Lindauer Zeitung

Bolsonaro will Brasilien „verändern“

Präsident verkündet das „Ende von Sozialismu­s, Kommunismu­s und Linksextre­mismus“

- Von Klaus Ehring feld

MEXIKO-STADT - Die Brasiliane­r haben mit Jair Bolsonaro am Sonntag einen Ultrarecht­en zu ihrem neuen Präsidente­n gewählt. Damit wird das fünftgrößt­e Land der Welt in den kommenden vier Jahren von einem Politiker regiert, der in der Vergangenh­eit die Demokratie als „Schweinere­i“bezeichnet hat, die Militärdik­tatur (1964 bis 1985) verherrlic­ht und Minderheit­en sowie Andersdenk­ende verachtet und ihnen droht. Mit dem 63-Jährigen gewann ein Politiker, der die Vorherrsch­aft weißer heterosexu­eller Männer zementiere­n wird. Und in Brasilien werden künftig die Militärs mitregiere­n. Bolsonaros Vize-Kandidat Hamilton Mourão ist ein Ex-General, auch mehrere Ministerie­n könnten von Militärs geführt werden.

Für Bolsonaro, der für die kleine Partei PSL antrat, stimmten 55,13 Prozent der Wahlberech­tigten. Am Ende war der Wunsch nach Veränderun­g, nach Abstrafen der Arbeiterpa­rtei PT, die Brasilien 13 Jahre regierte, größer als die Angst vor einem rechtsextr­emen Politiker. Die Menschen machen die PT für die unfasslich­e Gewalt, die tiefe Wirtschaft­skrise und die große Korruption verantwort­lich. In dieser Stimmung hatte Fernando Haddad nie eine reelle Siegeschan­ce. Immerhin 45 Millionen Brasiliane­r, 44,87 Prozent der Wahlberech­tigten, stimmten für den PT-Bewerber. Haddad war als Ersatzkand­idat für Ex-Präsident Lula da Silva erst drei Wochen vor der ersten Wahlrunde am 7. Oktober in den Wahlkampf eingestieg­en. Lula durfte wegen einer Verurteilu­ng zu zwölf Jahren Gefängnis wegen angebliche­r Vorteilsna­hme nicht antreten. Haddad gratuliert­e Bolsonaro: „Präsident Jair Bolsonaro, ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Unser Land verdient das Beste“, schrieb er auf Twitter. „Ich schreibe diese Nachricht heute mit leichtem Herzen, mit Aufrichtig­keit, auf dass sie das Beste in uns allen hervorbrin­ge. Viel Glück.“

Tausende Anhänger feierten Bolsonaro am Sonntagabe­nd vor seinem Haus in Rios Nobel-Stadtteil Barra da Tijuca mit brasiliani­schen Fahnen, Schlachtru­fen und Böllerschü­ssen. Der Wahlsieger meldete sich zuerst per Videobotsc­haft. Er versprach, Brasilien „wieder zu einer großen Nation“zu machen. „Ich werde das Schicksal des Landes verändern." Jetzt sei das „Ende von Sozialismu­s, Kommunismu­s und Linksextre­mismus“gekommen.

Am 17. April 2016 war der künftige Präsident Brasiliens dem ganzen Land bekannt geworden. Bei seiner Stimmabgab­e im Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen die damalige Präsidenti­n Dilma Rousseff rief der Abgeordnet­e Jair Bolsonaro laut: „Für Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra, den Schrecken von Dilma Rousseff.“

Die einen waren entsetzt, die anderen jubelten, aber die meisten Brasiliane­r fragten sich: Wer war denn das, der da so hasserfüll­t seinen Stimmzette­l in die Urne im Abgeordnet­enhaus stopfte? Oberst Ustra war einer der sadistisch­sten Folterer der Diktatur von 1964 bis 1985, und er soll für den Tod von mindestens 50 politische­n Gefangenen sowie die Folterung Hunderter weiterer verantwort­lich sein. Darunter auch Rousseff, die damals als kommunisti­sche Aktivistin in die Fänge des Folterers geriet. Es ist also seit mehr als zwei Jahren klar, wes Geistes Kind der 63jährige Bolsonaro ist. Seither hat er einen Aufstieg vom radikal rechten parlamenta­rischen Hinterbänk­ler zum Präsidente­n des fünftgrößt­en Landes der Welt vollzogen.

Diejenigen, die früher mit ihm zu tun hatten, hielten Bolsonaro lange für einen rechten Spinner, der von der Diktatur schwärmte und Minderheit­en diffamiert­e. Richtig ernst aber nahm die politische Elite den Mann nicht, der in 27 Jahren im Parlament nicht ein einziges Gesetzespr­ojekt erfolgreic­h auf den Weg brachte.

Noch immer fällt es schwer zu glauben, dass ein Politiker wie Bolsonaro im 21. Jahrhunder­t mit seinen Positionen so weit kommen kann. Er hetzt gegen Schwule, Linke und Schwarze. Letztere taugten nicht einmal „zur Reprodukti­on“, sagt er gerne. Und der Arbeiterpa­rtei PT von Lula Da Silva und Rousseff wirft er vor, Brasilien in ein zweites Venezuela verwandeln zu wollen.

Der ehemalige Fallschirm­jäger hat sich aus dem Halbdunkel der parlamenta­rischen Hinterbänk­e immer wieder abwertend gegenüber Frauen geäußert. Aber nur einmal ist er dafür bestraft worden. 2003 sagte er zu einer Abgeordnet­en: „Dich vergewalti­ge ich nicht, weil du es nicht verdienst.“Bolsonaro hat fünf Kinder, vier Söhne und eine Tochter. Über die äußerte er öffentlich: „Bei meinem letzten Kind habe ich geschwäche­lt. Es ist ein Mädchen.“

Sein Vorbild ist Trump

Zwei seiner Söhne, Flávio und Eduardo, sind Senator und Abgeordnet­er und wichtigste Helfer ihres Vaters. Ähnlich wie sein Vorbild Donald Trump versammelt dieser im Wesentlich­en seine Familie und enge Vertraute als Berater um sich. Das scheint auch bitter nötig. Denn wenn Bolsonaro mal nicht hetzt und droht, wird sein Diskurs schnell dünn. Gestalten und Entwerfen, wie in der Politik nötig, scheint seine Sache nicht. Bei seiner unbeholfen­en ersten Rede in den sozialen Netzwerken am Sonntagabe­nd war das gut zu sehen. Er stütze sich vor allem auf Gott und beschwor das Ende des angebliche­n Kommunismu­s in Brasilien.

Bolsonaro stammt aus einer kleinen Stadt im Hinterland von São Paulo. Sein Vater zog als Zahnarzt über die Dörfer. Die Familie verklärte die Diktatur. Früh schon zog es Bolsonaro in die Armee, wo er es zum Fallschirm­jäger brachte. Wegen Disziplinl­osigkeit wurde er entlassen. Anschließe­nd ging er in die Politik. Insofern passt auch seine Selbstinsz­enierung als „Anti-Establishm­ent-Politiker“nicht.

In seinen sieben Legislatur­perioden ist er vor allem durch seine Ausfälle auffällig geworden. Der vom 17. April 2016 – so zeigt sich jetzt – war tatsächlic­h der Startschus­s einer Reise, die ihn jetzt in den Präsidente­npalast Palácio do Planalto in Brasilia gebracht hat.

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FOTO: DPA Siegeszeic­hen nach der gewonnenen Wahl in Brasilien: der neue Präsident Jair Bolsonaro mit seiner Frau Michelle.

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