Zur Selbstverwirklichung den Zufall nutzen
Professor Thomas Fuchs spricht in der Inselhalle über Möglichkeiten, die eigene Zukunft zu gestalten
LINDAU - Wie plant man eigentlich seine Zukunft? Klar, das geht über Vorsätze und Ziele. Egal ob für morgen, nächste Woche oder in zehn Jahren: Wir nehmen uns vor, was wir tun wollen, und versuchen dann, es zu erreichen. Dass uns dieses Verhalten aber eigentlich gar nicht so guttut, hat der Heidelberger Professor Thomas Fuchs am Montag vor rund 700 Teilnehmern auf der Arbeitstagung der internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie in der Lindauer Inselhalle gezeigt. Fuchs hat eine Professur für philosophische Grundlagen der Psychiatrie an der Universität Heidelberg und verbindet die medizinisch-psychiatrische Wissenschaft mit der philosophischen. Aktuell beschäftigt er sich damit, auf welche Art und Weise Menschen ihre Zukunft gestalten.
Fuchs unterscheidet drei Typen von Zukunft. Die erste nennt er vitale Zukunft. Sie bezeichnet den direkten Bezug zu Bewegungen im Leben von Menschen, also das, was ihnen heute, morgen und übermorgen passiert. Diese Zukunft ist jedoch für Fuchs am wenigsten interessant. Viel wichtiger sind die anderen beiden Arten von Zukunft, die zeigen wie Menschen mit Neuem umgehen.
„Am weitesten verbreitet ist die sogenannte finale Zukunft. Dabei wird Zukunft als das Erreichen von Zielen und Erfüllen von Plänen verstanden“, erklärt Fuchs. Die Geschwindigkeit und die Vielschichtigkeit des Alltags in modernen Gesellschaften sorgen seiner Meinung nach dafür, dass viele Menschen ihr Leben durch viel Planung und definierte Ziele stark strukturieren. So kommt es zum Beispiel, dass Menschen in Gespräche mit festen Vorstellungen gehen und wenig offen für ihr Gegenüber sind. Konflikte sind vorprogrammiert, für Ideen ist wenig Raum. Fuchs meint: „Das Problem bei einer so planungsorientierten Herangehensweise an Zukunft ist, dass immer nur das geplante passieren kann. So bleiben Chancen, die sich spontan bieten, ungenutzt.“
Anders ist das bei Fuchs drittem Zukunftstyp. Bei der offenen Zukunft geht es vor allem darum, zufällige Ereignisse zu nutzen und Möglichkeiten zu ergreifen, die sich spontan bieten. Eine extrem wichtige Rolle spielt der Zufall. Durch diesen seien Entwicklungen möglich, die im Voraus nicht zu erahnen sind. Fuchs sagt: „Fortschritt erzielen wir, indem wir in Zufallsprozessen den richtigen Moment ergreifen.“Als Beispiel nennt Fuchs Erfindungen in der Wissenschaft. Diese seien auch nicht planbar, sondern würden oft davon abhängen, dass Forscher durch Zufall auf die richtige Lösung kämen. „Viele Naturwissenschaftler sprechen, wenn sie von ihren Entdeckungen erzählen, davon, dass es ihnen wie Schuppen von den Augen fiel oder dass sie ein Blitzstrahl der Erkenntnis getroffen hätte“, sagt Fuchs.
Als Beispiel nennt er den deutschen Chemiker August Kekulé. Dieser träumte im Jahr 1865 von einer Schlange, die sich in den Schwanz biss. Das nahm Kekulé zum Anlass, die Struktur von Kohlenstoffatomen in Benzolmolekülen in einem Kreis zu zeichnen. Damit legte Kekulé einen Grundstein für die Entwicklung der organischen Chemie, besonders für die Entwicklung von Benzin, also auch für die Erfindung des Autos.
Das ist laut Fuchs beispielhaft. Er denkt, dass diese offene, spontane Herangehensweise Menschen helfen kann, für sich eine Zukunft zu finden. „Eine Offenheit und Empfänglichkeit gegenüber Neuem und Zufälligem ist für die Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen wirklich wichtig“, sagt Fuchs. Er plädiert dafür, Alltag, Leben und Zukunft nicht strikt zu planen und durchzustrukturieren, sondern Raum für Spontaneität zu lassen und Möglichkeiten zu nutzen, die sich zufällig ergeben.
Beim Publikum, das vor allem aus Psychologen, und Psychotherapeuten besteht finden Fuchs’ Ausführungen Anklang. Ein Zuhörer sagt: „Ich kann das aus meinem Arbeitsalltag nur bestätigen, die Menschen, die offen an ihre Situation herangehen, haben es deutlich leichter.“
„Fortschritt erzielen wir, indem wir den richtigen Moment ergreifen.“Thomas Fuchs