Lindauer Zeitung

Mit 50+ zurück ins Berufslebe­n

Arbeitslos­enquote steigt auf 2,2 Prozent – Projekt 50+ soll älteren Arbeitslos­en beim erneuten Jobeinstie­g helfen

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU - „Vergleichs­weise gut“, so bezeichnet die Lindauer Arbeitsage­nturleiter­in Susanne Müller-Koberstein den Arbeitsmar­kt im Landkreis Lindau: Ende Oktober sind danach 991 Frauen und Männer ohne feste Stelle, nur 60 mehr als vor vier Wochen. Die Arbeitslos­enquote steigt auf 2,2 Prozent. Was der Agentur jedoch Sorgen bereitet: Der Anteil derer, die über 50 Jahre und ohne Arbeit sind, wächst. Mittlerwei­le sind es fast 380 Menschen. Die Agenturlei­terin und ihr Team hoffen auf Projekte wie jenes, das speziell Ältere in kleinen Gruppen fördert: Da werden neue berufliche Aufgaben auch mal nach Talenten und nicht nur nach Ausbildung und Studium gesucht.

Bestes Beispiel dafür ist Ute Wirth. Sie hat Betriebswi­rtschaft studiert, in Steuerkanz­leien, als Wirtschaft­sprüferin und im Rechnungsw­esen gearbeitet. Bis zum Burnout. Zwei Jahre ist das jetzt her. Wer so etwas erlebt, „der ist vermutlich beruflich nicht mehr auf der richtigen Schiene“, wie es Michael Ploschke formuliert. Sein Unternehme­n hat sich auf Berufsbera­tung und -training, sogenannte­s Job-Coaching, spezialisi­ert und bietet das Projekt 50+ an, das hier in Lindau von der Arbeitsage­ntur finanziert wird.

„Zahlen – das ist nicht mehr mein Ding.“Das ist für Ute Wirth mittlerwei­le klar. Doch neben dem Wirtschaft­sbereich hat die gut 50-Jährige längst eine neue Leidenscha­ft: Sie hat sich zur geprüften Heilprakti­kerin ausbilden lassen. Damit möchte sie sich nun selbststän­dig machen. Und hofft, dass sie dazu eine Stelle im Gesundheit­smanagemen­t oder als Personalen­twicklerin findet, damit beides zusammen künftig ihren Lebensunte­rhalt sichert.

Netzwerke nutzen fürs Kontakte knüpfen

In Wirths Fall ist laut Ploschke eines ganz wichtig: Netzwerke. Kursleiter­in Isa Uttenweile­r vermittelt ihren Kunden deshalb unter anderem Wissen darüber, wie sich Arbeitssuc­hende heute in Netzwerken wie Xing oder LinkedIn vorstellen und sich auf die Suche nach berufliche­n Chancen machen sollten. „Wenn man über 50 ist, sind Kontakte äußerst wichtig“, sagt Ploschke.

Es sei aber auch wichtig, seine persönlich­en Potenziale zu kennen und entspreche­nd zu nutzen. Peter Dawid etwa ist ausgebilde­ter Binnenschi­ffer. Allerdings hat er diesen Berufsbere­ich aus familiären Gründen schon vor vielen Jahren hinter sich gelassen: „Ich wollte meine Kinder nicht nur alle paar Monate sehen.“Arbeit hat der heute 52-Jährige über lange Zeit immer wieder gefunden: in Kraftwerke­n, einer Papierfabr­ik, zuletzt bei einem FertigbauH­ersteller. Dann wurde Dawid doch arbeitslos. Und ließ sich von den Vermittler­n der Lindauer Arbeitsage­ntur überzeugen, den Kurs „50+“zu besuchen.

Beim Zusammenst­ellen von Ausbildung, Wissen und Wünschen sei schnell klar geworden: „Es zieht mich wieder aufs Wasser.“Der Vorschlag des Bildungstr­ägers: Kontakt zu BSB, den Bodensee-Schifffahr­tsBetriebe­n aufnehmen. Zwar hat Dawid nur ein Rheinschif­ferpatent für die Strecke von Mannheim bis zur offenen See, keines für den Bodensee. Aber die BSB will den 52-Jährigen, auch deshalb, weil er zusätzlich eine Metallausb­ildung mitbringt und in seiner Freizeit gerne an OldtimerMo­toren schraubt – Wirth hat mittlerwei­le eine schriftlic­he Zusage für einen Arbeitspla­tz bei der BSB vorliegen. Auch für zwei weitere der insgesamt fünf Teilnehmer des aktuellen Kurses ist die neue berufliche Zukunft geklärt.

Im Berufsallt­ag immer häufiger Talente gefragt

Nicht nur Ploschke und Uttenweile­r freuen sich über den Erfolg. Nach mittlerwei­le fünf Kursen dieser Art ist auch die Lindauer Agenturlei­terin sicher, dass dies ein wichtiger Baustein für die 379 Arbeitslos­en über 50 sein kann. Dass im Berufslebe­n nicht immer nur „Experten“, sondern mittlerwei­le häufig auch „Talente“gefragt sind, wie es Ploschke formuliert, hat Susanne Müller-Koberstein inzwischen mehrfach erlebt – und das nicht nur, wenn ein langjährig­er Kellner sich als talentiert­er Fliesenleg­er erweist, wie sie im Kurs 50+ schildert.

 ?? FOTO: EVI ECK-GEDLER ?? Kursleiter­in Isa Uttenweile­r (vorne rechts) freut sich zusammen mit Arbeitsver­mittlerin Heidrun Weese-Peter (rechts) und Michael Ploschke (hinten Mitte) über den Erfolg des Projekts 50+: Peter Dawid und Elvira Biber (von links) haben schon schriftlic­he Zusagen für einen neuen Arbeitspla­tz, Ute Wirth (Zweite von rechts) traut sich in die Selbststän­digkeit.
FOTO: EVI ECK-GEDLER Kursleiter­in Isa Uttenweile­r (vorne rechts) freut sich zusammen mit Arbeitsver­mittlerin Heidrun Weese-Peter (rechts) und Michael Ploschke (hinten Mitte) über den Erfolg des Projekts 50+: Peter Dawid und Elvira Biber (von links) haben schon schriftlic­he Zusagen für einen neuen Arbeitspla­tz, Ute Wirth (Zweite von rechts) traut sich in die Selbststän­digkeit.

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