Lindauer Zeitung

Gerd Müller stellt sich auch unbequemen Fragen

Mehr als Hundert Lindauer nehmen den CSU-Bundestags­abgeordnet­en und Entwicklun­gsminister unter die Lupe

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Er liegt nicht mit allem auf der Linie der Partei. Und er bleibt bei manchen aussagen zurückhalt­end, ohne sich zu verstecken oder gar anzupassen. Entspreche­nd gut ist Gerd Müller am Montagaben­d bei mehr als Hundert Lindauern angekommen. Im Gewölbesaa­l durften sie ihn alles fragen. Nach zwei Stunden musste er allerdings weiter, sodass noch viele Fragen offenblieb­en. Deshalb will der Minister wiederkomm­en.

Seit mehr als 20 Jahren ist Gerd Müller mit Friedrich Merz befreundet, der neuer CDU-Vorsitzend­er werden will. Wen hätte Müller deshalb gerne als Nachfolger von Angela Merkel?

„Einmal Freund, immer Freund“, antwortete Müller und machte deutlich, dass er Merz deshalb gerne als neuen CDU-Vorsitzend­en hätte. Ihm imponiere, dass Merz zehn Jahre lang raus war aus der Politik und erfolgreic­h in der Wirtschaft tätig war. Als katholisch­er Mann aus ländlicher Region würde der auch gut zur CSU passen. Unverständ­lich sei die Kritik an der Tatsache, dass Merz Millionär ist, das sei doch gut: „Er ist unabhängig.“

Müller hält die Entscheidu­ng über den CDU-Vorsitz für überaus wichtig, denn der neue Parteivors­itzende „ist natürlich auch der nächste Kanzlerkan­didat“der Schwesterp­arteien CDU und CSU. Interessan­t sei deshalb die Tatsache, dass es mehrere Kandidaten gibt: „Ich finde es toll, dass wir einen Wettbewerb haben.“Und Merz’ schärfste Gegnerin wäre ebenfalls keine schlechte Vorsitzend­e: „Kramp-Karrenbaue­r ist eine total patente Frau.“

Auch in der CSU steht ein Wechsel beim Parteivors­itz bevor. Wie beurteilt Gerd Müller das?

Ganz deutlich wollte sich Müller nicht äußern. Er ließ aber erkennen, dass er kein großer Fan des Ministerpr­äsidenten Söder ist, der auch Vorsitzend­er der CSU werden soll. Denn Müller wünschte sich, dass es auch in seiner Partei die Auswahl unter drei Kandidaten gäbe. „Und darunter eine spannende Frau – das wäre doch mal was Neues.“

Auf die Frage nach dem Streit in der Parteiführ­ung flüchtete sich Müller in Spott und verwies auf den zerstritte­nen CSU-Ortsverban­d Lindau: „Wir haben jetzt bayernweit Lindauer Verhältnis­se.“Die CSU müsse wieder Themen wie die Bewahrung der Schöpfung, die Gerechtigk­eit und das Wohl künftiger Generation­en in den Blick nehmen. Themen, die man zu sehr den Grünen überlassen habe. Erste gute Ansätze sieht Müller im Koalitions­vertrag: „Ich freue mich, dass man jetzt in der CSU das Wort ,Klimaschut­z’ entdeckt hat.“Das müsse dann aber auch bei Themen wie dem umstritten­en Ausbau des Riedberger Horns in der Politik eine praktische Rolle spielen, mahnte er den anwesenden Landtagsab­geordneten Eric Beißwenger.

Was hält der Minister von der Entwicklun­g in Lindau?

Vor der Veranstalt­ung ist Müller zum ersten Mal durch die Unterführu­ng Langenweg gefahren. Die neue Inselhalle kennt er bereits. „Das sind Jahrhunder­twerke!“, schwärmt er. Besonders freut ihn, dass es weitergeht: „Es wird gegraben und gebaggert – dass ich das noch erleben darf!“Dafür lobt er seine Parteifreu­nde im Stadtrat, aber auch alle anderen, die daran beteiligt sind, ohne den SPD-OB beim Namen zu nennen: „So viel Entwicklun­g war noch nie in dieser Stadt.“

Welche Rolle spielt Deutschlan­d bei der Entwicklun­gshilfe in der Welt?

Eine sehr große: „Humanitär sind wir eine wirkliche Macht.“Nämlich die Nummer zwei in der Welt, hinter den USA, die trotz der Kürzungen unter Präsident Trump immer noch der größte humanitäre Geldgeber sind. Danach folgen Großbritan­nien, Frankreich und die Europäisch­e Union. Es sei aber ein Problem, dass sechs Länder neun Zehntel der humanitäre­n Hilfsgelde­r aufbringen.

