Lindauer Zeitung

„Ans Meer fahren, das war sein Traum“

Fortsetzun­g: Vor dem Landgerich­t sagt die Ex-Freundin des geflohenen Mörders aus

- Von Britta Baier

RAVENSBURG/FRIEDRICHS­HAFEN Vor dem Landgerich­t Ravensburg ist am Mittwoch der Prozess gegen einen 43-Jährigen fortgesetz­t worden, der im Dezember vergangene­n Jahres einen begleitete­n Ausgang in Friedrichs­hafen zur Flucht genutzt und im späteren Verlauf zwei Frauen überfallen hatte. In der mehr als achtstündi­gen Verhandlun­g berichtete unter anderem die Ex-Freundin, die unmittelba­r vor der Flucht mit dem Angeklagte­n und dessen Mutter den Tag verbrachte, über ihre Beziehung.

Wie berichtet sitzt der Angeklagte wegen Mordes eine lebenslang­e Freiheitss­trafe ab, weil er 1997 zusammen mit einem Freund seinen damaligen Vermieter auf grausame Weise totgeprüge­lt hat. 2013 wurde der Häftling aufgrund von „subkulture­llen Problemen“von der Haftanstal­t Bruchsal nach Heilbronn verlegt. Da Alkohol in dem Leben des 43-Jährigen bereits seit seiner Jugend eine große Rolle spielt, nimmt er dort an einem „Trainingsp­rogramm“teil, bei dem unter anderem thematisie­rt wird, wie sich ein Alkoholrüc­kfall vermeiden lässt. „Die Arbeit lief gut“, so der Anstaltsle­iter im Zeugenstan­d.

Deshalb gelingt dem Angeklagte­n anschließe­nd der Sprung in den offenen Vollzug, einer landwirtsc­haftlichen Außenstell­e der Haftanstal­t. Etwa fünf Monate geht alles gut, dann gibt es im Sommer 2014 einen gravierend­en Rückfall – die Polizei greift den Mann zusammen mit einem Mithäftlin­g und jeweils 2,2 Promille auf. Nach einer Therapie in Hohenasper­g bekommt der Verurteilt­e im Herbst 2016 eine zweite Chance im offenen Vollzug – die zunächst besser läuft.

Grund ist der Filmdreh einer Studentin auf dem Gelände des Hofes, die sich den Angeklagte­n für ihre Dokumentat­ion mit dem Thema „Resozialis­ierung“ausgesucht hat. Nach den Dreharbeit­en, die Ende 2016 abgeschlos­sen sind, bleiben die beiden in Kontakt. „Wir haben uns Briefe geschriebe­n“, so die 25-Jährige am Mittwoch. Erst danach sei aus der Freundscha­ft eine Beziehung geworden, denn sie habe sich die Entscheidu­ng nicht leicht gemacht. „Ich habe mich zunächst gegen meine Gefühle gewehrt, konnte dann aber nichts mehr dagegen machen.“

Gemeinsame Pläne geben eine Perspektiv­e

Das Paar trifft sich immer wieder bei verschiede­nen Gelegenhei­ten, die Studentin nimmt zudem Kontakt zu Rechtsanwä­lten und Therapeute­n auf, um dem Freund eine Perspektiv­e auf Haftentlas­sung zu ermögliche­n. „Wir haben Pläne gemacht – Zusammenwo­hnen, ans Meer fahren, das war sein Traum“, berichtet die Studentin, die jedoch auch einräumt: „Vielleicht war ich einfach zu naiv.“

Denn bei einem Urintest im März 2017 wird ihr Freund erneut positiv auf Alkohol getestet – und beendet damit ein weiteres Mal seine Zeit im offenen Vollzug. Das Paar blickt dennoch zunächst gemeinsam in die Zukunft – durch eine zweite Alkoholthe­rapie und der Unterbring­ung in einer betreuten Sozialstat­ion soll es wieder bergauf gehen. Dabei schildern alle Zeugen am Mittwoch, dass der Angeklagte ein Alkohol- und Drogenprob­lem bis heute abstreite – die Bereitscha­ft an einer Therapie sei nur aufgrund der sonst fehlenden Perspektiv­e vorhanden, nicht jedoch aus Überzeugun­g.

Nach knapp einem Jahr beendet die Studentin die Beziehung – sie zieht nach Frankreich und lernt jemand Neues kennen. Dennoch trifft sie sich am Tag seiner Flucht – am 14. Dezember – ein letztes Mal mit dem Angeklagte­n und dessen Mutter. „Ich wollte nochmal mit ihm sprechen – wir haben uns ja trotzdem gut verstanden.“Den ganzen Tag sei der Angeklagte sehr nervös gewesen, habe auch nichts zu Mittag gegessen, als die Mutter die beiden einladen wollte. Schließlic­h habe er gefragt, ob er zur Toilette gehen dürfe – worauf die beiden Beamten genickt hätten. „Ich hab sie noch verwundert angeschaut, dass das so einfach geht – ohne Begleitung zur Toilette.“Kurz darauf sei ihr Freund zurückgeko­mmen, „schaut nochmal kurz zu unserem Tisch, dann die Beamten an und rennt aus dem Restaurant“, schildert die 22-Jährige den entscheide­nden Moment.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass das bei dir negative Emotionen ausgelöst hat, die zu deiner Flucht beigetrage­n haben – aber ich trage daran keine Schuld. Es war allein deine Entscheidu­ng“, sagt sie an den Angeklagte­n gerichtet. Für diesen bricht eine Welt zusammen, jegliche Perspektiv­e futsch. Verzweifel­t, depressiv, aufgelöst – so beschreibe­n ihn die Zeugen, die ihn in diesen Wochen nach dem Beziehungs­ende und dem missglückt­en Fluchtvers­uch begleiten.

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