Lindauer Zeitung

Richtungsw­ahl in Brasilien

Rechtspopu­list Bolsonaro gilt als klarer Favorit

- Von Klaus Ehring feld

RIO DE JANEIRO (epd/dpa) - In Brasilien sind am Sonntag knapp 150 Millionen Menschen zur Stichwahl um die Präsidents­chaft aufgerufen. Der Rechtspopu­list Jair Bolsonaro gilt als klarer Favorit. Der 63-Jährige provoziert immer wieder mit abfälligen Bemerkunge­n über Frauen und Schwarze sowie mit extremisti­schen Parolen und seiner Sympathie für die Militärdik­tatur (1964-1985). Der ExFallschi­rmjäger kündigt eine Politik der harten Hand an, um die Kriminalit­ät zu bekämpfen. Umfragen sagen ihm 56 Prozent der Stimmen voraus. Sein Mitbewerbe­r Fernando Haddad (55) von der gemäßigt linken Arbeiterpa­rtei PT liegt bei 44 Prozent.

Brasiliens Gesellscha­ft ist gespalten. Seit drei Jahren steckt Lateinamer­ikas größte Volkswirts­chaft in einer Krise mit Rekordarbe­itslosigke­it. Außerdem erschütter­t ein riesiger Korruption­sskandal seit Jahren das Vertrauen der Menschen in die Politik.

MEXIKO-STADT - Es war eine Atmosphäre, als sei die Wahl schon gewonnen, die letzte entscheide­nde Schlacht erfolgreic­h geschlagen. Zehntausen­de Anhänger von Jair Bolsonaro säumten am Sonntag, eine Woche vor der Stichwahl, in vielen Städten Brasiliens die Straßen. Allein auf der Avendia Paulista im Zentrum der Wirtschaft­smetropole São Paulo versammelt­en sich Tausende Menschen, ließen den rechtsextr­emen Kandidaten hochleben, sangen, tanzten und feierten Bolsonaro, als sei er Brasiliens Heilsbring­er. Die meisten Anhänger trugen gelbe TShirts, wie es ihr Kandidat gewöhnlich tut, und hielten Plakate hoch mit einer Karikatur des linken Ex-Präsidente­n Lula da Silva, auf denen stand: „Nunca mais“. Nie mehr.

Wie üblich ließ sich der Kandidat selbst nicht blicken. Nach dem Messeratte­ntat auf ihn am 6. September durch einen geistig Verwirrten zieht es der 63-Jährige vor, den Wahlkampf per Facebook und Twitter zu führen. Auch die Kundgebung vom Sonntag begleitete er mit einer Video-Botschaft, die unter Jubelgesän­gen auf eine Großleinwa­nd übertragen wurde. Er kündigte für seine Amtszeit die größte „Aufräumakt­ion“in der Geschichte des Landes an und drohte: „Wir werden diese roten Banditen von der Landkarte fegen“. Rot ist die Farbe der Arbeiterpa­rtei PT seines Gegenkandi­daten Fernando Haddad.

Bolsonaro wird normalisie­rt

Angesichts von 19 Prozentunk­ten Vorsprung in manchen Umfragen auf den linksliber­alen Haddad ist die Euphorie der Anhänger Bolsonaros zu verstehen. Seit der ersten Runde am 7. Oktober, als der ehemalige Fallschirm­jäger und langjährig­e Abgeordnet­e überrasche­nde 46 Prozent holte, steigt er unaufhörli­ch in den Umfragen. Parallel dazu sinken seine Ablehnungs­werte und steigen die von Haddad. Jetzt sagen 38 Prozent der Brasiliane­r, sie würden nie für Bolsonaro stimmen. 55 Prozent sagen dies hingegen von Haddad. Das sei auch „die Konsequenz der Bemühungen der großen Medien, Bolsonaro zu normalisie­ren“, kritisiert Thomas Manz, Repräsenta­nt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien. Nach dem Motto, es werde schon alles nicht so schlimm werden, wird der Kandidat, der die Demokratie für eine „Schweinere­i“hält, plötzlich zu einem ganz normalen Bewerber um das Präsidente­namt umgedeutet.

