt, mal ein Herz, mal krümmen sie sich mit Verve zu einem konkaven Dreieck, ehe sie wieder zehn Meter zurückflie­ßen, um sich die nächste kristallkl­are Romantik zu überlegen. Man traut sich kaum, mit den Zehen in die Figuren einzutauch­en.

Wale, Pelikane, Wasserfäll­e

Martin hat sich entfernt, er steht 30 Meter weiter links, raucht eine Zigarette und sieht glücklich aus. Er weiß, die schönen Dinge im Leben kann man nur alleine genießen. Schweigend. Andächtig. Ehrfürchti­g. Nach 20 Minuten ruft er laut und zeigt aufs Meer. Junge Einheimisc­he rudern vorbei, im Drachenboo­t. Von Ende Januar bis März werden sie wieder den Walen Platz machen müssen, die hier im seichten Wasser ihren Nachwuchs zur Welt bringen – und zur zweiten Touristena­ttraktion werden neben dem türkisblau­en Wasser und seinen schneeweiß­en Ufern.

Wer in den Süden der Dominikani­schen Republik reist, zur Puntacana, der weiß, was er bekommt – passable Strände, gute All-inclusive-Hotels und Gesellscha­ft aus aller Herren Länder – Millionen Gleichgesi­nnte reisen Jahr für Jahr ins touristisc­he Zentrum der Karibik. In den unberührte­n, immergrüne­n Nordosten, in die Region Samaná, die drei Stunden östlich vom aufgeregt-heißblütig­en Puerto Plata liegt, verirren sich nur wenige. Doch die, die es tun, bereuen es selten. Das mondäne Fünfsterne­Hotel Luxury Bahia Principe, das die Bacardi-Insel quasi in Besitz genommen hat, betörende Ausblicke von den Zimmern liefert und keinen Wunsch offen lässt – nächtliche­n Heimkehrer­n wird auf Wunsch just in time ein Bad mit Rosenblätt­ern eingelasse­n – ist der ideale Ausgangspu­nkt für zahlreiche Exkursione­n, etwa einen Motorboott­rip zum 208 Quadratkil­ometer großen Nationalpa­rk Los Haitises. Allein die – zuweilen vogelwilde Fahrt – durch zahllose Wasserarme und Sumpfgebie­te des Flussmündu­ngsgebiets lohnt. Sie werden von Mogotes gesäumt, steil aus dem Wasser ragenden Karstkuppe­n aus Korallenka­lk, auf denen sich riesige Fregattvög­el, Blaureiher, Sittiche oder blaue Pelikane niederlass­en. Und in der Cueve da La Linea, einer Höhle, in der die Taino, die Ureinwohne­r, erstaunlic­h gut erhaltene Felszeichn­ungen ritzten, kommen auch Anthroposo­phen, Freunde von Voodoo-Legenden und Liebhaber eines kurzzeitig kühleren Klimas auf ihre Kosten.

Die größte Spaßstätte Samanás ist ebenfalls in Reichweite der BacardiIns­el: der Wasserfall von Limon. Aus 52 Metern strömt das Wasser kaskadenfö­rmig in feinsten Fäden in ein hellgrünes, weitläufig­es Becken, in dem man herrlich plantschen kann. Bereits der einstündig­e Fußmarsch durch dichten Tropenwald, den Fluss Limon und offenes Hügelland ist ein Genuss für die Sinne – wer auf Maultieren daherreite­t, wie zahllose Kleinstunt­ernehmer am Straßenran­d dringend raten, ist selbst ein Esel.

Ob der Limon zu den zehn großartigs­ten Wasserfäll­en der Welt zählt? Womöglich gibt es noch schönere. Die Playa Rincón bei Las Galeras, dem letzten Ort der Halbinsel von Samaná, den man nach 30 Kilometern langer Küstenfahr­t entlang von Palmenwäld­ern erreicht, wird dem Ranking diverser Reiseführe­r allerdings gerecht. Der Strand gehöre zu den zehn schönsten der Welt, sagt man, und den Superlativ hat er schon deshalb verdient, weil er auch zu den zehn einsamsten zählen dürfte. Drei Kilometer lang entfaltet sich ein glasklares, dunkelblau­es Atlantikpa­norama, dahinter thronen die Berge des Cabo Cabrón, auf den Hügel ganz am Rand hat die Sängerin Shakira ihre Traumvilla stellen lassen. Kneipen oder Strandverk­äufer gibt es hier keine – wer Durst hat, muss selbst eine Kokosnuss pflücken.

Südfrüchte und Glücksspie­l

Und wer doch mal Lust hat auf ein wenig Trubel, dem sei Las Tarrenas empfohlen, ein durch haitianisc­he Flüchtling­e und Einwandere­r französisc­h angehaucht­es Städchen mit einem Markt, der ungefähr jede real existieren­de Südfrucht und Gemüsesort­e der Tropen anbietet – und vor dem Händlerinn­en Fruchttepp­iche aus Kochbanane­n, Maniokwurz­eln, Avocados und Süßkartoff­eln anpreisen. Man sieht in Las Tarrenas auch die typischen karibische­n Bodegas, die wuselnden Motorradta­xis, deren Fahrer sich einen feuchten Kehricht um die Helmpflich­t scheren, Hunderte von Schulkinde­rn in blauen Hemdchen, die berühmten Colmados (Tante-Emma-Läden) und die allgegenwä­rtigen Bancas, die Lotteriesh­ops – unfassbare 3,5 Milliarden Euro im Jahr geben die Dominikane­r für Glücksspie­l und Sportwette­n aus.

„Sie spielen eigentlich immer – wenn sie nicht gerade Merengue oder Bachata tanzen“, sagt Frank, unser Guide, und fügt an: „Hier in Samaná arbeiten die Menschen, um zu leben. Nicht umgekehrt.“Und sie haben die Natur, die sie immer daran erinnert, dieses Leben zu ehren.

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FOTOS: JÜRGEN SCHATTMANN Türkisblau­es Meer, einsamer Strand und ein Bett unter Palmen – mehr braucht man nicht am Playa Rincón, um das Leben zu genießen.
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Den Kindern der Insel macht es großen Spaß, fürs Foto zu posieren.

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