„Wir haben Geisterfahrten unternommen“
Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber übt heftige Kritik an der Parteispitze
MÜNCHEN - Nach dem Wahldebakel ging es sehr schnell: Binnen zwei Tagen kündigte der CSU-Chef seinen Rückzug an– im Jahr 2008. Damals trat Erwin Huber zurück, wenig später wurde Horst Seehofer sein Nachfolger. Zehn Jahre später fordert Huber im Gespräch mit Ralf Müller wieder einen Neuanfang – wie in der Schwesterpartei CDU.
CDU-Chefin Angela Merkel hat ihren Rückzug vom Parteivorsitz angekündigt. Erhöht das den Druck, auch in der CSU-Spitze Veränderungen vorzunehmen?
Es ist ein sehr respektabler Schritt der CDU-Vorsitzenden. Man erkennt schon an den Reaktionen, dass er der CDU Auftrieb und eine neue Zukunft gibt. Die CSU steht vor einer ähnlichen Aufgabe, denn das schlechte Ansehen der Großen Koalition in Berlin hängt auch mit der Tätigkeit von CSU-Politikern zusammen. Deshalb stellt sich für die CSU eine vergleichbare Aufgabe.
Wie schnell müsste diese Aufgabe erledigt werden?
Natürlich sollte das noch in diesem Jahr erfolgen. Das ist gar keine Frage. Es ist ja auch im Zeitplan so vorgesehen. Wie bei der CDU ist es zunächst einmal die autonome eigenständige Entscheidung des Vorsitzenden selbst. Die ganze CSU ist in einem gewissen Wartezustand. Sie wartet auf ein klares Wort und nicht nur auf einen Zeitplan. Die CSU möchte im Miteinander mit den verantwortlichen Politikern diese Sache regeln – nicht im Gegeneinander und ständigem öffentlichen Streit. Selbstverständlich tickt da die Uhr. Innerhalb der nächsten 14 Tage muss klar sein, wie es weiter geht.
Können personelle Veränderungen den Niedergang der Volkspartei CSU aufhalten?
Ich meine, ein Teil des Misserfolgs bei der Landtagswahl ist hausgemacht. Das hängt mit der Flüchtlingsfrage zusammen und auch damit, dass die CSU in den letzten drei Jahren kaum andere Themen dargestellt und präsentiert hat. Diese Reduzierung auf ein Thema hat im Grunde der AfD genutzt. Die Aufgabe einer Volkspartei, Stabilität im Regierungshandeln zu garantieren und sinnvolle Kompromisse ohne ein ständiges Gegeneinander vorzubereiten, ist für das Funktionieren der Demokratie und die Handlungsfähigkeit des Staates sehr wichtig. Wir müssen uns anstrengen, dass diese wichtige Funktion der Volkspartei für das demokratische Geschehen wieder bewusster wird. Es wäre völlig falsch, den Anspruch einer Volkspartei aufzugeben, sondern wir müssen sie im Lichte der neuen gesellschaftlichen Veränderungen mit neuem Inhalt füllen.
Ist es ein Zeichen für neue Inhalte, wenn die CSU mit den Freien Wählern koaliert, mit denen es sehr wenige Unterschiede gibt?
Eine Regierungsbildung ist weder Kartenspiel noch Farbenlehre, sondern es muss eine gemeinsame Basis da sein. Vor allem muss das, was man vor der Wahl sagt, mit dem, was man nach der Wahl macht, übereinstimmen. Diese Übereinstimmung können wir natürlich am besten mit den Freien Wählern darstellen. Eine Koalition mit den Grünen hätte schon sehr starke Verbiegungen der CSU zur Folge gehabt, etwa in Fragen der Inneren Sicherheit, Asyl, Verkehrspolitik. Damit wäre eine Veränderung der CSU-Programmatik verbunden gewesen, die viele unserer Wähler nicht wollen. Deshalb war es sinnvoll, mit den Freien Wählern und nicht mit den Grünen zu verhandeln.
Hat der Misserfolg der CSU und der Erfolg der Grünen etwas damit zu tun, dass die CSU bei Themen wie Umwelt- und Klimaschutz kaum etwas zu sagen hatte?
Ich stimme der Kritik, dass wir ein Defizit in Naturschutz-, Umweltund Klimaschutzpolitik haben, ausdrücklich zu. Ich bin seit Langem der Meinung, dass man eine florierende Wirtschaft und aktive Umweltpolitik sehr sinnvoll miteinander verbinden kann. Wir haben in den letzten fünf Jahren umweltpolitische Geisterfahrten unternommen - zum Beispiel die Skischaukel am Riedberger Horn oder die Ankündigung eines dritten Nationalparks, der dann wieder beerdigt wurde. So kann man nicht glaubwürdige Umweltpolitik machen. Ich sehe übrigens in der Koalition mit den Freien Wählern eine Chance für uns. Die CSU wird vom Schöpfungsgedanken geleitet. Wir brauchen in der Landes- und Bundespolitik profilierte Klimapolitik. Es muss auch einmal geklärt werden, warum CSU-Bundesverkehrsminister in zwei Legislaturperioden bei der Diesel-Frage nicht geliefert haben. In Bayern in der Koalition mit den Freien Wählern müssen jetzt entsprechende Zeichen gesetzt werden. Und wir brauchen ein Gesicht, eine oder mehrere Persönlichkeiten, die erkennbar und auch streitbar Umweltpolitik machen. Das ist für mich eine der wichtigsten Konsequenzen aus dieser Landtagswahl.
Wie schwer fällt Ihnen als Wirtschaftspolitiker der Abschied vom Projekt einer dritten Startbahn am Münchener Flughafen, das wohl die Koalitionsverhandlungen nicht überleben wird?
Wenn es ein Moratorium dafür geben sollte, muss man die weitere Entwicklung am Flughafen beobachten. Ich halte eine dritte Startbahn für die wirtschaftliche Zukunft Bayerns in einer globalisierten Wirtschaft für unverzichtbar. Wenn man sieht, wie intensiv die Umweltauswirkungen in dem Genehmigungsbescheid für die Startbahn verankert sind, dann halte ich das auch mit Umwelt- und Naturschutz für vereinbar. Ein Abschied wäre aus meiner Sicht eine zukunftsblinde Politik.