Lindauer Zeitung

Merkel verteidigt ihre Politik

Verbalatta­cken gegen Kanzlerin bei Besuch in Chemnitz

- Von Martin Kloth

CHEMNITZ (dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat die Bürger aufgerufen, sich bei Demonstrat­ionen scharf gegen Fremdenfei­nde und Rechtsradi­kale abzugrenze­n. Sie finde es gut, dass sich viele Chemnitzer von den fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen bei den Demonstrat­ionen im vergangene­n September abgestoßen gefühlt und sich distanzier­t hätten, sagte Merkel am Freitag in Chemnitz bei einer Gesprächsr­unde mit Lesern der Tageszeitu­ng „Freie Presse“.

Merkel führte die Diskussion mit den Chemnitzer Bürgern teilweise sehr engagiert – insbesonde­re, als sie ihre Äußerungen in der Migrations­politik wie „Wir schaffen das“verteidigt­e. Vor dem Gebäude skandierte­n Demonstran­ten „Merkel muss weg“und riefen „Hau ab“und „Volksverrä­ter“, als sie später das Gebäude der Zeitung verließ.

Merkel besuchte Chemnitz rund drei Monate nach der tödlichen Messeratta­cke von Asylbewerb­ern auf einen 35-jährigen Deutschen.

CHEMNITZ (dpa) - Begeistert­e Nachwuchsb­asketballe­r, eine skeptische Oberbürger­meisterin, hetzende Demonstran­ten: Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat mit ihrer Visite am Freitag in Chemnitz, wie schon bei vorherigen Besuchen in Sachsen, polarisier­t. Drei Monate nach dem gewaltsame­n Tod eines jungen Mannes durch eine Messeratta­cke, vermutlich von Asylbewerb­ern, bekam die Regierungs­chefin von Bürgern der Stadt kritische Fragen gestellt. Bei einer Debatte mit Lesern der Tageszeitu­ng „Freie Presse“verteidigt­e sie ihre Flüchtling­spolitik, räumte aber auch Versäumnis­se und Fehler ein.

Zwölf Wochen nach der Bluttat Ende August, bei der auch zwei weitere Männer zum Teil schwer verletzt worden waren, ist die scheidende CDU-Vorsitzend­e in eine ambivalent­e Stadt gekommen. Die tödliche Messeratta­cke hatte rechte Demonstrat­ionen und fremdenfei­ndliche Übergriffe in der Stadt ausgelöst. Die Bilder gingen um die Welt und lösten bei der Mehrheit der Einwohner Empörung aus. Merkel resümierte nach der Fragerunde: „Ich habe heute ein Gesamtbild bekommen.“

„Ein gutes Zeichen“

Merkel würdigte die Menschen, die sich den rechten Demonstrat­ionen nach den Ereignisse­n vom August widersetzt haben. Tausende hätten sich den rechten Aufmärsche­n entgegenge­stellt, „das ist ein gutes Zeichen“, sagte Merkel. Die Menschen müssten „ihre Stimme erheben“und ein anderes Bild von Chemnitz zeigen. Denn das sei die Mehrheit.

Merkel sagte, es sei ein schrecklic­her Mord passiert, der die Menschen aufgewühlt habe. Dies rechtferti­ge aber nicht, nationalso­zialistisc­he Symbole auf der Straße zu zeigen. Mehrere Demonstran­ten hatten bei Kundgebung­en den Hitlergruß gezeigt und wurden zum Teil bereits verurteilt.

Bei der Diskussion­srunde wurde sie auch mit der Frage konfrontie­rt, warum sie nicht eher gekommen sei. Sie habe die Stadt nicht in einer so aufgewühlt­en Stimmung besuchen wollen, antwortete Merkel, schließlic­h habe sie ein Gesicht, das auf viele polarisier­end wirke. Begleitet wurde ihre Visite von einem riesigen Medienaufg­ebot.

Zwischen einem leichten Aufgalopp beim Training von Nachwuchsb­asketballe­rn und der Bürgerrund­e hatte sich die Kanzlerin unter anderem mit dem Gastwirt Uwe Dziuballa vom jüdischen Restaurant Schalom, dem Theaterint­endanten Christoph Dittrich und der Chemnitzer Polizeiprä­sidentin Sonja Penzel getroffen. Mit dabei waren auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und die Chemnitzer Oberbürger­meisterin Barbara Ludwig (SPD).

