Fit mit Falten
Psychiater schreibt ein ehrliches Buch zur bangen Frage „… alt – oder wird das wieder?“
Der Tiefschlag kommt Mitte 60. Josef Aldenhoff verletzt sich beim Joggen und rappelt sich danach nicht mehr so schnell auf. Von einem Tag auf den anderen ist er nicht mehr der Alte – oder eben genau das: ein Alter, nicht mehr jung. Da entsteht die Idee zu seinem Buch mit dem augenzwinkernden Titel „Bin ich schon alt – oder wird das wieder?“
Um es vorwegzunehmen: An keiner Stelle klingt der Text jammernd oder deprimierend. Als Psychiater und Therapeut versteht Aldenhoff es nur zu gut, bei den Chancen anzusetzen und an Lösungen zu arbeiten. So preist er die Zeit im Ruhestand als interessanteste Lebensphase schlechthin: „Weil Sie wieder frei sind! Frei für neue Erfahrungen, frei, um Neues zu lernen, frei, Ihr Leben neu zu genießen.“
Viele Zeilen also für Genuss und Golf, den angeblich idealen Seniorensport. Altersarmut? Fehlanzeige. Wirtschaftliche Nöte, schmale Renten? Sie kommen höchstens am Rande vor. Doch der Autor mit Dreitagebart, modischem Kurzhaarschnitt und smarter Brille verherrlicht das Leben ab 65 keineswegs. Er nimmt die Leser zwar mit aufs Sonnendeck, aber umschifft auch nicht die Schattenseiten.
In den frühen „besten Jahren“ist die Welt noch in Ordnung. Aldenhoffs Tipps: „Sex – klar!“Aber nicht platt reduziert auf die Powerpille Viagra, sondern eingebettet in Beziehungsfragen. Und bloß raus aus dem Komfortsessel mit Miniablage für Bierglas und Fernbedienung! Stattdessen Reisen („Gerne auch mit dem Rucksack“) in unbekannte Länder und damit zu sich selbst. Neuland eben wie das Alter.
Auf gut 300 Seiten erfährt man verständlicherweise nicht nur Neues. Bewegung, gesundes Essen und gute Freunde fördern bekanntlich die Lebenserwartung – im Gegensatz zu Übergewicht, Zigaretten und üppigem Bier-, Schnaps- und Weinkonsum: „Alkohol ist kein Grundnahrungsmittel!“Aha.
Der ehemalige Klinikdirektor und passionierte Hobbykoch würzt seine Rezepte mit einer gehörigen Prise Humor: „Essen Sie gut, aber nicht viel, denn mit zunehmendem Alter bringt schon das Betrachten des Essens die Waage zum Entgleisen.“
Manche bleiben ohnehin erstaunlich frisch. Fit mit Falten. Die Rolling Stones, alle ohne Bierbauch und lange nicht nur mit Musik im Blut, treten immer noch auf: „Rockstars! Sie sind allesamt über 70!“Auch anderen empfiehlt Aldenhoff, das Tanzbein nicht einschlafen zu lassen – ganz plakativ: „Tango statt Fango.“
Und dennoch: Trotz allem ändert sich das Leben irgendwann. Der Rollator kommt zum Greifen nah, schiebt das Abrocken in die Vergangenheit. „Anschauen, betrachten ersetzt das Machen“, wie der Neurobiologe und Autor formuliert. Dass er häufig wissenschaftliche Erkenntnisse einstreut und dabei stets auch für Laien verständlich bleibt, bereichert das Buch. Immer verbunden mit dem Appell, das Heft des Lebens in die eigene Hand zu nehmen.
Sich der Realität stellen
Dazu zählen für den Wissenschaftler auch spirituelle Seiten. Er unternimmt Ausflüge in Buddhismus und Christentum, kommt zu der Erkenntnis: „Spiritualität ist kein Larifari. Sie ist die Essenz unseres Lebens, auch Ihres.“Diese kostbaren Momente hätten zwar nicht immer, aber sehr oft sogar eine entspannende und lebensverlängernde Wirkung. Aldenhoff empfiehlt, solche Rituale zu pflegen – und sie nicht mit Handy oder Glotze zu „verdaddeln“.
Ebenso beherzt soll man sich um Vorsorgevollmacht, Schmerztherapie und die Wahl des richtigen Arztes oder Heims kümmern. Auch angesichts der Frage, was nach Alter und Pflege kommen mag, kneift der gebürtige Dresdner nicht. Das Thema Tod holt er aus der Tabuzone; auch wegen seiner Überzeugung als Psychotherapeut: Vermeiden und verdrängen macht alles bloß schlimmer.
Klar und nüchtern, zugleich aber achtsam und gefühlsbetont – für den früheren Professor keine Gegensätze. Arthrose, Alzheimer, Angst verharmlost er nicht. Gerade deshalb packt er jeden bei seiner eigenen Verantwortung: „Wer sich im Ruhestand zur Ruhe setzt, baut schnell ab; wer sich neue Unruhe zumutet, lebt auf.“Aldenhoffs Buch, das Anfang November auf den Markt gekommen ist, baut so manchen Leser auf. 20-Jährige könnten sagen: echt cool, Alter!