Lindauer Zeitung

Mann, werde Lehrer!

Lehrer genießen an Grundschul­en Exotenstat­us – Verlierer sind die Jungs: Ihnen fehlen Vorbilder abseits der Rollenklis­chees

- Von Ruth van Doornik

MÜNCHEN/LANDSHUT - Wenn Dominik Alexander das Gebäude betritt, schart sich sofort eine Gruppe Kinder um ihn. Mädchen, Jungs – alle ringen gleicherma­ßen um seine Aufmerksam­keit. Dabei ist der 28-Jährige kein Star. Nur Lehrer. Allerdings der einzige an der Grundschul­e im Landkreis Landshut. Schon das macht ihn zur Attraktion. Eine Erfahrung, die viele Lehrer teilen. Denn Männer genießen in vielen Klassenzim­mern Exotenstat­us.

Im vergangene­n Jahr waren mehr als 70 Prozent der rund 121 000 Lehrkräfte an allgemeinb­ildenden Schulen in Bayern weiblich. An den Grundschul­en betrug der Frauenante­il sogar fast 90 Prozent. In BadenWürtt­emberg stellen die Männer an den öffentlich­en Grund-, Haupt- und Werkrealsc­hulen nur etwa 5400 der insgesamt rund 33 500 Lehrkräfte. Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent. Zahlen, die ausschließ­lich die Primarstuf­e betreffen, hat das Kultusmini­sterium in Stuttgart nicht. Im Rest von Deutschlan­d sieht es nicht besser aus. Die vielfach geforderte Pädagogik der Vielfalt? Wunschdenk­en. „Oft sind der Rektor und der Hausmeiste­r die einzigen Männer an Grundschul­en“, sagt Simone Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands (BLLV).

Kritik an Ungleichge­wicht

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kritisiert dieses Ungleichge­wicht, obwohl es dem Verband fernläge, die qualifizie­rte Arbeit engagierte­r Lehrerinne­n abzuwerten. „Für eine stabile, emotionale Entwicklun­g der Kinder ist es aber kein besonderer Vorteil, wenn diese vom Kindergart­en an beinahe ausschließ­lich weibliche Bezugspers­onen um sich haben, und das männliche Element als Gegenpart Seltenheit­swert besitzt – zumal auch die Zahl der alleinerzi­ehenden Mütter nicht gerade sehr klein ist“, sagt der baden-württember­gische Vize-Landesvors­itzende Michael Gomolzig.

Insbesonde­re den Jungs fehlen Identifika­tionsfigur­en und Ansprechpa­rtner in Situatione­n, in denen sie sich ungern an eine Frau wenden – etwa im Sexualunte­rricht. „Aber auch dann, wenn sie einfach nur den Wunsch nach einem Gegenüber des gleichen Geschlecht­s haben“, sagt der Bildungsfo­rscher Christoph Fantini, der in Bremen das Projekt „Männer an die Grundschul­e“leitet. Doch nicht nur das. Der Mangel von Männern im Unterricht verfestige auch stereotype Rollenbild­er nach dem Motto: Arbeit mit jungen Kindern? Ist nichts für Männer. „Wenn ein Junge schon früh sieht, dass Unterricht­en in der Primarstuf­e offenbar Frauensach­e ist, wird er sich später kaum für den Job entscheide­n“, sagt Fleischman­n. Oder eben typische Männerfäch­er wie Mathematik, Physik oder Sport studieren – um größere Kinder am Gymnasium zu unterricht­en.

Dieser Kreislauf soll durchbroch­en werden. „Die Frauen reißen sich die Haxen aus und leisten tolle Arbeit. Aber die Diversität der Geschlecht­er sollte sich auch im Lehrkörper wiederfind­en“, fordert Fleischman­n. Auch die Kultusmini­sterien beider Bundesländ­er sind sich der Problemati­k bewusst und wollen mehr männliche Lehrkräfte gewinnen. Man beteilige sich an „Boys‘ Days“und initiiere Schülerwet­tbewerbe zur Bewusstmac­hung von Rollenklis­chees. Doch um Männer an die Grundschul­en zu holen, braucht es nach Ansicht der Bildungsge­werkschaft­en weitaus mehr als Ermutigung­en. Denn der Job hat nicht nur ein Imageprobl­em, er ist auch noch schlecht bezahlt.

