Fünf Waldrappe büxen aus
Ziehmutter Corinna Esterer kann die seltenen Vögel wieder einfangen – Im Winter nimmt der Zugdrang ab
ÜBERLINGEN/LAGUNA DI ORBETELLO - Die 29 jungen Waldrappe aus Hödingen sind zwar bereits im August in ihrem Winterquartier in der Toskana angekommen. Allerdings müssen die Jungvögel noch lernen, dass sie ihr Ziel schon erreicht haben. Denn offenbar ist der Drang, in den Süden weiterzuziehen, stark: Fünf der Jungvögel büxten aus.
Inzwischen sind sie wieder bei der Gruppe: Ziehmutter Corinna Esterer konnte alle fünf Vögel wieder einfangen und zurückbringen. Zwei Tage lang waren die jungen Waldrappe auf eigene Faust unterwegs, anfangs gemeinsam, später spalteten sich einzelne Vögel von der Gruppe ab. „Vermutlich war die Gruppenmotivation doch nicht so groß“, sagt Corinna Esterer, die die Verfolgung der Vögel mit dem Auto aufnahm. Bis sie sie einfangen konnte, waren sie schon kurz vor Rom. „Wahrscheinlich wären sie immer weiter geflogen“, sagt sie. Dank GPS konnte sie die Tiere orten. Die Sender, die an den Vogelbeinen befestigt sind, funken in einem bestimmten Intervall den aktuellen Standort. „Ich wusste dadurch immer, wo sie ungefähr sind“, sagt sie.
Die Waldrappe einzufangen, war für die Ziehmutter nicht schwer. Sie musste nur warten, bis sie sich hinsetzen und sie dann rufen. Denn die Waldrappe erkennen ihre menschlichen Ziehmütter ihr Leben lang. „Sie waren überglücklich, mich zu sehen“, sagt sie. Die Vögel folgen zwar ihrem Zugdrang, sind aber trotzdem desorientiert. „Sie wissen nicht, wo sie fressen und schlafen können“, erläutert Corinna Esterer.
Dieses Jahr war das Waldrappteam auf solch eine Situation vorbereitet. Die Ziehmütter hatten sicherheitshalber nur eine kleine Gruppe aus der Volière gelassen. Denn vergangenes Jahr waren 14 Waldrappe in Richtung Süden weitergezogen. Nur sechs davon konnten die Ziehmütter wieder einfangen – und zwar auf kleinen Inseln kurz vor Sizilien. Wo die restlichen acht Waldrappe geblieben sind, ist nicht bekannt. Denkbar ist, dass ihnen bei einem langen Flug über das offene Mittelmeer die Kraft ausging. Damit es nicht wieder dazu kommt, haben sie die Vögel dieses Jahr mit GPS-Sendern ausgestattet. „Davor haben wir Datenlogger verwendet, die zwar Daten aufzeichnen, aber nicht senden“, erläutert sie.
Für die fünf Ausreißer ist das Abenteuer zunächst einmal vorbei. Sie mussten zurück in die Volière. Nun wollen die Ziehmütter noch kleinere Gruppen in die Freiheit entlassen. Erst, wenn sich die Neuankömmlinge gut in die Gruppe der freilebenden Waldrappe integriert haben, dürfen die nächsten raus. Das Waldrappteam geht davon aus, dass die Zugmotivation der Vögel zum Jahresende hin abnimmt – und dann die Gefahr, dass sie weiter in Richtung Süden fliegen, gebannt ist.