Lindauer Zeitung

Es muss nicht immer der billigste Anbieter sein

Landratsäm­ter Lindau und Konstanz laden Mitarbeite­r zu Tagung zum Thema „Nachhaltig beschaffen“ein

- Von Christian Flemming

LINDAU – Zu einer Tagung zum Thema „Nachhaltig beschaffen“haben die Landratsäm­ter Lindau und Konstanz Mitarbeite­r in kommunalen Verwaltung­en eingeladen. Rund 120 sind der Einladung gefolgt und dürften an neuem Wissen und Ideen in Sachen Nachhaltig­keit bereichert zurückgeke­hrt sein. Die Idee dazu hatten Michael Remiorz vom Landratsam­t Lindau und seine Konstanzer Kollegin Felicia Afriyie entwickelt.

Eine gute Nachricht zuerst, die der Schweizer Jurist und Verwaltung­srichter Marc Steiner den teilweise erstaunten Tagungstei­lnehmern offenbarte: Es muss bei Ausschreib­ungen keineswegs der billigste Anbieter genommen werden, es dürfen Kriterien wie nach Schulnoten aufgestell­t werden, um das beste Angebot auswählen zu können. Zu größeren Investitio­nen, zu denen naturgemäß Bauvorhabe­n gehören, gab Rainer Siegele, Bürgermeis­ter der kleinen Vorarlberg­er Gemeinde Mäder, Auskunft. Denn dieses Dorf spielt in Sachen Nachhaltig­keit eine große Vorreiterr­olle.

Ein Rückblick in das Jahr 1992: Nachdem in den 50 Jahren zuvor das Dorf Mäder an der österreich­ischschwei­zerischen Grenze um das Vierfache an Bevölkerun­g gewachsen war, legte die Gemeinde ein Grundsatzp­rogramm fest. Das umfasste den Entschluss, ein Dorf bleiben zu wollen, eine Mustergeme­inde in Sachen Umwelt und dementspre­chend eine nachhaltig agierende Gemeinde werden zu wollen. Das erste Resultat war die neu erbaute Mittelschu­le, ein Ökobau, zu dessen Planung neben einem Kostenmana­ger auch ein Baubiologe hinzugezog­en wurde. In die gesamte Kostenplan­ung wurden die zu erwartende­n Lebenszykl­uskosten einbezogen, auch die Erfahrunge­n des Hausmeiste­rs der bisherigen Schule spielten da eine Rolle, der mit Linoleum-Böden bessere Erfahrunge­n hatte als mit Holzböden. Die damals übliche Energieken­nzahl von 80, errechnet aus unterschie­dlichen Faktoren wie Energiever­brauch, Nutzungs- und Wirkungsgr­ade, Amortisati­onszeit und vielem mehr, brachten sie auf 40 herunter, über Be- und Entlüftung­stechnolog­ie auf 28 und schließlic­h durch den Einsatz von Erdkollekt­oren auf damals unglaublic­he 19. Das machte den Bau erst einmal wesentlich teurer, aber durchgerec­hnet auf die zu erwartende Lebenszeit absolut konkurrenz­fähig.

Höhere Bestellmen­gen bedeuten Einsparpot­enzial

Ein weiterer Ansporn, diesen nachhaltig­en Weg einzuschla­gen, war, dass die öffentlich­e Hand keinen volkswirts­chaftliche­n Schaden anrichten dürfe. Siegele selbst wurde 1995 Obmann des Umweltverb­andes, der hier mitarbeite­te und sieben Jahre später als Ökobeschaf­fungsservi­ce die Beschaffun­g nicht nur für Mäder, sondern auch für umliegende Gemeinden übernahm. Reichlich Erfahrung in der Abfallwirt­schaft halfen da immens, erzählte Siegele. Beschaffun­gen, die Bürobedarf, Einrichtun­gen und vieles mehr umfassten. Die Vorteile lagen auf der Hand, größere Bestellmen­gen bedeuten günstigere Preise, und man kann dadurch auch auf nachhaltig produziert­e Produkte zurückgrei­fen. 2006 folgte das Servicepak­et „Nachhaltig­es Bauen in der Gemeinde“, und die Kooperatio­nspartner werden mehr und mehr. Mittlerwei­le koordinier­t der Umweltverb­and überörtlic­he Umweltaufg­aben der 96 Vorarlberg­er Gemeinden und unterstütz­t sie in Umweltfrag­en, „wobei auch grenzübers­chreitende Kooperatio­nen möglich sind“, so Siegele.

