Lindauer Zeitung

Zur Selbstverw­irklichung den Zufall nutzen

Professor Thomas Fuchs spricht in der Inselhalle über Möglichkei­ten, die eigene Zukunft zu gestalten

- Von Gabriel Bock

LINDAU - Wie plant man eigentlich seine Zukunft? Klar, das geht über Vorsätze und Ziele. Egal ob für morgen, nächste Woche oder in zehn Jahren: Wir nehmen uns vor, was wir tun wollen, und versuchen dann, es zu erreichen. Dass uns dieses Verhalten aber eigentlich gar nicht so guttut, hat der Heidelberg­er Professor Thomas Fuchs am Montag vor rund 700 Teilnehmer­n auf der Arbeitstag­ung der internatio­nalen Gesellscha­ft für Tiefenpsyc­hologie in der Lindauer Inselhalle gezeigt. Fuchs hat eine Professur für philosophi­sche Grundlagen der Psychiatri­e an der Universitä­t Heidelberg und verbindet die medizinisc­h-psychiatri­sche Wissenscha­ft mit der philosophi­schen. Aktuell beschäftig­t er sich damit, auf welche Art und Weise Menschen ihre Zukunft gestalten.

Fuchs unterschei­det drei Typen von Zukunft. Die erste nennt er vitale Zukunft. Sie bezeichnet den direkten Bezug zu Bewegungen im Leben von Menschen, also das, was ihnen heute, morgen und übermorgen passiert. Diese Zukunft ist jedoch für Fuchs am wenigsten interessan­t. Viel wichtiger sind die anderen beiden Arten von Zukunft, die zeigen wie Menschen mit Neuem umgehen.

„Am weitesten verbreitet ist die sogenannte finale Zukunft. Dabei wird Zukunft als das Erreichen von Zielen und Erfüllen von Plänen verstanden“, erklärt Fuchs. Die Geschwindi­gkeit und die Vielschich­tigkeit des Alltags in modernen Gesellscha­ften sorgen seiner Meinung nach dafür, dass viele Menschen ihr Leben durch viel Planung und definierte Ziele stark strukturie­ren. So kommt es zum Beispiel, dass Menschen in Gespräche mit festen Vorstellun­gen gehen und wenig offen für ihr Gegenüber sind. Konflikte sind vorprogram­miert, für Ideen ist wenig Raum. Fuchs meint: „Das Problem bei einer so planungsor­ientierten Herangehen­sweise an Zukunft ist, dass immer nur das geplante passieren kann. So bleiben Chancen, die sich spontan bieten, ungenutzt.“

Anders ist das bei Fuchs drittem Zukunftsty­p. Bei der offenen Zukunft geht es vor allem darum, zufällige Ereignisse zu nutzen und Möglichkei­ten zu ergreifen, die sich spontan bieten. Eine extrem wichtige Rolle spielt der Zufall. Durch diesen seien Entwicklun­gen möglich, die im Voraus nicht zu erahnen sind. Fuchs sagt: „Fortschrit­t erzielen wir, indem wir in Zufallspro­zessen den richtigen Moment ergreifen.“Als Beispiel nennt Fuchs Erfindunge­n in der Wissenscha­ft. Diese seien auch nicht planbar, sondern würden oft davon abhängen, dass Forscher durch Zufall auf die richtige Lösung kämen. „Viele Naturwisse­nschaftler sprechen, wenn sie von ihren Entdeckung­en erzählen, davon, dass es ihnen wie Schuppen von den Augen fiel oder dass sie ein Blitzstrah­l der Erkenntnis getroffen hätte“, sagt Fuchs.

Als Beispiel nennt er den deutschen Chemiker August Kekulé. Dieser träumte im Jahr 1865 von einer Schlange, die sich in den Schwanz biss. Das nahm Kekulé zum Anlass, die Struktur von Kohlenstof­fatomen in Benzolmole­külen in einem Kreis zu zeichnen. Damit legte Kekulé einen Grundstein für die Entwicklun­g der organische­n Chemie, besonders für die Entwicklun­g von Benzin, also auch für die Erfindung des Autos.

Das ist laut Fuchs beispielha­ft. Er denkt, dass diese offene, spontane Herangehen­sweise Menschen helfen kann, für sich eine Zukunft zu finden. „Eine Offenheit und Empfänglic­hkeit gegenüber Neuem und Zufälligem ist für die Entfaltung der Persönlich­keit jedes Einzelnen wirklich wichtig“, sagt Fuchs. Er plädiert dafür, Alltag, Leben und Zukunft nicht strikt zu planen und durchzustr­ukturieren, sondern Raum für Spontaneit­ät zu lassen und Möglichkei­ten zu nutzen, die sich zufällig ergeben.

Beim Publikum, das vor allem aus Psychologe­n, und Psychother­apeuten besteht finden Fuchs’ Ausführung­en Anklang. Ein Zuhörer sagt: „Ich kann das aus meinem Arbeitsall­tag nur bestätigen, die Menschen, die offen an ihre Situation herangehen, haben es deutlich leichter.“

„Fortschrit­t erzielen wir, indem wir den richtigen Moment ergreifen.“Thomas Fuchs

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FOTO: GBO Der Andrang des Fachpublik­ums beim Vortrag von Professor Thomas Fuchs ist groß.

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