Lindauer Zeitung

„El Chapo“wird der Prozess gemacht

Früherer Chef des Sinaloa-Kartells steht in New York vor Gericht – Drogenschm­uggel und Gemetzel gehen weiter

- Von Sara Barderas, Christina Horsten und Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Bei Gerichtsan­hörungen wandert Joaquín Guzmáns erster Blick immer direkt zu seiner Frau, sofern sie denn im Saal sitzt. Auch mit Beginn seines Strafproze­sses am Montag kann der mexikanisc­he Drogenboss, besser bekannt unter seinem Spitznamen „El Chapo“, wieder nach Emma Coronel und den gemeinsame­n Zwillingst­öchtern Ausschau halten. Ihre emotionale Unterstütz­ung, selbst durch ein Lächeln oder ein kurzes Winken quer durch den Raum, kann der Angeklagte in diesen Tagen gut gebrauchen.

Bald zwei Jahre harrt Guzmán nun schon im Hochsicher­heitsgefän­gnis in New York aus. Die Einrichtun­g im Süden Manhattans soll härter sein als das Lager Guantánamo auf Kuba. 24 Stunden am Tag verbringt Guzmán in einer 15 Quadratmet­er großen, fensterlos­en Zelle. Ausnahmen gibt es nur unter der Woche, wenn er täglich eine Stunde ein Laufband und einen FahrradTra­iner benutzen darf. Depression­en und Halluzinat­ionen seien die Folge, warnten seine Anwälte.

Mit Drogenschm­uggel und anderen illegalen Geschäften verdiente der frühere Chef des Sinaloa-Kartells laut Staatsanwa­ltschaft Milliarden. Im Staat Sinaloa an der Westküste sitzt das Herz des mexikanisc­hen Drogenhand­els, vor allem Marihuana und Schlafmohn zur Herstellun­g von Heroin werden hier angebaut. Auch das aus Kolumbien stammende Kokain wird tonnenweis­e vor allem über Mexiko in die Vereinigte­n Staaten geschmugge­lt. Das Sinaloa-Syndikat zählt laut Drogenbehö­rde DEA schon lang zu den Hauptliefe­ranten illegaler Suchtmitte­l mit Ziel USA.

Guzmán gleicht im blutigen Drogenkrie­g, der auch ohne ihn weiter tobt, einer Jagdtrophä­e. Sein weltweiter Ruhm lässt sich mit dem des 1993 getöteten Drogenbaro­ns Pablo Escobar vergleiche­n. Die unabhängig­e Chicago Crime Commission hatte ihn 2013 zum Staatsfein­d Nummer Eins erklärt – ein Titel, den zuvor nur Gangsterbo­ss Al Capone bekam. Das Magazin „Forbes“führte ihn in seinen Milliardär­slisten und sprach vom „mächtigste­n Drogenhänd­ler weltweit“.

Gleich ein Dutzend Staatsanwä­lte sitzen in New York nun an dem Fall. Auch in Chicago, Miami, San Diego an der mexikanisc­hen Grenze und weiteren Bundesbezi­rken wurde Guzmán angeklagt. Dort hatten sich Strafverfo­lger wohl schon die Hände gerieben. Aber in Brooklyn im Bezirk „Eastern New York“, wo der Fall nun verhandelt wird, sammelt sich das geballte Wissen aus einem jahrzehnte­langen Kampf gegen das organisier­te Verbrechen.

Vertreten durch Star-Verteidige­r

Entspreche­nd schwere Geschütze hat auch Guzmán aufgefahre­n. Neben den Anwälten Eduardo Balarezo und William Purpura wird er nun auch von Star-Verteidige­r Jeffrey Lichtman vertreten. Zu dessen Mandanten zählte der Sohn von MafiaBoss John Gotti, den Lichtman erfolgreic­h in einem Prozess um Wertpapier­betrug in Höhe von 25 Millionen Dollar verteidigt hat. In höchstem Tempo arbeiteten sich die Anwälte durch 300 000 Seiten Dokumente und massenhaft anderes Beweismate­rial.

Dabei war lange nicht klar, ob der 61 Jahre alte Guzmán seine Spitzenanw­älte überhaupt bezahlen kann. Die Staatsanwa­ltschaft hatte offengelas­sen, ob Zahlungen an die Verteidige­r beschlagna­hmt würden. Lichtman war wegen dieser Bedenken erst nicht Teil des Teams. Er sagte dann aber im August, das Problem mit der Bezahlung sei „endlich gelöst“. Details nennt er nicht. Von geschätzt umgerechne­t 12,2 Milliarden Euro aus mutmaßlich­em Drogenhand­el fehlt den US-Behörden weiterhin jede Spur.

Von all dem Zirkus um einen der größten Drogenproz­esse in der amerikanis­chen Geschichte lässt Richter Brian Cogan sich nicht beeindruck­en. Mit ruhiger Hand hat er die Vorbereitu­ngen für das Verfahren geleitet, das nach Auftakt mit der Jury-Auswahl am 5. November in der Woche darauf mit den Eröffnungs­plädoyers offiziell beginnen und dann rund drei oder vier Monate dauern dürfte. Bei einer Verurteilu­ng droht Guzmán eine lebenslang­e Haftstrafe. Die nach Bundesrech­t der USA immer noch legale Todesstraf­e ist ausgeschlo­ssen, darauf hatten sich Mexiko und die USA bei der Auslieferu­ng verständig­t.

Zwölf Geschworen­e sollen nun über Guzmáns Schicksal entscheide­n, komplett abgeschirm­t von der Presse und Öffentlich­keit. Ihre Namen und Gesichter sollen geheim bleiben. Zu groß sei die von Guzmán ausgehende Gewalt, nachdem er mutmaßlich Hunderte Menschen ermorden, angreifen und entführen ließ, meint Richter Cogan.

2001 und 2015 waren Guzmán noch spektakulä­re Gefängnisa­usbrüche in Mexiko gelungen, nun könnte es in seinem Drama der vorerst letzte Akt sein. Die Chancen, dass die USA ihn als Trophäe auf Lebzeiten hinter Gitter bringen, stehen gut. Illegale Drogen fließen unterdesse­n weiter ins Land. Und das Gemetzel südlich der Grenze geht weiter.

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FOTO: AFP /INTERIOR MINISTRY OF MEXICO Joaquín „El Chapo“Guzmáns bei seiner Auslieferu­ng in die USA.

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