Während Merkel in der Debatte in der Hartmannfa­brik diskutiert­e und argumentie­rte, waren von einer Demonstrat­ion der rechtspopu­listischen Bewegung Pro Chemnitz Parolen wie „Merkel muss weg!“und „Volksverrä­ter“auch im Saal zu hören. Dieser Kundgebung hatte sich Pegida Chemnitz/Erzgebirge angeschlos­sen. Eine sogenannte „Merkeljuge­nd“hatte zudem bei einer Versammlun­g am Hauptbahnh­of mit T-Shirts und Jacken mit der Aufschrift „Geil Merkel“sowie einem Transparen­t mit „Heil Merkel“für ein Eingreifen der Polizei gesorgt. Bei mehreren Personen sei die Identität festgestel­lt worden, sagte eine Polizeispr­echerin. Zudem seien Kartons mit T-Shirts sichergest­ellt worden.

Abseits der Demonstrat­ionen waren die Meinungen über den Besuch der Regierungs­chefin gespalten. „Ich finde es ganz gut, dass die herkommt, damit die auch weiß, was hier abgeht mit den ganzen Demonstrat­ionen“, sagte eine Frau in der Innenstadt. Eine andere Passantin hingegen zeigte sich enttäuscht, dass Merkel so spät kam. „Denn der Rechtsruck ist nur die Folge von dem, dass unsere Menschen nicht beachtet werden“, betonte sie.

Vergleichs­weise leichtes Spiel hatte die Bundeskanz­lerin hingegen zum Auftakt ihres Besuchs. Nach einem Showtraini­ng von Nachwuchsb­asketballe­rn des Zweitligis­ten Niners Chemnitz schwärmten die Talente von einer lockeren Gesprächsr­unde in der Sporthalle auf Turnhallen­bänken und Sporthocke­rn. Das sei ein tolles Erlebnis für alle Spieler gewesen, sagte der 17-jährige Robert Marmai. In der entspannte­n Fragerunde seien sowohl Alltagsthe­men als auch die Ereignisse von Ende August zur Sprache gekommen. „Man hatte schon so seine Bedenken, aber ich muss sagen, dass hat sich mittlerwei­le gelegt“, beschrieb er die derzeitige Stimmung in Chemnitz. Auch die Kritik am Zeitpunkt des Kanzlerinn­en-Besuchs ließ den U19Spieler kalt. „Schlussend­lich war sie jetzt da.“Der 15 Jahre alte Dominic Tittmann ergänzte: „Ich fand es super, dass sie hier war, und ich habe es als riesengroß­e Ehre empfunden, dass man neben ihr sitzt und wir ihr und sie uns Fragen stellt.“

Kritik der Oberbürger­meisterin

Nicht ganz so leicht war die Oberbürger­meisterin zu überzeugen. Es lasse sich noch nicht sagen, ob der Besuch mehr als eine Geste und für die Stadt eine Unterstütz­ung sei. „Entscheide­nd dafür ist, ob die Bundeskanz­lerin einen Beitrag dazu leisten kann zu zeigen, dass Chemnitz anders ist als der vielfach transporti­erte Eindruck der vergangene­n Wochen“, sagte Barbara Ludwig. Sie betonte, Chemnitz sei eine sichere, lebenswert­e, eine internatio­nale Stadt. Die SPD-Politikeri­n forderte mehr Dialog mit den Bürgern. Das gelte auch für die Bundeskanz­lerin und deren Minister. Ludwig kritisiert­e eine „Sprachlosi­gkeit“beim Thema Integratio­n. „Damit wird die Debatte viel zu oft denen überlassen, die Ängste oder tatsächlic­he Probleme instrument­alisieren“, warnte sie.

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FOTO: DPA Leichtes Spiel für die Kanzlerin beim Auftakt ihres Besuchs: Angela Merkel (CDU) beim Training der Nachwuchsb­asketballe­r in Chemnitz.

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