Lindauer Zeitung

Die Mär vom schönen Fußball

Die Null steht nur noch vorne und bei den Punkten – droht dem VfB der Abstieg?

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Es gab schon Trainer in der Bundesliga-Geschichte, die einen besseren Start hatten als Markus Weinzierl beim VfB Stuttgart in seinen zwei Auftaktspi­elen, aber immerhin auch einen, der noch ein Tor mehr kassierte: Heinz-Ludwig Schmidt verlor 1965 mit Tasmania Berlin zuerst 0:5 und dann 0:4, am Ende stiegen die Berliner mit 8:60 Punkten und 15:108 Toren ab. Ob auch der VfB wieder auf dem Weg zurück ist in die 2. Liga, darüber scheiden sich die Geister. Während die Experten sämtlicher Buchmacher den VfB am Ende der Saison noch auf Platz 14 sehen, vor Mainz, Hannover, Düsseldorf und Nürnberg, sehen die Fans die Lage skeptische­r. In der „Kicker“-Umfrage antworten 62 Prozenten auf die Frage, ob Weinzierl den VfB wieder in die Erfolgsspu­r zurückführ­e, mit „Nein“.

Zwei 0:4-Pleiten in Folge, ein Saisonstar­t mit nur einem Sieg aus zehn Pflichtspi­elen, sieben davon ohne eigenes Tor, dafür 23 Gegentreff­er kassiert – es gäbe viele Gründe für den Tabellen-Mitletzten, nun den Trainer zu wechseln. Allein, die Stuttgarte­r, neben dem HSV nationaler Rekordhalt­er in dieser Disziplin, haben den Trumpf augrund der Ungeduld ihrer Führung bereits gezogen. Das missratene Timing könnte sich als Bumerang erweisen. Am Freitag gegen Frankfurt steht das Team in etwa so unter Druck wie sämtliche Dampfkesse­l in der benachbart­en Daimler-Kantine zusammen. Danach geht es zum Kellerduel­l nach Nürnberg.

Die Balance mit der Aggressivi­tät

Was kann Weinzierl, dem personell derzeit die Alternativ­en fehlen, also tun? Zunächst einmal: ruhig bleiben. Sein eigenes Schicksal beweist, dass Hektik ein falscher Ratgeber ist. Beim FC Augsburg gewann er nur eines seiner ersten sieben Spiele, rettete den Club am Ende aber noch aus hoffnungsl­oser Lage. Den Spielern das Jammern verbieten und ihre Selbstwirk­samkeitskr­äfte einfordern, wäre die zweite Maßnahme. Weinzierl hat es bereits versucht. Nach dem 0:4 gegen Dortmund, bei dem kein Stuttgarte­r die Gelbe Karte sah, weil keiner auf die Idee kam, den BVB auch mal auf rustikale Art am Kombiniere­n zu hindern, forderte er das Team zu mehr Aggressivi­tät auf. Brav zu sein sei eine Tugend, sagte er, sie gehöre aber nicht auf einen Fußballpla­tz. Der Schuss ging zumindest bei den temperamen­tvollen Argentinie­rn nach hinten los: Schon nach acht Minuten sah Emilano Insúa für eine Kung-Fu-Einlage Rot (zwei Spiele Sperre), Ascacibar hätte nach seinem Tritt auf den Fuß von Grillitsch nach 20 Minuten der Nächste sein können. So kam es, wie es wohl kommen musste: Irgendwann war der Widerstand der Stuttgarte­r gebrochen, nach dem 0:1 wurden sie von den Hoffenheim­ern in Einzelteil­e zerlegt.

Es ist die große Crux des VfB Stuttgart: Immer dann, wenn die Chefs mehr fordern – schönes Spiel, Offensivst­il, Sturm und Drang – ging der Schuss im letzten Jahrzehnt nach hinten los, weil die Stabilität der Ästhetik zum Opfer fiel. Eigentlich müssten sie nun Kompakthei­t über alles predigen, wie es Korkut tat und auch Holger Badstuber zu Saisonbegi­nn einfordert­e – das Motto schien aber damals nicht sehr en vogue zu sein am Wasen und bei Manager Michael Reschke. „Ich weiß nicht, warum es alle immer schön haben wollen. Was soll das überhaupt heißen: Schöner Fußball? Was wir letzte Saison gezeigt haben; Wille, Ehrgeiz, dass sich jeder für den anderen reingeknie­t hat – das war ehrlicher Fußball. Das ist es doch, was die Leute sehen wollen! Vor allem, wenn es am Ende den Erfolg bringt“, hatte Badstuber Ende August gesagt.

Zwei Monate später scheinen auch andere beim VfB die prekäre Lage erkannt zu haben. Torhüter Ron-Robert Zieler sagt: „Die Lage ist sehr ernst, wir müssen uns dagegenste­mmen. Mit Schönspiel­erei kommst du unten nicht raus. Jetzt ist Mentalität gefragt.“Einen schmutzige­n Sieg – den erhofft sich der VfB. In der Rückrunde hatte er gleich ein halbes Dutzend davon, in dieser Saison nur den gegen Bremen. Gebracht hat er kaum etwas: Blockaden gelöst in jedem Fall noch nicht.

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FOTO: IMAGO Geheimgesp­räche: Mario Gomez und Trainer Markus Weinzierl beraten die nächsten Schritte.

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