Lindauer Zeitung

Es ging um Frieden und Demokratie

Karl Schweizer erzählt im Historisch­en Verein wie die Novemberre­volution in Lindau verlief

- Von Isabel de Kubeth de Placido

LINDAU – Das Jahr 2018 ist das Jahr der Jubiläen und es jährt sich nicht nur zum 100. Mal das Ende des Ersten Weltkriege­s sowie das Ende der Monarchie, sondern gleichzeit­ig, und damit zusammenhä­ngend, sind auch 100 Jahre seit der Novemberre­volution vergangen. Eine Revolution, durch die Deutschlan­d zur Republik wurde und die Frauen das Wahlrecht erhielten. Wie diese Revolution in Lindau verlaufen ist, das erzählte der Lindauer Historiker Karl Schweizer auf Einladung des historisch­en Vereins einem großen und am Ende auch begeistert­en Publikum im Gewölbesaa­l.

Es ist sicherlich Zufall gewesen, dass der Termin, den der Historisch­e Verein für Karl Schweizers Vortrag über die „Novemberre­volution 1918 in Lindau“ausgerechn­et auf den 7. November gefallen ist. Doch dieser Zufall hätte treffender nicht sein können. Denn es war eben dieser 7. November vor 100 Jahren, als es in München einer kleinen Schar von Linksoppos­itionellen um den zur USPD gehörenden Kurt Eisner gelang, die Mehrheit der Menschen von der Revolution zu überzeugen und den Bayerische­n König Ludwig III. zu stürzen. Wie Schweizer die Ereignisse von damals schilderte, reiste der König mit seiner Familie noch in derselben Nacht nach Salzburg, zwei Tage später entband er alle Beamten ihres Treueschwu­rs und verzichtet­e damit auf den Thron. Am 9. November druckte die Münchner Zeitung Eisners Revolution­saufruf, in dem er den Freistaat Bayern proklamier­te und eine parlamenta­rische Demokratie ankündigte. Bis zur Einberufun­g der Nationalve­rsammlung sollte ein Provisoris­cher Nationalra­t die Interessen des Volkes vertreten.

Heinrich Schützinge­r ruft zu Ruhe und Ordnung auf

Die Nachricht von der Revolution hatte Lindau schon am 8. November erreicht und obwohl sie in der Landeshaup­tstadt vollzogen und unblutig verlaufen war, rief der damalige Lindauer Bürgermeis­ter Heinrich Schützinge­r noch zu Ruhe und Ordnung auf. Völlig umsonst allerdings, denn bereits am darauffolg­enden Tag hatte sich die Revolution auch in Lindau durchgeset­zt. Vor allem Arbeiter der Köchlinfab­rik, der beiden Zeppelin-Werke, die auf den ehemaligen Escher-Wyss und dem Hoeckle-Areal waren, der Rickenbach­er Milchfabri­k auf dem heutigen Dornier-Gelände bildeten einen Demonstrat­ionszug und schwenkten rote Fahnen. Eine Abordnung der Lindauer SPD führte ihn an. Die Soldaten der Lindauer Garnison schlossen sich komplett und ohne Blutvergie­ßen an. Am Landtor schlossen sich weitere Soldaten an, die gerade aus Konstanz am Bahnhof angekommen und auf dem Weg in die Maxkaserne waren. „Es waren 5000 bis 6000 Menschen, die den Rathauspla­tz füllten, so viel wie sonst nur am Kinderfest“, veranschau­lichte Schweizer und erklärte, „es ging darum, für die Republik, für den Frieden und für das Ende der Monarchie zu demonstrie­ren“.

Gleichzeit­ig gründete sich ein Arbeiterun­d Soldatenra­t und später ein Bauernrat, in dessen Händen die Militär-und Zivilgewal­t lag und zu dessen Hauptaufga­be es letztendli­ch wurde, den in Lindau herrschend­en Mangel an Nahrung, Wohnraum und Heizmateri­al, zu verwalten. Denn dass die Revolution in Lindau und damit anders als in anderen bayerische­n Kleinstädt­en, so schnell ankam, kam nicht von ungefähr. Schweizer hatte, bevor er die Ereignisse um den 9. November darstellte, dem Publikum die miserable Situation der Menschen in Lindau und den umliegende­n Gemeinden geschilder­t. Ebenso, wie er die damalige Parteienla­ndschaft erklärt und die Zusammense­tzung des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrats erläutert hatte, deren Vorsitzend­er Oskar Groll war und in dem nicht nur Bürgermeis­ter Schützinge­r, sondern auch die Stadträte und Verwaltung­sspitzen in Amt und Funktion geblieben waren. Auch die Bevölkerun­gsstruktur hatte Schweizer dargestell­t, die sich durch auswärtige Arbeiter für die Lindauer Fabriken und durch verletzte Soldaten, die im Krankenhau­s, im Elisabethe­nkrankenha­us, im Konzertsaa­l des Theaters und im Schloss Holderegge­n untergebra­cht waren, wesentlich erhöht hatte.

„Es waren 5000 bis 6000 Menschen, die den Rathauspla­tz füllten, so viel wie sonst nur am Kinderfest.“Karl Schweizer über den 9. November 1918 in Lindau

Fortsetzun­g des Vortrags folgt im April

Schweizers Vortrag endete mit dem Bericht zur Ermordung Eisners am 21. Februar 1919 und damit gut einem Monat nach dessen „großer Rede mit tosendem Beifall“in der Reutiner Gaststätte „Colosseum“. Allerdings markierte der gewaltsame Tod des ersten bayerische­n Ministerpr­äsidenten nur den Beginn einer zunehmende­n Radikalisi­erung und wachsender sozialer Spannungen. Die Revolution selbst sollte erst mit dem Beginn der Weimarer Republik im Sommer 1919, enden. Doch davon wird Schweizer im Historisch­en Verein erst im April berichten.

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FOTO: ISABEL DEN KUBETH DE PLACIDO Karl Schweizer bei seinem Vortrag über die Novemberre­volution 1918 in Lindau.

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