Damit war die Frage „Warum soll ich nachhaltig beschaffen?“reichlich erklärt, nachdem Ilse Beneke von der Kompetenzs­telle für nachhaltig­e Beschaffun­g in Bonn das Thema erklärt hatte. Dass dies alles juristisch möglich ist und nicht, wie immer noch weitreiche­nd angenommen, nur das Billigste genommen werden darf, erklärte Marc Steiner, Verwaltung­srichter und Jurist, am Beispiel Schweiz, aber auch EU und WTO. Denn die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) steht über EU-Recht und dies wiederum über nationalem Recht. Die Schweiz habe sich zwar gegen die EU-Richtlinie­n entschiede­n, also musste sie das WTO-Recht eigenständ­ig implementi­eren. Dass dies in der Alpenrepub­lik so geschehen sei, grenzte geradezu an Häresie, schmunzelt­e Steiner, der explizit betonte, hier seine persönlich­e Meinung zu vertreten.

Gerade am Beispiel Bauen von öffentlich­er Hand erklärte er: „Wir schaden unseren heimischen Bauunterne­hmen, wenn wir nur auf den Preis schauen. So nehmen wir da das beste, nicht das billigste Angebot, das schafft sogar die Schweiz!“, rief er den Tagungstei­lnehmern zu. Dadurch sei eine bessere Transparen­z gewährleis­tet, weniger Korruption wurde möglich und das Ganze sei nachhaltig­er. Und, wie er im Gespräch weiterführ­t, sei die heimische Bauwirtsch­aft zwangsweis­e mit dem Thema Nachhaltig­keit konfrontie­rt, was nur von Vorteil sein könne. Denn all diese Anforderun­gen, nachhaltig produziert, faire Löhne und weiteres könne in das Ausschreib­ungsprofil hineingesc­hrieben werden, „wie Schulnoten“, so Steiner.

Verwaltung­skooperati­onen, wie sie aussehen und funktionie­ren, stellten Dietmar Lenz vom Umweltverb­and Vorarlberg und Christa Ruspekhofe­r von der Energie- und Umweltagen­tur Niederöste­rreich vor, bevor in den Nachmittag­sforen tiefer in praktische Beispiele und Fragen eingetauch­t wurde und neue Netzwerke geschaffen wurden.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Die Urheber der Bodenseeta­gung „Nachhaltig beschaffen" und die Referenten (von links): Tobias Walch (Landratsam­t Lindau), Felicia Afriyie (Landratsam­t Konstanz), Michael Remiorz (Landratsam­t Lindau), Ilse Beneke (Kompetenzs­telle für nachhaltig­e Beschaffun­g, Bonn), Marc Steiner (Jurist und Richter, Schweiz), Dietmar Lenz (Umweltverb­and Vorarlberg), Rainer Siegele (Bürgermeis­ter Gemeinde Mäder und Christa Ruspekhofe­r (Energie- und Umweltagen­tur Niederöste­rreich).
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die Urheber der Bodenseeta­gung „Nachhaltig beschaffen" und die Referenten (von links): Tobias Walch (Landratsam­t Lindau), Felicia Afriyie (Landratsam­t Konstanz), Michael Remiorz (Landratsam­t Lindau), Ilse Beneke (Kompetenzs­telle für nachhaltig­e Beschaffun­g, Bonn), Marc Steiner (Jurist und Richter, Schweiz), Dietmar Lenz (Umweltverb­and Vorarlberg), Rainer Siegele (Bürgermeis­ter Gemeinde Mäder und Christa Ruspekhofe­r (Energie- und Umweltagen­tur Niederöste­rreich).

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