Auf der „Spielwiese für die Forschung“
Für den Naturschutz erfassen Biologen den Pilzbestand in Westallgäuer Tobelwäldern
SCHEIDEGG/WESTALLGÄU - Mit einem abgestorbenen Baumstamm kann sich Andreas Gminder fast eine Stunde lang beschäftigen. Behutsam steigt er über eine Wurzel, kniet ins vertrocknete Laub, beugt sich tief über das tote Holz und krabbelt beinahe darunter. Den Blick hat er fest auf die Rinde gerichtet. Er achtet nicht auf den Vogel, der über ihm krächzt oder die Wuchtigkeit der steilen Hänge, die rund um ihn in die Schlucht abfallen. Den 54-Jährigen interessieren vor allem Sporen und Porlinge. Er ist Mykologe, ein Biologe spezialisiert auf die Pilzkunde, und derzeit gemeinsam mit Isolde Miller, Gebietsbetreuerin des Bund Naturschutz (BN), in Westallgäuer Wäldern unterwegs – zum Erfassen des Pilzbestands.
Untersuchungsgebiete sind Tobelwälder wie in der Eistobelschlucht, im Lengatzer Tobel oder in der Rohrachschlucht im neu ernannten Naturwaldreservat. Sieben bis acht Orte verteilt über den Landkreis, Schutzgebiete und welche ohne besonderen Schutzstatus, nehmen die Kartierer unter die Lupe. Besonderes Augenmerk liegt auch auf sogenannten Urwaldreliktarten – Pilzsorten, die ab einer gewissen Menge Totholz in einem Wald vorkommen. „Bei manchen Arten braucht das sehr lange und man findet sie erst, wenn ein Gebiet sich weitgehend störungsfrei entwickelt hat“, erklärt Gminder. Im Rohrach, wo Grundstücke im Besitz der Lindauer BN-Kreisgruppe sind, ist die Chance groß, auf solche Arten zu treffen.
Die Untersuchungen dienen zunächst zur Sammlung von Daten. Noch können die Forscher nicht sagen, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird. Ziel ist auch, die Tobel auf ihre Schutzwürdigwürdigkeit zu überprüfen. Die Erkenntnisse können beispielsweise dazu führen, dass etwa Schutzgebietsverordnungen angepasst werden oder die Bewirtschaftung der Wälder besser eingeschätzt werden kann, erklärt Gminder. „Die Frage ist dann: Was kann man tun, um die Lage zu verbessern? Nicht immer ist nämlich nichts tun der beste Weg.“Vor allem bei Pilzen wisse man oft noch nicht, was sie genau brauchen.
Diese Lebewesen sind schwierig zu erfassen. Denn im Regelfall sind nur die Fruchtkörper zu sehen – und das nur zu bestimmten Zeiten. Das eigentliche Pilzgewebe, das Myzel, liegt meist im Verborgenen. Freilich wissen Ortskundige und heimische Pilzkenner oft, wo welche Arten häufig vorkommen. „Die Erfahrungen sind für uns unschätzbar und guter Ausgangspunkt. Die Kenntnisse sind aber nicht statistisch auswertbar“, erklärt Gminder. Mit den Kartierungen der Wissenschaftler lassen sich zum Beispiel Gebiete aus dem Bayerischen Wald mit dem Westallgäu vergleichen.
Drei Begänge zu verschiedenen Zeiten sind vorgesehen. Gminder und Miller haben in den Gebieten sogenannte Plots markiert – Stellen mit etwa 18 Meter Radius – auf denen die Pilzkartierer eine Stunde lang „alles suchen, was wir finden“, erklärt Gminder knapp. Freilich müssen sich die Forscher beschränken. „Es geht darum, auf einer repräsentativen Fläche einen Überblick zu bekommen, was für das Gebiet charakteristisch ist.“
Gebietsbetreuerin Isolde Miller hat schon mehrere Kartierungen unterschiedlicher Arten begleitet. Seit 2003 war sie erst für das Bodenseeufer zuständig, dann kamen die Moore im Landkreis hinzu und seit drei Jahren auch die Tobel. Gerade in den Schluchten gebe es Wissensdefizite und noch viel zu erforschen, sagt sie. Als ausgebildete Landschaftspflegerin sieht sie sich als „Frau fürs Grobe“, sucht die Themen und Stellen, die einer näheren Betrachtung wert sind, und stößt die Projekte an. Für die Kartierung ist die Regierung von Schwaben federführend, die spezialisierte Biologen beauftragt.
Sind die Ergebnisse ausgewertet, ist ein Schritt, Naturschutz und sinnvolle Nutzung der Wälder zu vereinbaren. „Wir sind nicht gegen eine Walbewirtschaftung. Holz ist ein guter und wichtiger Rohstoff“, stellt Miller klar. „Aber es muss beides geben: Nutzung und Rückzugsorte für die Natur.“Die Gebietsbetreuerin bezeichnet es als Glücksfall, dass ihre Vorläufer in der BN-Kreisgruppe die Flächen in der Rohrachschlucht einst als Sperrgrundstücke kauften, um Wegebau zu verhindern. Heute sei in dem Naturwaldreservat „eine Spielwiese für die Forschung“. Hier können Dauerbeobachtungsflächen eingerichtet und Zusammenhänge untersucht werden.