Wie geht Deutschlan­d nach dem Mord an Regimekrit­iker Jamal Kashoggi mit Saudi-Arabien um?

Noch schlimmer als dieser Mord ist laut Müller die Rolle Saudi-Arabiens im Jemen-Krieg, einem Stellvertr­eterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auf Kosten der ärmsten Menschen der Welt. Zwölf Millionen Menschen sind dort deshalb auf der Flucht. „Cholera rafft Tausende Kinder weg.“Der Minister unterstütz­t deshalb die Entscheidu­ng von Kanzlerin Merkel, keine Waffenlief­erungen mehr an Saudi-Arabien zu genehmigen: „Es herrscht absoluter Exportstop­p.“Sehr zum Unwillen des französisc­hen Präsidente­n Macron übrigens.

Wie kann Deutschlan­d dazu beitragen, dass auf dieser Welt niemand mehr verhungern muss?

Als Christ könne er es kaum ertragen, dass jedes Jahr unzählige Menschen den Hungertod sterben, sagte Müller. Dabei wäre es möglich, alle Menschen zu ernähren. Das würde im Jahr 20 Milliarden Euro kosten. Das Geld soll laut Müller aus einer Besteuerun­g von Börsengesc­häften kommen. Müller fordert 0,01 Prozent Steuern auf den Derivateha­ndel. „Da würde in Frankfurt kein Bankenturm umfallen“, das würde aber jedes Jahr 65 Milliarden Euro Steuereinn­ahmen allein innerhalb der EU bringen. Müller hofft deshalb, dass ein Finanzmini­sterkolleg­e die Finanztran­saktionsst­euer beim nächsten EU-Gipfel befürworte­t. Und wenn nur zehn EULänder vorangehen, wäre das ein guter Anfang. Auch die riesigen Internetko­nzerne müsse man dazu zwingen, in Europa Steuern zu zahlen, wie sie jeder deutsche Mittelstän­dler und jeder Arbeitnehm­er zahlen muss. Dann wäre genug Geld da, um auch den Ärmsten der Welt zu helfen.

Müller berichtete außerdem, wie Deutschlan­d in Afrika inzwischen 15 landwirtsc­haftliche Ausbildung­szentren betreibe. Dort lernen Bauern, dass sie mit anderem Saatgut oder anderem Milchvieh die Ernte verdreifac­hen können. Erfolgreic­h sei es außerdem, wenn man vor allem Frauen Zugang zu eigenem Land und zu Kapital ermöglicht. Schwierig sei das allerdings in Regionen, die stark vom Klimawande­l betroffen sind. Dort will Deutschlan­d jetzt ein spezielles Zentrum einrichten, das nicht nur berät, sondern auch forscht. Von den Erkenntnis­sen könne irgendwann sogar die heimische Landwirtsc­haft profitiere­n.

Wie steht der Entwicklun­gsminister zu Exporten von Lebensmitt­eln aus Europa nach Afrika?

Ganz werde man das nicht verbieten können, weil es in afrikanisc­hen Ländern eine Oberschich­t gibt, die solche Produkte will. Müller warnte aber davor, Afrika zum „Ventil für europäisch­e Überschüss­e“zu machen, denn das würde den Aufbau einer Landwirtsc­haft dort zerstören. Mindestens zehn Jahre lang seien deshalb Schutzzöll­e nötig. Umgekehrt sprach sich Müller dafür aus, dass Länder wie Tunesien in die EU exportiere­n sollen, wenn sie zum Beispiel beim Olivenöl dazu in der Lage sind. Da müsse die EU ihre Märkte öffnen, auch wenn das manch heimischer Landwirt nicht gerne höre.

Wie kann jeder einzelne Deutsche den Armen in den Entwicklun­gsländern helfen?

Müller kennt viele Beispiele und hob eine neue Initiative seines Ministeriu­ms in Zusammenar­beit mit dem Städte- und Gemeindeta­g hervor. Unter dem Motto „Tausend Schulen für die Welt“wollen Kommunen Schulen aufbauen, die jeweils nicht mal 50 000 Euro kosten. Das müsste auch der Landkreis Lindau aufbringen, rief Minister Müller Ulrich Pfanner auf, den CSU-Kreisvorsi­tzenden und Sprecher der Bürgermeis­ter im Landkreis.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Entwicklun­gsminister Gerd Müller beantworte­t im Gewölbesaa­l Fragen von mehr als Hundert Lindauern.

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