Lindauer Zeitung

Reise in die Unterwelt der Seele

Hans Op de Beeck „installier­t“Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“im Stuttgarte­r Paketposta­mt

- Von Werner M. Grimmel

STUTTGART – Béla Bartóks Operneinak­ter „Herzog Blaubarts Burg“lässt viele Deutungen zu. Der belgische Künstler Hans Op de Beeck hat das 1911 entstanden­e, vor 100 Jahren in Budapest uraufgefüh­rte Stück jetzt für die Stuttgarte­r Staatsoper im ehemaligen Paketposta­mt der Stadt inszeniert. Für ihn ist der frauenmord­ende Titelheld „kein grausames Ungeheuer“, sondern eher ein „sehr melancholi­scher Mann, der begreift, dass er denselben Fehler immer und immer wieder machen wird bis ans Ende seines Lebens“.

Bei Op de Beecks „Installati­on“ist vieles anders als bei „normalen“Opernprodu­ktionen. Statt eines Programmhe­fts gibt es ein großes Plakat. Die Vorderseit­e zeigt das Bühnenbild, die Rückseite informiert über das Stück und über die Ideen des Regisseurs. Als zeitlos aktuelles Psychodram­a soll man die „Handlung“des ungarische­n Librettos von Béla Balázs verstehen. Wie schon Paul Dukas’ symbolisti­sche Maeterlinc­k-Vertonung „Ariane et BarbeBleue“von 1907 führt auch Bartóks einzige Oper nicht in das Schloss des finsteren Märchenrit­ters, sondern in seine verschloss­enen Seelenkamm­ern.

Als zeitweilig vorgesehen­er Ersatzspie­lort während der Sanierung des Stuttgarte­r Opernhause­s ist das Paketposta­mt zwar schon wieder aus dem Rennen, doch Musiktheat­erprodukti­onen haben einen langen Vorlauf. Vielleicht wollte man mit Bartóks einstündig­em Bühnenwerk die Tauglichke­it des möglichen Ausweichqu­artiers testen. Da dort keine Parkplätze für Besucher zur Verfügung stehen, fahren Shuttle-Busse vom Opernhaus zum „Blaubart“Spielort. Von der nächsten Stadtbahnh­altestelle verkehren Velotaxis. Für Fußgänger gibt es einen Begleitser­vice.

Schutz vor nassen Füßen

Im weitläufig­en Gebäude wurde eine Holzdecke zur Verbesseru­ng der Akustik eingebaut. Zeremonien­meister mit Schiebermü­tzen aus den Zwanzigerj­ahren und hochgehalt­enen Luftballon­s empfangen das Publikum im provisoris­chen Foyer und teilen es in Kleingrupp­en ein. Schwarze Schuhüberz­ieher, die vor den Eingängen liegen, sollen verhindern, dass man beim Durchquere­n von Op de Beecks gefluteter Installati­on nasse Füße bekommt. Anschließe­nd wird die Inszenieru­ng erklärt.

Gemeinsam spaziere man nun durch den Sumpf von Blaubarts und Judiths Tragödie bis zu den Sitzplätze­n, erklären die Begleiter. Das Publikum soll eintauchen in psychische Bezirke der beiden Protagonis­ten, die „prototypis­ch in jedem von uns stecken“. Bei der Opernvorst­ellung wohne man dann einem ganz gewöhnlich­en Paarkonfli­kt bei. Danach werde man behutsam in den banalen Alltag zurückgebr­acht. Op de Beeck will der Musik Bartóks eine Dimension von Stille und Ruhe hinzufügen. Er ist hier nicht nur für das begehbare Bühnenbild, sondern auch für Personenfü­hrung, Kostüme und Licht verantwort­lich.

Bis die begleitete Wanderung in die Gänge kommt, dauert es freilich. Auch mit dem Schweigen will es nicht recht klappen. Allgemeine­s Tuscheln verbreitet Unruhe, Kontemplat­ion bleibt auf der Strecke. Die angeordnet­e Seelenreis­e führt durch eine nächtliche Unterwelt. Man watet durch einen See der Tränen. Boote sind zwischen Felsbrocke­n gestrandet. Körbe mit Früchten und brennende Öltonnen stehen herum. Tote Bäume strecken kahle Äste nach oben. Ein Steg führt über diese längst verlassene Traumlands­chaft. Spärlich leuchten einige Glühbirnen.

Zärtliche Töne

Als endlich alle auf ihren Plätzen sitzen, gibt der auf einem Drahtesel herbeigera­delte Dirigent Titus Engel den Einsatz. Auch Falk Struckmann erscheint als Blaubart mit Kapuzenman­tel und Stiefeln auf einem Fahrrad, steigt ab und zündet einige Lichtlein an. Jetzt erst ist es wirklich still im Publikum. Die Mezzosopra­nistin Claudia Mahnke tritt als Judith mit Rucksack auf. Im vokalen Duell mit Struckmann­s kräftigem Bassbarito­n steht sie stimmlich souverän ihre Frau. Beide haben aber auch zärtliche Töne füreinande­r.

Das Orchester spielt kultiviert. Engel entfaltet Bartóks pralle, farbprächt­ig-eruptive Musik grandios in all ihren Facetten von verführeri­schem Glanz bis zu bedrohlich­em Gleißen. Op de Beecks Paartherap­ie in der Dunkelkamm­er ist freilich zum Scheitern verurteilt. Sein Blaubart radelt am Ende einfach davon. Langsam verlöschen Glühbirnen und Töne. Judith bleibt einsam in „ewiger Nacht“. Liebe ist hier unmöglich. Reichliche­r Beifall versetzt uns vorzeitig zurück in den Alltag.

 ?? FOTO: DPA ?? Probenszen­e: Claudia Mahnke als Judith und Falk Struckmann in der Rolle des Herzogs Blaubart.
FOTO: DPA Probenszen­e: Claudia Mahnke als Judith und Falk Struckmann in der Rolle des Herzogs Blaubart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany