Herrndorfs letzte Texte
Ob ihm dieser Band gefallen hätte? Nachdem bei Wolfgang Herrndorf 2010 ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert wurde, verfügte er testamentarisch, dass nach seinem Tod keine Fragmente, Entwürfe oder unfertige Dinge aus seinem Nachlass veröffentlicht werden sollten. Ausnahme: der unvollendete Roman „Bilder deiner großen Liebe“und das digitale Tagebuch „Arbeit und Struktur“.
Auf Herrndorfs Computer fand sich nach seinem Freitod 2013 ein Ordner mit dem Namen „Unbesehen löschen“. Aus der Einrichtung eines derart benannten Speicherortes zu schließen, dass die nicht darin enthaltenen Texte eben nicht unbesehen bleiben und veröffentlicht werden sollten, scheint doch eine sehr freie Auslegung des letzten Willens zu sein.
In dem Sammelband „Stimmen“aber tun Marcus Gärtner und Cornelius Reiber genau das. Bestätigt fühlen sie sich dadurch, dass sie bei ihrer Auswahl auf Texte zurückgegriffen haben, die Wolfgang Herrndorf bei Lesungen, vor allem aber im Internetforum „Wir höflichen Paparazzi“(meist unter dem Pseudonym „Stimmen“) selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Die Herausgeber berufen sich im Nachwort außerdem auf Max Brod, Kafkas ungehorsamen Nachlassverwalter.
Mit dem posthum zusammengestellten Band von Wolfgang Herrndorf aber verhält es sich anders. Keiner der zwischen 2001 und 2009 entstandenen Texte wirkt wirklich fertig. Vieles mutet an, als hätte der Autor es sich in einem Notizbuch notiert, um es später einmal zu verwenden. Sicher gibt es herrliche Stellen. die sogar an seinen Bestseller „Tschick“(2010) erinnern. Danach aber franst das Buch aus. Immerhin wird es damit dann auch gut sein. „Dieser Band wird der letzte mit neuen Texten von Wolfgang Herrndorf sein“, stellen die Herausgeber klar. Sie sind sich sicher, Texte gerettet zu haben, aber dem Autor haben sie keinen Gefallen getan. (grom)