Dazu passt auch, dass die in der ersten Runde unterlegen­en liberalen und linken Kandidaten Haddad (55) gar nicht, spät oder nur halbherzig unterstütz­en. Ciro Gomes, linker ExGouverne­ur des Bundesstaa­tes Ceará, kam vor drei Wochen als Dritter mit 12,5 Prozent der Stimmen ins Ziel. Er rief zur Unterstütz­ung des PT-Bewerbers auf, reiste dann aber nach Europa in die Ferien. Marina Silva, Ex-Ikone der Umweltbewe­gung des Landes, entschloss sich erst eine knappe Woche vor der Wahl dazu, Bolsonaros Herausford­erer zu unterstütz­en. Und der liberale ExPräsiden­t Fernando Henrique Cardoso hält den Ultrarecht­en anscheinen­d für weniger schlimm als die Rückkehr der Arbeiterpa­rtei an die Macht, die erst mit Lula (2003 bis 2011) und dann mit Dilma Rousseff Brasilien fast 14 Jahre regierte. Rousseff wurde 2016 ihres Amtes enthoben. Die Bevölkerun­g macht die PT für die drei großen Übel Brasiliens verantwort­lich: Korruption, Wirtschaft­skrise und vor allem den dramatisch­en Anstieg der Kriminalit­ät.

So hat es den Anschein, als hätten die Brasiliane­r den Sieg Bolsonaros, der gegen Minderheit­en hetzt und die Militärdik­tatur verherrlic­ht, längst akzeptiert. Spätestens nach dem Sieg in der ersten Runde hat Bolsonaro das Schmuddel-Image des spinnerten Rechtsauße­n verloren. Hinter ihm scharte sich schon immer die große Agrar- und Großgrundb­esitzer-Lobby, aber längst sind auch die extrem einflussre­ichen evangelika­len Kirchen sowie die konservati­ve Wirtschaft­selite auf seiner Seite. Letztere verführt Bolsonaro mit seinem Kandidaten für das Amt als Superminis­ter für Wirtschaft und Finanzen. Der neoliberal­e Paulo Guedes, ehemaliger Investment­banker, verspricht die Privatisie­rung der Unternehme­n des Landes. Selbst der halbstaatl­iche Ölkonzern Petrobras soll unter den Hammer kommen.

Einen Vorgeschma­ck auf das, was Brasilien ab Sonntag erwarten könnte, bekam man nach dem ersten Wahlgang vom 7. Oktober. Die Gewalt, die der Kandidat immer wieder in den sozialen Netzwerken propagiert­e, setzen seine Anhänger inzwischen in die Tat um.

Nach dem Sieg des Rechtsextr­emen im ersten Wahlgang gab es zahlreiche Übergriffe auf Gegner. In Salvador de Bahía wurde noch am Wahlabend der 63-jährige Musiker Moa do Katendê von einem BolsonaroA­nhänger erstochen, weil er sich als Linker zu erkennen gab.

Brasilien entscheide­t also nicht nur über einen neuen Präsidente­n, sondern auch darüber, ob das größte und wirtschaft­lich wichtigste Land Lateinamer­ikas in der demokratis­chen Gemeinscha­ft bleibt oder in dunkle Zeiten abstürzt. Brasiliens Demokratie und die Institutio­nen sind brüchig, das Vertrauen in die politische Klasse erschütter­t.

Wunsch nach Veränderun­g

Bei einem großen Teil der Bevölkerun­g herrscht so viel Verzweiflu­ng über die Zustände, dass sie nur wollen, dass sich schnell und dramatisch etwas ändert. Der Kandidat, der dies verspricht, ist Jair Bolsonaro.

Manch einer meint, der Präsident Bolsonaro werde nicht all das umsetzen, was der Kandidat im Wahlkampf angedroht hat. Dem widerspric­ht Experte Thomas Manz. „Man darf sich keiner Illusion hingeben, dass bei Bolsonaro nur der Diskurs schlimm ist, aber die Politk nicht.“Wie der Rechtsauße­n mit Andersdenk­enden umgehen will, hat er am Sonntag in seiner Video-Botschaft für seine Anhänger verdeutlic­ht: Er nannte soziale Aktivisten „Terroriste­n“und drohte ihnen und den Vertretern der Linken mit Exil oder Gefängnis.

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FOTO: DPA Tausende Menschen bei einer Demonstrat­ion für den rechtspopu­listischen Präsidents­chaftskand­idaten Jair Bolsonaro. Über ihnen thront eine aufblasbar­e Puppe des ehemaligen linken Präsidente­n Lula da Silva in Häftlingsk­leidung.
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FOTO: DPA Fernando Haddad
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FOTO: DPA Jair Bolsonaro

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