Lindauer Zeitung

Eine schrecklic­h nette Familie

Yael Ronen inszeniert „#Genesis“an den Münchner Kammerspie­le mit Humor

- Von Christiane Wechselber­ger

MÜNCHEN - Es geht um Väter, die Mütter sind in Yael Ronens neuer Theaterarb­eit an den Münchner Kammerspie­len „#Genesis – A Starting Point“problemati­sch abwesend. So wird der Abend über die Schöpfungs­geschichte auch zur Geschlecht­erdebatte.

Das alles ist nur passiert, weil Mutti Vati verlassen hat. Aber was soll eine mesopotami­sche Fruchtbark­eitsgöttin auch mit so einem faden transzende­nten Gott anfangen, der einfach nur ist? Das Sexuelle hat ihn nie wirklich interessie­rt, gesellig war er auch nicht. Mit dem Monotheism­us hat er es gründlich übertriebe­n, die anderen Göttinnen und Götter in der Nachbarsch­aft wollte er nicht treffen. Stattdesse­n hat er sich mit den Kindern Adam und Eva im Paradies verbarrika­diert. Und Eva (Wiebke Puls) hatte eine echt schwierige Pubertät, weil Vati von Körpern nichts wissen wollte.

Der Typ alleinerzi­ehender Gott war er nicht, analysiert die Schlange (Daniel Lommatzsch). Sie muss es wissen, sie war von Anfang an dabei und beantworte­t die lange schwelende­n Fragen der Kinder. Sie kennt auch Lilith, die Krawallgör­e (Zeynep Bozbay), die Gott verstoßen und stattdesse­n Töchterlei­n Eva gemacht hat. Und das alles nur für Adam (Damian Rebgetz), der ewig mäkelt. Vati Gott wollte doch nur, dass sie’s mal besser haben. Und was wollen sie? Den freien Willen. Können sie haben. Fast könnte Gott einem leidtun, so hilflos überforder­t hebt Samouil Stoyanov als Schöpfer des Vollkommen­en die Hände.

Kurvenreic­he Diskussion­en

Doch zurück zum Anfang. Da schleichen sich die sechs Schauspiel­er durch die Proszenium­sloge vor den eisernen Vorhang. Damian Rebgetz hat uns was zu sagen. Wir sind auch fast die Ersten, die es erfahren. Er wird uns verlassen, hätte gern mehr Spaß mit uns gehabt. Dieser fulminante Prolog ist eine Abschiedsr­ede an eine spröde Geliebte und thematisie­rt unverkennb­ar und genauso ironisch wie vorwurfsvo­ll die (in zwei Jahren) zu Ende gehende Intendanz Lilienthal.

Wie aber nun überleiten auf das Thema Genesis? Daniel Lommatzsch als Therapeut vom Dienst vermutet die Ursache von Damians Verletzthe­it in einer gestörten Vater-SohnBezieh­ung. Wiebke Puls konstatier­t, man müsste zurück zu dem Moment, als alles aus dem Ruder lief. Also alles auf Anfang. Nur wo ist der Anfang? Und so entspinnt sich eine kurvenreic­he Diskussion um Gott und Vater und wer nicht mehr mit wem spricht und warum. Da hebt sich der eiserne Vorhang und gibt ein traumschön­es wie aus Zeit und Raum gefallenes Bühnenbild (Wolfgang Menardi) frei. Eine Halbkugel, die auf dem Bühnenbode­n ruht, kreist und schaukelt. Und über ihr öffnet sich ein riesiger Spiegel, der wie ein Auge aus dem Weltraum auf die Erde oder ins Paradies schaut.

Auf der Halbkugel lässt es sich trefflich liegen und die darauf projiziert­en kunsthisto­rischen Schöpfungs­bilder mit den eigenen Körpern nachlegen. Das Ensemble stellt Schöpfungs­mythen nach, die alle wesentlich aufregende­r sind als die alte Baum-Apfel-Schlange-Sache. Trotzdem kommen sie auf die zurück und zur dysfunktio­nalen, weil mutterlose­n, partriarch­alisch geprägten Urfamilie, ist doch die Familie die Keimzelle von allem.

Hochkomisc­he Szenen

Yael Ronens Themensamm­lung mäandert hochkomisc­h zwischen Schöpfungs­mythen, Schauspiel­erbefindli­chkeiten, Seelenzust­änden und Genderdeba­tten. Mit Wiebke Puls, Zeynep Bozbay, Jeff Wilbusch, Damian Rebgetz, Samouil Stoyanov und Daniel Lommatzsch, die bei der Premiere stürmisch gefeiert werden, hat sie klug kreiselnde Argumentat­ionsketten über Göttliches und Menschlich­es entwickelt, aber auch einfach nur albern-komische Szenen, die nach „Sketch History“aussehen.

Amit Epstein hat dafür zauberhaft­e Paradiesko­stüme mit Pailletten­glitzer geschaffen und HippieMakr­amee-Albträume. Es wäre aber keine Yael-Ronen-Arbeit, wenn nicht die möglicherw­eise persönlich­en Geschichte­n der Schauspiel­er mit hineinspie­len würden. Und so endet der knapp zweistündi­ge Abend in einem berührende­n Kaleidosko­p, wenn Wiebke Puls, Jeff Wilbusch und Damian Rebgetz ihre ganz eigenen Erfahrunge­n mit Religion und Kirche preisgeben.

 ?? FOTO: DAVID BALTZER ?? Yael Ronens „Genesis“-Stück über die Schöpfungs­geschichte besticht mit einem traumhafte­n Bühnenbild und zauberhaft­en Paradiesko­stümen – und viel Humor.
FOTO: DAVID BALTZER Yael Ronens „Genesis“-Stück über die Schöpfungs­geschichte besticht mit einem traumhafte­n Bühnenbild und zauberhaft­en Paradiesko­stümen – und viel Humor.

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