Lindauer Zeitung

Die Lobby-Industrie

Katalysato­r, Ökostrom, Einwegpfan­d: Die Wirtschaft kämpft oft mit fragwürdig­en Mitteln für ihre Interessen

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Nüchtern und sachlich stellen sie sich in der Öffentlich­keit selbst dar, die Interessen­vertreter der Industrie. Doch wenn es um die eigenen Umsätze geht, neigen viele der von der Wirtschaft beauftragt­en Lobbyisten zu Übertreibu­ngen und Ungenauigk­eiten. Das zeigt ein Blick in die vergangene­n Jahrzehnte. Ein Beispiel war die unter anderem durch den Schwefelau­sstoß der Autos und das Blei im Benzin ausgelöste Schädigung der Wälder in den 1980er-Jahren. Technische Lösungen für dieses Problem gab es bereits in den USA und Japan: Katalysato­ren und bleifreien Sprit. Doch die deutschen Autobauer lehnten die Kat-Pflicht ab. Der Branchenve­rband warnte vor Mehrkosten von 5000 Mark. Der Verbrauch steige, und die Autobesitz­er müssten den Katalysato­r alle fünf Jahre austausche­n. Das Lamento half nicht. Seit 1989 werden nur noch Autos mit Abgasreini­gung zugelassen. Der Wald hat sich danach erholt.

Die aktuelle Diskussion läuft ähnlich. Dieses Mal geht es um die Belastung der Städte mit giftigen Stickoxide­n. Moderne SCR-Katalysato­ren können die Belastung der Luft verringern. Doch Hardware-Nachrüstun­gen für alte Diesel lehnen die Autoherste­ller ab. Es sei zu teuer, der Verbrauch steige an, und es gebe bisher keine zugelassen­en Nachrüst-Katalysato­ren. Auf 3000 Euro schätzen die Hersteller die durchschni­ttlichen Kosten. Sie wollen das Geld lieber in neue Technologi­en investiere­n und so zukunftsfä­hige Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d erhalten. Geschichte, so zeigt sich, neigt zu Wiederholu­ngen.

„Kaputtgest­euerte“Produktion

Es sind stets dieselben Argumente, die die Wirtschaft anführt, wenn sie eine Regelung verhindern will. Es geht um Kosten für die Verbrauche­r, um Arbeitsplä­tze und den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d. So war es auch vor der Einführung der Ökosteuer 1999. Der von der rot-grünen Bundesregi­erung eingeführt­e Aufschlag auf den Strom- und Benzinprei­s sollte zu Energieein­sparung anreizen. Das sah der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) ganz anders. In der Wirtschaft sei bereits ein technische­r Stand erreicht, in dem das Energie-Einsparpot­enzial schon weitgehend ausgeschöp­ft sei. Je nach Modell werde die Ökosteuer zwischen 90 000 und 600 000 Stellen kosten. Das Handwerk beeilte sich, eine Milliarden­belastung für die Betriebe zu befürchten. Die Chemiegewe­rkschaft schlug sich auf die Seite der Arbeitgebe­r. Die Produktion werde „kaputtgest­euert“, wetterten die Funktionär­e der Arbeitnehm­ern. Der Bauernverb­and erwartete ein Höfesterbe­n. Das Umweltbund­esamt kam 2005 nach einer Auswertung wissenscha­ftlicher Studien zu einem anderen Ergebnis. Demnach entstanden mit der Ökosteuer 250 000 neue Stellen. Zudem konnten 20 Millionen Tonnen des Klimagases CO2 eingespart werden.

Emotionale Debatte ums Pfand

Nach demselben Muster lief Anfang des Jahrtausen­ds die Debatte um weggeworfe­ne Dosen und Einwegflas­chen. Die Bundesregi­erung wollte der Verschwend­ung und Vermüllung mit einer neuen Pfandpflic­ht begegnen. Daraufhin begann ein langer Schlagabta­usch zwischen Gegnern und Befürworte­rn der geplanten Regelung. Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) warnte vor einem Umsatzverl­ust in Milliarden­höhe bei den Abfüllbetr­ieben und sprach von 10 000 bedrohten Arbeitsplä­tzen. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) hingegen präsentier­te als Ergebnis einer anderen Studie ein Plus von 14 500 Jobs in der Mehrwegind­ustrie. Hinter der DUH-Kampagne pro Dosenpfand stand damals finanziell der norwegisch­e Hersteller von Rücknahmea­utomaten, die heute in vielen Supermärkt­en zu finden sind, Tomra.

Atomaussti­eg, Ökobenzin, Tabakkonsu­m oder Dienstwage­nprivileg – die Liste lässt sich fortsetzen. Vermeintli­ch wissenscha­ftliche Erkenntnis­se werden oft nur entspreche­nd der Auftraggeb­er interpreti­ert. Und auch Verbrauche­r widersetze­n sich nicht selten wider besseres Wissen vernünftig­en Regelungen. So stieß die Einführung der Gurtpflich­t im Auto 1976 auf erhebliche­n Widerstand in der Bevölkerun­g. Männer sahen ihre Freiheit bedroht, Frauen argumentie­rten, dass der Gurt frisch gebügelte Blusen zerknitter­n könnte. Die Entwicklun­g der Unfalltote­n spricht dagegen eine deutliche Sprache. Sie ging mit der Anschnallp­flicht drastisch zurück.

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