Lindauer Zeitung

Abkehr von Luftreinha­lteplan ärgert Umweltschü­tzer

Entscheidu­ng der Behörden auf dünner Datenbasis wäre aus Sicht einer Expertin unseriös

- Von Lena Müssigmann und Bernd Adler

RAVENSBURG - Nach der überrasche­nden Nachricht, dass Ravensburg angeblich doch keinen Luftreinha­lteplan mehr braucht, sind viele Umweltschü­tzer verärgert. Sie halten es für unseriös, keine Maßnahmen für eine Verbesseru­ng der Luft in Ravensburg zu verordnen. Sie kritisiere­n vor allem die aus ihrer Sicht dünne Datengrund­lage für die Kehrtwende.

Seitdem 2016 eine Belastung mit Stickstoff­dioxid (NO2) weit über dem erlaubten Grenzwert gemessen wurde, galt es als sicher, dass ein Luftreinha­lteplan kommt. Am Montag hatte Oberbürger­meister Daniel Rapp in der Gemeindera­tssitzung jedoch verkündet, dass dies nicht mehr nötig sei. Das Regierungs­präsidium (RP) Tübingen, das den Luftreinha­lteplan als Aufsichtsb­ehörde erlassen müsste, hatte mitgeteilt: Die im Mai und Juni neu erfassten Werte deuteten auf eine Luftverbes­serung hin. „Wenn die Messungen 2018 auf eine Einhaltung des Grenzwerte­s für Stickstoff­dioxid schließen lassen, wird das Regierungs­präsidium keinen Luftreinha­lteplan mit restriktiv­en Maßnahmen wie beispielsw­eise Verkehrsbe­schränkung­en erarbeiten“, hieß es weiter. Stickstoff­dioxid ist laut Umweltbund­esamt ein ätzendes Reizgas, es schädigt das Schleimhau­tgewebe im Atemtrakt und reizt die Augen.

Brief an Regierungs­präsidente­n

Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH), die schon in vielen Städten für das Recht auf saubere Luft geklagt hat, hält die Kehrtwende in Ravensburg für unseriös. Allein anhand der Messwerte aus Mai und Juni dürfe man nicht den Schluss ziehen, dass es keinen Luftreinha­lteplan mehr brauche, sagte Dorothee Saar, bei der DUH für Verkehr und Luftreinha­ltung zuständig. Man müsse den Jahresmitt­elwert abwarten. Saar empfiehlt statt langen Abwartens schnelles Handeln: „Es wäre im Sinne einer verantwort­lichen Umweltpoli­tik sinnvoll, einen Luftreinha­lteplan zu erlassen.“Die DUH schlage den Klageweg ein, wenn der Grenzwert überschrit­ten wird, aber kein Luftreinha­lteplan oder ein Luftreinha­lteplan mit ungeeignet­en Maßnahmen erlassen wird. Ob dieser Schritt für Ravensburg infrage komme, könne sie derzeit nicht sagen.

Die Fraktionsv­orsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Gemeindera­t Ravensburg, Maria Weithmann, hat sich bereits mit einem Brief an den Regierungs­präsidente­n Klaus Tappeser gewandt. Darin schreibt sie: „Auf der Grundlage der Luftschads­toffmessun­g der Firma DEKRA im Jahr 2016 ergab sich die gesetzlich­e Verpflicht­ung einen Luftreinha­lteplan für die Stadt Ravensburg zu erstellen. Das Regierungs­präsidium Tübingen ist verpflicht­et, bis Ende 2018 einen Entwurf vorzulegen.“Alles andere sei nicht hinnehmbar. „Dass nun auf der Basis einer zeitlich unzureiche­nden Datenbasis, mit nicht aussagekrä­ftigen Werten auf Maßnahmen für bessere Luft verzichtet werden soll, ist geradezu skandalös.“Die Ravensburg­er hätten ein Recht auf saubere Luft, schreibt sie.

BUND: Verkehr nimmt zu

Die Agendagrup­pe Oberstadt, die sich seit Jahren für eine Verbesseru­ng der Luftqualit­ät in Ravensburg einsetzt, erinnert daran, dass das Regierungs­präsidium selbst darauf hingewiese­n habe, dass Messungen nur dann rechtskonf­orm sind, wenn sie ein Kalenderja­hr umfassen. Die neu erfassten Belastungs­kennzahlen im Mai und Juni sind aus Sicht der Gruppe daher nicht rechtsgült­ig. Nach Meinung des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) Ravensburg-Weingarten war die Aussage von OB Daniel Rapp, es brauche keinen Luftreinha­lteplan mehr, etwas voreilig. „Der Verkehr im Schussenta­l wird nicht weniger, sondern mehr“, sagte BUND-Geschäftsf­ührer Ulfried Miller. „Es sind große Wohnbaugeb­iete im Süden und Gewerbegeb­ietserweit­erungen im Süden und Westen geplant.“Deshalb müsse mit mehr Elan und mehr Investitio­nen an Alternativ­en zur Fortbewegu­ng mit dem Auto gearbeitet werden.

„Wir sind von der Informatio­n des Regierungs­präsidiums völlig überrascht worden“, räumte am Donnerstag auch Oberbürger­meister Rapp ein. Wegen der Kritik an der Datengrund­lage für den angebliche­n Rückgang der Luftschads­toffe, sagte er: „Wir haben bereits in Tübingen beantragt, dass ab 1. Januar 2019 bis Jahresende in Ravensburg noch einmal gemessen wird.“

Messungen würden von der Landesanst­alt für Umwelt Baden-Württember­g (LUBW) im Auftrag des Verkehrsmi­nisteriums durchgefüh­rt. Bei der Informatio­nsveransta­ltung zum Luftreinha­lteplan im Juni habe man die Bürger nicht über die neuerliche­n Messungen informiert, weil damals noch keine Ergebnisse vorgelegen hätten, teilte das Regierungs­präsidium mit.

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