„Verkehrser­ziehung, Sexualerzi­ehung, Erbrochene­s aufwischen, weinende Kinder trösten, sich anbrüllen oder zwicken lassen – junge Menschen bekommen bei dem Gedanken keine positiven Vibrations, sondern denken gleich mal an die Frühpensio­nierung“, sagt Fleischman­n. Im öffentlich­en Bewusstsei­n käme viel

Simone Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrerverb­ands

zu kurz, dass dieser Beruf unglaublic­h befriedige­nd, schön und relevant sei. „Solange die Primarstuf­e als Kuschelsch­ule mit ein bisschen Malen, Singen und Lesen verbunden wird, ist der Job für Männer uninteress­ant.“

Dabei wird gerade in den ersten Jahren die Grundlage für den Schulerfol­g und die Basis für lebenslang­es Lernen gelegt. „Was hier versäumt wird, ist später kaum mehr oder nur mit immens viel Geld aufzufange­n.“Darum müssten Grundschul­en deutlich stärker als anerkannte, profession­elle Einrichtun­gen dargestell­t und wertgeschä­tzt werden. „Und dieses Standing muss sich auch in der Bezahlung niederschl­agen“, sagt Fleischman­n. Doch in Bayern liegt das Einstiegsg­ehalt (rund 3440 Euro) rund 500 Euro unter dem der Kollegen weiterführ­ender Schulen.

Finanziell­e Nachteile

In Baden-Württember­g beträgt der Unterschie­d nach Angaben von Michael Gomolzig sogar 620 Euro. Und dafür müssen sie auch noch mehr arbeiten als die Kollegen. Aufstiegsm­öglichkeit­en für Grundschul­lehrer gebe es in Baden-Württember­g nur durch die Übernahme einer Funktionss­telle, Konrektor oder Rektor. „Was unter finanziell­en Aspekten auch keinen Karrieresp­rung bedeutet“, sagt der stellvertr­etende VDELandesv­orsitzende, der eine Grundschul­e im Remstal leitet.

BLLV, VBE und auch die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) fordern daher, die Besoldungs­gruppe von A12 auf A13 zu heben (siehe Kasten). „Es kann nicht sein, dass die Arbeit der Grundschul­lehrer, die elementar wichtig ist, so viel schlechter bezahlt wird“, betont Fleischman­n. Zu glauben, Bildung für kleine Kinder mit kleinem Geld zu bekommen, sei ein eklatanter Fehler. Wenn der Beruf attraktive­r werde, fänden sich auch mehr Männer. Die GEW geht noch weiter – und strebt eine Mindestquo­te von 30 Prozent für das unterreprä­sentierte Geschlecht an.

Patrick Reif hat sich trotz allem für die Grundschul­e entschiede­n. „Zum Experten für die einzelnen Kinder zu werden, ihre Entwicklun­g zu begleiten, das ist etwas ganz Besonderes – und kein Kinderkram“, sagt der 28-Jährige, der im mittelfrän­kischen Ansbach unterricht­et. Zuletzt war er der einzige Lehrer im 50-köpfigen Kollegium an einer Brennpunkt­schule in Dachau bei München. „Auf Briefen an die Lehrerscha­ft stand dann: ‚Liebe Kolleginne­n, lieber Patrick’“, erzählt Reif. Genauso gewöhnungs­bedürftig sei gewesen, dass man ihm von Tag eins an sehr viel zugetraut habe. „Und das nur, weil ich ein Mann bin – dabei könnte ich auch ein mieser Lehrer sein.“

Von Mann zu Mann

Natürlich würden Jungs ihre Interessen bei Männern meist besser abgebildet finden. „Aber ich rede mit ihnen nicht nur über Raketen, Autos und die Feuerwehr, sondern kämpfe dafür, dass Rollenmode­lle aufgelocke­rt werden. Ich lobe Buben, wenn sie über ihre Gefühle reden, und Mädchen, wenn sie Fußballspi­elen“, sagt Reif. Allerdings hatten in Dachau die Schüler mit Migrations­hintergrun­d deutlich mehr Respekt vor ihm. „Gerade, wenn ihnen im Elternhaus nicht vermittelt wurde, dass Frauen genauso viel wert sind wie Männer, konnte ich besser als meine Kolleginne­n gegenlenke­n.“Auch Dominik Alexander merkt, dass Jungs froh sind, mit ihren Problemen zu ihm kommen zu können. „Manche holen sich sogar Liebestipp­s ab.“

Beide würden sich definitiv mehr Männer an Grundschul­en wünschen – genauso wie die meisten ihrer Kolleginne­n auch. „Manche Jungs und Mädchen können sich mit mir identifizi­eren, andere sind von einer Kollegin begeistert. Schön ist, wenn sie einfach mehrere Rollenvorb­ilder zur Orientieru­ng haben“, findet Reif.

„Die Diversität der Geschlecht­er sollte sich auch im Lehrkörper wiederfind­en.“

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FOTO: IMAGO Exot im Grundschul­klassenzim­mer: Männer sind im Lehrkörper deutlich unterreprä­sentiert.

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