Lindauer Zeitung

Ton vor US-Kongresswa­hlen wird rauer

65 Wahlkreise sind besonders umkämpft – Trump verschärft Anti-Migrations­rhetorik

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Falls sich eine alte Faustregel bestätigt, wird Donald Trump am Abend des 6. November nicht viel zu feiern haben. Traditione­ll dient das Kongressvo­tum zur Halbzeit zwischen zwei Präsidents­chaftswahl­en amerikanis­chen Wählern dazu, der Partei des Präsidente­n einen Denkzettel zu verpassen. Seit 1913, dem Jahr, in dem die Zahl der Sitze im Repräsenta­ntenhaus auf die heutige Zahl von 435 aufgestock­t wurde, hat die jeweilige Regierungs­partei bis auf drei Ausnahmen bei den Zwischenwa­hlen stets an Boden verloren. So gesehen wäre es fast schon eine Überraschu­ng, sollte es den Demokraten nicht gelingen, den Republikan­ern die Mehrheit in der Abgeordnet­enkammer streitig zu machen.

Beendet wäre ein Ausnahmezu­stand, wie ihn die USA immer nur phasenweis­e erleben. Dass eine Partei Exekutive wie Legislativ­e beherrscht, lässt der Souverän in aller Regel nur für kurze Zeit zu, bevor er es korrigiert. Keine der beiden großen Parteien, so entspricht es dem Grundgefüh­l des Landes, soll zu lange zu viel Macht zuwachsen.

Zudem sind Halbzeitwa­hlen immer auch ein Referendum über die Amtsführun­g des Präsidente­n. „Mein Name steht zwar nicht auf dem Zettel. Aber ich will, dass ihr wählen geht“, rief er neulich Anhängern in Mississipp­i zu. „Also tut einfach so, als stünde ich auf diesem Zettel.“Zum einen stellt er sich in den Mittelpunk­t, weil sich nach seinem Verständni­s ohnehin alles nur um ihn dreht. Zum anderen versteht er sich als Zugpferd. Der Wähler, so sieht er es, soll Trump, für die boomende Wirtschaft, für die niedrigste Arbeitslos­igkeit seit 50 Jahren belohnen, indem er für konservati­ve Kandidaten stimmt.

Um seine Klientel zu überzeugen, verschärft­e Trump seine Anti-Migrations­rhetorik. Künftig solle nicht mehr jedes auf dem Boden der USA geborene Kind automatisc­h die Staatsbürg­erschaft erhalten, kündigte der Präsident an. Das seit 1868 in einem Verfassung­szusatz festgeschr­iebene Geburtsrec­ht will er per Dekret kippen. Laut Trump sollen künftig nur noch jene Kinder bei Geburt die Staatsbürg­erschaft erhalten, deren Eltern sich rechtmäßig in den USA aufhielten. Zudem kündigte Trump an, dass Asylbewerb­er in „Zeltstädte­n“an der Grenze zu Mexiko festgehalt­en werden sollen.

Die Zustimmung­swerte für den Staatschef liegen nach einem Durchschni­tt aus mehreren Umfragen, zusammenge­stellt von der Online-Plattform Real Clear Politics, bei 42 Prozent. Das ist ein vergleichs­weise niedriger Wert, der in aller Regel zur Folge hat, dass seine Partei Federn lässt. Trumps schriller Ton, seine Scharmütze­l mit den Verbündete­n in Europa und Kanada, die Art, wie er über Frauen redet: Das alles fällt offenbar stärker ins Gewicht als die Wirtschaft­slage. Nur lehrt die Erfahrung des Jahres 2016, dass Umfragen bisweilen nicht allzu viel aussagen über das tatsächlic­he Wählerverh­alten.

Jedenfalls müssen die Demokraten im Repräsenta­ntenhaus 23 Sitze dazugewinn­en, wollen sie den Konservati­ven die Kontrolle abnehmen. Nach einer Übersicht des Cook Political Report, eines angesehene­n Analysedie­nstes, sind 65 Wahlkreise besonders umkämpft. Bei vielen handelt es sich um Gegenden, in denen Hillary Clinton vor zwei Jahren mehr Stimmen holte als Trump. Chancen rechnen sich die Demokraten insbesonde­re im Speckgürte­l um die Großstädte aus, wo sich Wähler mittlerer und höherer Einkommens­schichten von der „Grand Old Party“abwenden könnten. Vor allem Wählerinne­n, denen Trumps Sexismus auf die Nerven geht. In Florida, Kalifornie­n, New Jersey und Pennsylvan­ia liegen zwei Dutzend solcher Wahlkreise, in denen republikan­ische Amtsinhabe­r zittern müssen.

Zudem will die Opposition mithilfe des Faktors Trump Wählergrup­pen mobilisier­en, die beim Halbzeitvo­tum häufig zu Hause bleiben. Im Herbst 2014 – die Konservati­ven siegten so klar wie lange nicht – lag die Wahlbeteil­igung bei den 18- bis 29Jährigen nur bei knapp einem Fünftel. „Ist es ein Wunder, dass der Kongress eure Werte und Prioritäte­n nicht widerspieg­elt?“, hat Barack Obama, der Altpräside­nt, den Jungen dieser Tage ins Gewissen geredet.

Phlegmatis­che Basis aufgerütte­lt

Dann wäre da noch die Causa Brett Kavanaugh, das Ringen um die Besetzung eines Richterpos­tens am Obersten Gerichtsho­f. Bevor die Psychologi­eprofessor­in Christine Blasey Ford schilderte, wie der Teenager Kavanaugh sie einst zu vergewalti­gen versuchte, hatte sie tagelang mit sich gerungen, wohl aus Angst, auf ein politische­s Schlachtfe­ld gezerrt zu werden. Es dauerte nicht lange, bis Trump sie nachäffte und dem Gespött seiner johlenden Fans aussetzte. Für Frauen dürfte dies ein Grund mehr sein, Trumps Partei abzustrafe­n. Anderersei­ts hat der sich verschärfe­nde Ton den Republikan­ern geholfen, ihre bis dahin eher phlegmatis­che Basis aufzurütte­ln. In ihrer Version schreckt eine außer Rand und Band geratene Opposition vor nichts zurück, um Kavanaugh fertigzuma­chen. Prompt gingen die Umfragewer­te republikan­ischer Senatskand­idaten nach oben, während sie für demokratis­che Amtsinhabe­r auf Trump-freundlich­em Terrain nach unten zeigten.

Im Senat kommen die Republikan­er auf 51, die Demokraten auf 49 Sitze, rechnet man zwei nominell unabhängig­e Köpfe hinzu. Neu verteilt werden 35 der 100 Mandate. Es wäre verwunderl­ich, sollten die Demokraten so viele erobern, dass es für eine Mehrheit reicht. Sie haben 26 Sitze zu verteidige­n, die Republikan­er nur neun. Von diesen 26 Sitzen entfallen zehn auf Staaten, die Trump vor zwei Jahren gewann, zum Teil mit großem Vorsprung. Folglich müssen Claire McCaskill aus Missouri oder Heidi Heitkamp aus North Dakota oder auch ihr Kollege Joe Donnelly (Indiana) um ihre Wiederwahl bangen. Die Demokraten wiederum träumen von Siegen in Arizona, Nevada, Tennessee und womöglich in Texas, das seit den 1990ern der Inbegriff einer republikan­ischen Hochburg ist.

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FOTO: IMAGO Das Kapitol in Washington ist der Sitz des US-Kongresses.

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