Totholz ist mehr als nur totes Holz
Wie die Bayerischen Staatsforsten den Umgang mit abgestorbenen Bäumen managen
BETZIGAU (lz) - Kurz vor dem Winter wollen viele Menschen ihren Brennholzvorrat aufstocken und vom Förster einzelne umgefallene oder abgestorbene Bäume kaufen. Das sei gut, schreibt Jann Oetting, Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten in Sonthofen in einer Pressemitteilung, da der nachwachsende Rohstoff Holz in diesem Fall Erdöl oder Gas als Wärmequelle ersetzt. Aber totes und zerfallendes Holz sei auch eine wichtige Lebensgrundlage für unzählige Tiere, Pflanzen und Pilze. Im Zuge der naturnahen und nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Wälder setzen die Bayerischen Staatsforsten deshalb auf ein konsequentes Totholzmanagement.
„Abgestorbenes und vermoderndes Holz spielt beim Waldnaturschutz eine zentrale Rolle“, erläutert Sebastian Neubauer, Revierleiter im Forstrevier Kempter Wald. Über 20 Prozent der im Wald lebenden Vögel und Säugetiere sowie eine Vielzahl an Pilzen und Flechten seien auf Totholz angewiesen. In Mitteleuropa leben rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzarten am und im Totholz, auch zahlreiche sehr seltene Arten. Die Insekten und Pilze, Vögel und Säugetiere sind direkt oder indirekt von den Nischen abhängig, die abgestorbene Bäume bieten. Bei den Vögeln sind besonders die Spechte, einige Meisenarten und die Baumläufer auf Totholz als Nahrungsbiotop und Brutraum angewiesen. Alte Baumhöhlen sowie lose Rindenteile an toten Bäumen bieten auch unterschiedlichste Versteckmöglichkeiten für Fledermäuse und Säugetiere, wie zum Beispiel dem Siebenschläfer.
„Um der Bedeutung von Totholz in den Wäldern gerecht zu werden, setzen wir bei den Bayerischen Staatsforsten auf ein gezieltes Anreichern der Waldbestände mit stehendem und liegendem Totholz. Unser Ziel ist es, in allen alten und naturnahen Wäldern ab einem Alter von 140 Jahren 40 Kubikmeter Totholz pro Hektar anzureichern. In den jüngeren Wäldern mit einer natürlichen Baumartenzusammensetzung werden ab einem Alter von 100 Jahren immerhin 20 Kubikmeter pro Hektar Totholz angestrebt. Im Forstbetrieb Sonthofen haben wir im Durchschnitt über alle Flächen bereits 25,6 Kubikmeter pro Hektar. Das ist verglichen mit dem bayerischen Durchschnitt von rund 14 Kubikmeter pro Hektar viel“, erläutert StaatsforstenChef Jann Oetting. Gleichzeitig versuchen Oettings Mitarbeiter, wo immer möglich auch Brennholz zum Selbermachen zu verkaufen. „Denn heimisches Brennholz zum Heizen ist eine sehr ökologische Energiequelle.“
„In der Praxis gehen wir in Sachen Totholzmanagement zwei Wege“, erklärt Neubauer. „Wir versorgen die Bevölkerung mit Brennholz gezielt dort, wo es leicht zu holen oder schon genug Totholz da ist. Zum anderen nutzen wir natürliche Gegebenheiten, um die Wälder mit starkem Totholz von Buche, Tanne, Birke, Bergahorn oder Esche anzureichern: Wir belassen alte, abgestorbene und kranke Bäume sowie einzelne, die vom Wind gebrochen oder umgeworfen wurden, bis zum natürlichen Zerfall im Wald. Außerdem belassen wir bei jeder Holzernte Teile der gefällten Bäume, wie beispielsweise starke Kronenäste oder Stammteile im Wald.“So erhalten die Förster ein flächendeckendes Netz aus Trittsteinen für seltene, auf Totholz spezialisierte Arten. Mit großem Erfolg für die Artenvielfalt im Wald: „Untersuchungen belegen: Egal, mit welcher Landschaftsform wir in Deutschland vergleichen – ob Meer und Watt, Flüsse, Landwirtschaft oder städtische Bereiche. Der Wald ist die einzige Landschaftsform, wo seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Artenzahl nicht abgenommen, sondern gleichgeblieben und bei uns im Staatswald sogar zugenommen hat“, freuen sich Neubauer und Oetting.