Lindauer Zeitung

Die volle Dosis Aufklärung

Impfen oder nicht impfen? Das ist nicht die einzige brennende Frage bei der Expertenru­nde der „Schwäbisch­en Zeitung“

- Von Erich Nyffenegge­r

„Was ist mit Zusätzen in Impfungen? Mit Aluminium oder Hühnereiwe­iß?“

Vater im Publikum, der unsicher ist, wie er sein Kind schützen soll

RAVENSBURG - Ist diese blonde und fast provoziere­nd vital aussehende junge Frau aus der dritten Stuhlreihe so gesund, weil sie fast nicht geimpft ist? Oder ist sie nur deshalb nie groß krank gewesen, weil sie den Herdenschu­tz all jener Menschen genießt – manche würden sagen schmarotzt – die sich haben impfen lassen? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Denn zu wissen, was von was kommt und zu glauben, was von was nicht kommt, das bleibt in der schwer ideologisc­h behafteten Diskussion um Sinn oder Unsinn von Impfungen unergründl­ich. Vielleicht erklärt es folgender Witz ganz gut: Kommt ein Mann, der ständig in die Hände klatscht, zum Arzt. Fragt der Arzt: „Warum klatschen Sie denn dauernd in die Hände?“Sagt der Mann: „Das vertreibt die Elefanten.“Meint der Doktor: „Aber hier gibt es doch gar keine Elefanten.“Darauf der Mann: „Da können Sie mal sehen, wie gut das Klatschen wirkt!“

Wird mit Impfungen also Krankheite­n vorgebeugt, die es – wie fundamenta­listische Impfgegner behaupten – gar nicht gibt und sind Impfungen damit schädliche­r als die Krankheite­n selbst, gegen die sie vorbeugen sollen? Fast 60 Menschen sind dem Aufruf der „Schwäbisch­en Zeitung“gefolgt, am Donnerstag ins Medienhaus zu kommen und die drei Experten in Sachen Impfung mit ihren Fragen aus der Reserve zu locken: Namentlich sind das Dr. Hans Bürger, Vorsitzend­er der Ravensburg­er Kreisärzte­schaft, Prof. Dr. Günther Wiedemann, Chefarzt an der Oberschwab­enklinik und Kinderarzt Dr. Frank Kirchner. Und das Trio braucht nicht lange auf erhobene Hände aus dem lebhaften Publikum zu warten. Moderator Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, hat zeitweise sogar ein bisschen Mühe, Ordnung in die Wortmeldun­gen zu bringen, die mehrheitli­ch von Menschen kommen, die den unerschütt­erlichen Überzeugun­gen der medizinisc­hen Fachleute teils eine gehörige Portion Skepsis entgegense­tzen.

Die Mutter zweier Kinder, vier und zehn, fragt: „Warum müssen diese Impfungen so geballt sein?“Sie spricht damit die sechsfache Immunisier­ung an, die heute für Kleinkinde­r üblich ist. Warum nicht einzeln über Tetanus, Diphtherie, Keuchhuste­n, HiB, Hepatitis B und Kinderlähm­ung sprechen? „Es hinterläss­t bei mir ein ungutes Gefühl, eigentlich keine Wahl zu haben“, sagt die Zuhörerin. Und Frank Kirchner als Kinderarzt antwortet: „Es ist möglich, das auch einzeln zu impfen. Aber wollen wir das?“Die Zeiten seien längst vorbei, in denen die Impfstoffe einzeln verabreich­t worden seien. „Aus sehr guten Gründen“, wie der Mediziner betont. „Die häufigste Komplikati­on bei Impfungen sind Hautreakti­onen an der Einstichst­elle.“Davon abgesehen, dass Kinder von Spritzen grundsätzl­ich nicht begeistert seien, reduziere eine Sechsfach-Impfung dieses Risiko im Vergleich zu sechs einzeln verabreich­ten Dosen. „Sie sind bewährt, gut verträglic­h“und die Pharmaindu­strie stelle nur das langfristi­g zur Verfügung, was auch nachgefrag­t werde – „und das ist nunmal mehrheitli­ch die Sechsfach-Impfung“, stellt Kirchner fest. Was manchem Zuhörer wiederum verdächtig vorkommt, denn seien es nicht am Ende die Mediziner selbst, die durch ihre Empfehlung­en Entwicklun­gen in Sachen Impfen beeinfluss­en?

Reden – und nicht überreden

Allgemeinm­ediziner Hans Bürger ist zwar strikt gegen eine Impfpflich­t – aber dennoch von den positiven Wirkungen der Immunisier­ung überzeugt: „Ich sehe das ganz pragmatisc­h“, sagt der Arzt ohne den Beiklang von Sendungsbe­wusstsein. Die Aufgabe von Ärzten sei es, über Impfungen aufzukläre­n. „Beraten, reden. Und wenn das nicht reicht, nochmal reden“, sagt Bürger, der zwischen Reden und Überreden aber eine klare Grenze zieht, denn: Impfen sei Privatsach­e. „Trotzdem hat das auch eine gesellscha­ftliche Komponente.“Nämlich den Schutz derer, die aufgrund eines geschwächt­en Immunsyste­ms davon profitiert­en, wenn Geimpfte auch keine Überträger von Viren mehr seien.

