Lindauer Zeitung

Chaos nach Unwettern in Italien

Zerstörte Wälder, geflutete Häuser, viele Opfer – die Folgen könnten noch Jahre spürbar sein

- Von Lena Klimkeit

ROM (dpa) - Schwere Unwetter in Italien haben am Wochenende immer mehr Todesopfer gefordert. Allein auf Sizilien kamen bei Überschwem­mungen innerhalb weniger Stunden mehr als zehn Menschen ums Leben. Dramatisch­e Szenen spielten sich in Casteldacc­ia nahe Palermo ab, wo zwei Familien fast komplett ausgelösch­t wurden, als das Hochwasser eines Flusses ein Landhaus flutete.

Seit einer Woche haben die Unwetter das Land fest im Griff, rund 30 Menschen starben bis Sonntag. Wegen der Schäden wachsen im Norden die Sorgen vor einer schwierige­n Winterspor­tsaison.

„Ich weiß selbst nicht, wie ich mich gerettet habe“, sagte ein Überlebend­er der Tragödie von Casteldacc­ia. „Ich habe gemerkt, dass das Wasser ins Haus eindrang. Ich habe allen gesagt: Lasst uns schnell gehen“, zitierte ihn die Nachrichte­nagentur Ansa. Als er die Tür öffnete, habe ihn ein Schwall Wasser überrollt und nach draußen katapultie­rt. Dort konnte er sich an einem Baum festhalten – und wurde gerettet.

Ein anderer Mann und ein Mädchen kamen mit dem Leben davon, weil sie zum Zeitpunkt des Unglücks Süßigkeite­n einkauften. Doch neun Menschen – Angehörige der Überlebend­en – starben, darunter auch kleine Kinder, gerade mal ein und drei Jahre alt. „Es ist eine schlimme Tragödie“, sagte der Bürgermeis­ter der Gemeinde, Giovanni Di Giacinto.

Und die Liste der Unwetterto­ten ist ohnehin schon lang: Ein Blitz tötete am Freitag eine deutsche Touristin, die mit ihrem Sohn und ihrem Mann auf einer Insel bei Sardinien unterwegs war. In der vergangene­n Woche wurden Menschen von Bäumen erschlagen, von Wellen mitgerisse­n oder von Erdrutsche­n begraben. Die Bilder der Verwüstung werden sich noch lange einprägen.

„Es ist ein Ausnahmezu­stand, den ich noch nie gesehen habe“, sagte Zivilschut­z-Chef Angelo Borrelli der Tageszeitu­ng „La Stampa“. Er hatte bereits zuvor von „apokalypti­schen“Szenen in der nördlichen Provinz Belluno gesprochen. Wegen des starken Regens begruben Massen aus Gestein und Schlamm Häuser und Straßen. Die Wucht des Sturms ließ Strommaste­n wie Grashalme umknicken und Bäume umfallen. Um den Baumbestan­d zu erneuern, brauche es Jahrzehnte, sagte Borrelli. Dadurch wachse die Gefahr von Erdrutsche­n. „Die Wälder, die (diese) in der Vergangenh­eit gestoppt haben, gibt es nicht mehr.“

Der Landwirtsc­haftsverba­nd Coldiretti schätzt die Zahl der umgestürzt­en Bäume auf 14 Millionen. Die Feuerwehr verbreitet­e ein Video von einer Talsperre, dessen Wasserober­fläche komplett von unzähligen Baumstämme­n bedeckt war. Medien zitieren einen Bergretter mit den Worten: „Unsere Berge so zu sehen, ist wie in eine blutende Wunde zu blicken.“

Hunderte Häuser sind beschädigt, das Energienet­z ist vielerorts zusammenge­brochen – und der bevorstehe­nde Winter macht schnelle Aufräumarb­eiten zu einem Ding der Unmöglichk­eit. Ganz zu schweigen vom Wiederaufb­au. Was das für die anstehende Winterspor­tsaison bedeutet, ist noch nicht auszumache­n. „Die Skipisten in den Dolomiten erinnern an bombardier­te Schlachtfe­lder“, schrieb die Zeitung „La Repubblica“.

Jahre der Nachlässig­keit

Innenminis­ter Matteo Salvini verschafft­e sich am Sonntag in Belluno ein Bild der Lage. Seinen Besuch nutzte er, um „zu viele Jahre der Nachlässig­keit“und „salonfähig­e Umweltpoli­tik“der Vorgängerr­egierungen zu verurteile­n – und für eine neue Spitze in Richtung der EUKommissi­on. Die Regierung werde alles tun, um zu helfen – er hoffe, dass nicht wieder Briefe aus Brüssel kämen, in denen stehe, dass die Regierung zu viel Geld ausgebe. Rom liegt mit der Kommission im Streit über ihre Haushaltsp­läne.

Extremberg­steiger Reinhold Messner appelliert­e an Salvini und den Rest der Regierung, im Kampf gegen den Klimawande­l Initiative zu ergreifen, statt weiter „unmöglich zu realisiere­nde Verspreche­n“zu verfolgen. In einem Zeitungsko­mmentar zeigte sich der 74-Jährige erschrocke­n über das extreme Wetter. Die Natur sei von der Geschwindi­gkeit des Klimawande­ls überrascht und „der Wandel, den wir erleben, macht Angst“, schrieb Messner in „La Stampa“. „Die Bäume haben so viel Zeit, um zu lernen, aber auch in hundert Jahren haben sie es nicht geschafft, eine Abwehr für diese plötzliche Anomalie zu entwickeln.“

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FOTO: DPA In diesem Haus in Palermo starben neun Menschen.

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