Der Kampf mit den Buchstaben
Mit einer Lese-Rechtschreibschwäche sind Aufsätze und Diktate eine Herausforderung
OTTOBEUREN - Schreibt man nun „er hat“oder „er hatt“, „offen“mit einem f oder mit zwei, die „Uhr“mit h oder ohne? Das weiß man doch, denken sich wahrscheinlich die meisten. Für Kinder und Jugendliche mit einer Rechtschreibschwäche ist das eine große Herausforderung.
So war das auch bei dem zwölfjährigen Lukas (Name von der Redaktion geändert) . Er hat Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung. In der Grundschule waren seine Texte voll mit Fehlern, für die Hausaufgaben brauchte er drei Mal so viel Zeit wie seine Mitschüler und einen Text abzuschreiben, bereitete ihm schlichtweg Stress.
„Etwa zwei bis vier Prozent der Kinder und Jugendlichen haben eine Lese-Rechtschreibschwäche“, sagt die Germanistin Kerstin Gemballa aus Ottobeuren. Sie trainiert Schüler mit Legasthenie. Die Betroffenen erfassen die Regeln der deutschen Rechtschreibung nicht intuitiv, wie die meisten Menschen, sondern müssen sie mühsam erlernen, erklärt Gemballa. Auch das Lesen falle schwer. Dabei ist Legasthenie keine Krankheit und hängt auch nicht von der Intelligenz ab. „Legasthenie ist ein Begabungsmangel, der sich auf diesen Bereich beschränkt.“Gemballa vergleicht das mit einer musikalischen Kompetenz. „Die meisten Leute können ohne Probleme eine Melodie nachsingen, andere treffen die Töne nicht oder haben die Melodie sofort wieder vergessen.“Bei Legasthenie gebe es auch eine genetische Komponente. Das heißt, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten treten in Familien gehäuft auf.
Fortschritte durch Förderung
Für betroffene Kinder ist das eine große Hürde, weiß Gemballa. Mit der richtigen Förderung lassen sich aber deutliche Fortschritte erzielen. In ihren Unterrichtsstunden analysiert die Germanistin mit den Schülern die Fehler und bringt ihnen die Regeln der deutschen Rechtschreibung bei. Wann schreibt man Wörter groß oder klein, wann kommt ein stummes h und wann schreibt man ein ä statt e. Im Schnitt dauert ein Lese-Rechtschreibtraining mindestens zwei Jahre, sagt Gemballa. Auch im Erwachsenenalter werden Betroffene keine exzellenten Schreiber oder Leser sein, aber die Fehlerzahl lasse sich deutlich reduzieren. Das größte Problem: Legasthenie werde oft erst spät erkannt.
Er wollte nicht auffallen
Dass mit Lukas etwas nicht stimmt, fiel seiner Mutter schon in der zweiten Klasse auf. Damals schob sie seine Schreibschwäche jedoch noch auf eine verzögerte Entwicklung. Lukas hatte täglich zu kämpfen. In der Schule wollte er nicht auffallen. Gleichzeitig kostete es ihn unglaublich viel Konzentration, Texte zu schreiben. Er dachte zunächst, er sei schlichtweg zu dumm, Sätze fehlerlos abzuschreiben. Das Gefühl anders als die anderen zu sein, belastete ihn sehr.
Lukas’ Mutter war anfangs verzweifelt. Sie konnte sich das Verhalten ihres Sohnes nicht erklären und reagierte oft verärgert, wenn er ein vermeintlich einfaches Wort wieder und wieder falsch schrieb, erinnert sie sich. „Ich war verunsichert.“Da baute sich auch zu Hause ein Druck in der Familie auf. „Darunter hat das Eltern-Kind-Verhältnis gelitten“, erinnert sich Lukas’ Mutter.
Als Lukas die vierte Klasse besuchte und die Fehler immer noch die gleichen waren, kam seiner Mutter der Verdacht auf Legasthenie. Mit einem entsprechenden Test hatte die Familie schnell Klarheit: Lukas hat eine leichte Rechtschreibschwäche. Die Erleichterung war groß – bei den Eltern und bei Lukas – endlich zu wissen, warum das Schreiben so problematisch ist.
Heute ist Lukas in der siebten Klasse im Gymnasium. In Deutsch steht er auf einer soliden 3. Das fehlerlose Schreiben fällt ihm leichter. Nur in Latein habe er zu kämpfen, weil es da beim Übersetzen auf jede Endung ankommt. Das genaue Lesen erfordert viel Geduld und Übung. Eine Sonderbehandlung will Lukas aber auf keinen Fall. Auch wenn er sich ärgert, dass er in Biologie Punktabzug bekommen hat, weil er ein Fachwort wie „Mikroskop“mit b geschrieben hat. „So sind nun mal die Regeln“, sagt Lukas’ Mutter.