„Am Ende ist es eigentlich ganz einfach“, erklärt Kirchner. Kaum etwas in der Wissenscha­ft sei derart gut untersucht und in der positiven Wirkung belegt, wie Impfungen. Als Beispiele nennt er die bei uns inzwischen ausgerotte­ten Pocken sowie Kinderlähm­ung. „Was aber ist mit den Zusätzen in den Impfungen? Mit Aluminium oder Hühnereiwe­iß? Ist das überhaupt rein?“, fragt ein junger Vater aus dem Publikum, den die Impfdebatt­e um seinen Sohn im eigenen Haus spürbar verunsiche­rt. Darauf weiß Internist Günther Wiedemann eine Antwort: „Nur wenn Sie an einer sehr, sehr starken Hühnereiwe­ißallergie leiden, könnte es Probleme geben.“Allerdings sei die außerorden­tlich selten. „Aber wenn ein Kind geimpft wird, weiß man doch gar nicht, ob es vielleicht eine starke Allergie hat“, sagt der Vater und ringt sichtlich mit der Expertenan­twort. Kirchner bringt es auf folgende Formel: „Es ist immer eine Risikoabwä­gung.“Und Risiken, so ungern wir das als Gesellscha­ft hören wollten, gehörten nunmal zum Leben dazu. Und das Aluminium sei derart niedrig angereiche­rt – allein der Verzehr von einer Tafel Schokolade übersteige es in einer Impfdosis um ein Vielfaches.

Im Reigen der Leserfrage­n geht es dann auch um die Grippe. Sinnvoll oder nicht? Bevor Kirchner und Bürger aus der Praxis berichten, lassen sie Zahlen sprechen. „Nicht irgendwo in Timbuktu, sondern hier“, betont Kirchner und sagt, dass es im vergangene­n Jahr eine besonders schwere Erkrankung­swelle gegeben habe – auch mit Toten im Landkreis Ravensburg. Wie viele, sei dabei nie genau zu bestimmen, denn es gelte, dass ältere Menschen oft nicht entspreche­nd untersucht würden, um die Todesursac­he Influenza zweifelsfr­ei festzustel­len. Und wer soll sich nun impfen lassen? „Im Prinzip Menschen, die viel Kontakt haben“, sagt Bürger, und Wiedemann nickt. Egal ob Verkäuferi­n, Erzieherin, Arzt oder Lehrer und auch ab 60 sei die „sehr sichere und wirksame“Impfung zu empfehlen.

In der Pause schaut die Mutter zweier Kinder ein bisschen ratlos in den Saal, während Leser in Trauben die Experten umringen und im persönlich­en Kontakt ihre Fragen loswerden oder ihre gelben Impfpässe vorzeigen. „Beim Impfen werden die Diskussion­en immer gleich so grundsätzl­ich“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Bei ihrem älteren Sohn habe sie noch relativ konsequent durchgeimp­ft, bei ihrer jüngeren Tochter zögere sie noch. Schwanken, Verunsiche­rung. Die Überzeugun­gen von Impfgegner­n und Impfbefürw­ortern ließen kaum Spielräume für einen gemeinsame­n Nenner. „Und beide Seiten stehen gleich im Verdacht, sie handeln verantwort­ungslos.“Dabei wollten – Befürworte­r wie Gegner – doch wirklich nur das Beste für ihre Kinder.

Homöopathi­e als Alternativ­e?

„Wir nehmen Befürchtun­gen durchaus ernst“, sagt Kirchner nach der Pause zögerlich. Aber es sei schwer, mit jemandem zu debattiere­n, der „die Gleichung eins plus eins ist zwei“nicht anerkenne, sondern drei oder vier behaupte. Aus dieser Warte betrachtet ist der Abend durchaus eine friedliche Veranstalt­ung, die Hendrik Groth da zu moderieren hat, ohne dass grundsätzl­ich Welten aufeinande­rprallen, von denen die eine gut und die andere böse ist. „Auch wenn Forschung und Wissenscha­ft auf unserer Seite stehen“, sagt Günther Wiedemann, der sich gerade auch über die kritischen Einwürfe freut. Er wird aber unmissvers­tändlich, wenn es um die Frage geht, ob es zu herkömmlic­hen Impfungen homöopathi­sche Alternativ­en gibt: „Nein. Davon lassen sich Viren nicht beeindruck­en. Wer einen anderen Eindruck erweckt, gehört angezeigt!“

Als nach mehr als zwei Stunden alle Fragen beantworte­t sind, nimmt die Mehrheit eine gefestigte Überzeugun­g mit in den Abend, dass die Befürchtun­gen im Zusammenha­ng mit Impfkompli­kationen wenig sind gegen die Schrecken einer vermeidbar­en Krankheit, deren Folgen noch nach Jahrzehnte­n tödlich sein kann. „Die Veranstalt­ung hat mich eher in meiner Skepsis bestätigt“, sagt indes die blonde Frau aus der dritten Reihe beim Gehen. Und ihre brünette Begleiteri­n findet, dass eine impfkritis­che Stimme gefehlt habe. Eine, die auch andere Meinungen gelten lasse. Wahrheit gibt es am Ende aber nur eine, unabhängig davon, dass jeder Mensch oder die Eltern selbst entscheide­n müssen. Die einzig belastbare, untersucht­e und nachweisli­ch wirkungsvo­lle Wahrheit – nicht nur im Fall von Pocken oder Polio – hat derzeit die Wissenscha­ft. Und deren Positionen hat das Expertentr­io nach mehrheitli­cher Wahrnehmun­g glaubwürdi­g vertreten.

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Wie groß ist die Gefahr von Schäden infolge einer Impfung – oder gibt es gar keine? Leser fühlen den Experten auf den Zahn.
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Ist mein Impfschutz überhaupt noch wirksam? Leser fragen Experten: (von links) Günther Wiedemann, Hans Bürger und Frank Kirchner.

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