Zeitenwende am Zuckerhut
Man darf ja noch hoffen. Sich einbilden, dass das alles nur ein böser Traum ist, was da im größten und wirtschaftlich stärksten Land Lateinamerikas gerade passiert. Die Brasilianer, dieses fröhliche und nette Volk, werden doch nicht wirklich einen rechtsradikalen Hetzer, Frauen- und Minderheitenächter, einen Feind von Umweltschutz und Demokratie zu ihrem Präsidenten wählen.
Es steht zu befürchten, dass sie eben genau das am Sonntag doch tun. Jair Bolsonaro, Ex-Offizier und ExAbgeordneter, führt in den Umfragen anscheinend uneinholbar. Es wäre ein Desaster für Brasilien, eine Katastrophe für Lateinamerika und letztendlich auch eine Gefahr für den Planeten, denn Bolsonaro plant, die Amazonas-Region zur Ausbeutung und Abholzung vollständig freizugeben. Auch die Lunge der Welt steht am Sonntag also zur Disposition.
Selbst Donald Trump wirkt wie ein Tor gegen diesen lateinamerikanischen Radikalen. Wo Trump wankelmütig und unberechenbar ist, verfolgen Bolsonaro, seine Söhne und seine Entourage ein politisches Restaurationsprojekt. Sie verhöhnen Institutionen wie Gerichte und das Parlament, internationale Verpflichtungen und drohen ungerührt allen, die anders denken. Linken und Mitgliedern der Zivilgesellschaft haben sie schon Exil oder Gefängnis in Aussicht gestellt. Sie sehnen die Zeit der Militärdiktatur zurück.
Brasilien hat diese 21 Jahre zwischen 1964 und 1985 anders als Argentinien und Chile nie aufgearbeitet. Täter wurden nicht zur Verantwortung gezogen, Opfer bekamen keine Gerechtigkeit. Nur so ist zu erklären, dass ein Politiker von einer Diktatur schwärmt und die Menschen ihm dafür applaudieren. Der historische Fehler rächt sich jetzt dramatisch.
Gepaart mit den Fehlern der Linksregierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff, die auch mit schuld sind an endemischer Korruption, Wirtschaftsflaute und einer unglaublichen Kriminalität, ist das der perfekte Nährboden für ein Phänomen wie Jair Bolsonaro. Ein Politiker, der Hass predigt, wird Präsident. Brasilien steht unmittelbar vor dem Abrutschen in finstere Zeiten.