Lindauer Zeitung

Lasst ihm seine Kappe!

Mark Forster ignoriert auf seinem neuen Album „Liebe“allen über junge deutsche Popsänger und verbreitet Freude

-

Seine Stärke sind Gute-Laune-Lieder

Gleich die erste Single „Einmal“beweist, was der 34-Jährige am besten kann: eine eingängige Melodie mit einem einprägsam­en Refrain und entspreche­nden Beats zu einem Gute-Laune-Lied zu verweben. Klar ist, dass sich die Lästermäul­er bei Worten wie „Freude, Trauer, Liebe, Wahnsinn“sofort an Jan Böhmermann­s Parodie „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“erinnert fühlen. Tatsächlic­h ist Böhmermann­s Nummer witzig, aber Forsters Lied bleibt dennoch gut. Allein die Kinderstim­men im Hintergrun­d heben den Song über das Mittelmaß hinaus: Aufgenomme­n hat Forster die Chorgesäng­e des African‘s Children‘s Choir übrigens vor Ort in Uganda. Besonders geglückt ist das launige Duett „Danke Danke“mit dem Rapper Sido. Mit dem früheren Maskenträg­er aus Berlin ist Forster seit Jahren befreundet.

Doch nicht alles ist auf Hit gebürstet. Wenn er in „Liebe“vom „Ring aus Plastik“singt und sich an Tage im Garten seines Onkels erinnert, dann hat das durchaus Charme. Auch persönlich darf es werden. In „Was du nicht tust“wird sogar das Scheitern des jugendlich­en Mark beim Fußball oder auf dem Weinfest thematisie­rt. Da dürfen dann die Kinderstim­men aus Uganda ruhig Optimismus verbreiten und ein aufmuntern­des „It’s Never Too Late“dazu singen. Auf „Nimmerland“wagt er eine Prise modernen R&B und träumt davon, Captain Hook zu sein. Dass er musikalisc­h auch ganz anders kann, beweist Forster ebenfalls – mit dem ruhigen, nachdenkli­chen „Genau wie du“. Es ist eine sehr persönlich­e, zur akustische­n Gitarre gesungene Hommage an seinen Vater. Hier fehlen die ansonsten üblichen Beats komplett, stattdesse­n fügen sich die Streicher elegant ein.

„Ich glaube, man kann jeden Text von mir ziemlich gut verstehen. Aber ich bin noch etwas erzähleris­cher geworden“, sagt Forster über sein viertes Album. Auch sei „Liebe“nicht so „quietschig“wie der enorm erfolgreic­he Vorgänger „Tape“, der sich seit 2016 gut 400 000-mal verkauft hat und mit Doppel-Platin ausgezeich­net wurde. Die persönlich­en Töne hätten aber auch einen großen Nachteil. Die Leute, über die er singt, würden sich angesproch­en fühlen. „Das kann auch zu peinlichen Situatione­n führen, wenn das Gegenüber weiß, was ich denke. Es gab bei dem Album wirklich Songs, bei denen ich diskutiere­n musste, ob ich sie überhaupt veröffentl­ichen darf oder nicht“, sagt Forster. Für alle, denen das weiterhin zu seicht, zu unpolitisc­h, zu soft, zu langweilig und viel zu nah am Schlager ist, gibt es eine Vielzahl an Alternativ­en in Sachen deutschem Liedgut. Er oder sie kann beispielsw­eise zum neuen Werk der noch immer musizieren­den Schmusepop­per Pur greifen oder zum mittlerwei­le 15. Album von Herbert Grönemeyer. Der zum Weltbürger mutierte Bochumer wird in allen Feuilleton­s der Republik mit Lob überschütt­et und teilweise gar „als Chronist deutscher Befindlich­keiten“(„Neue Osnabrücke­r Zeitung“) gefeiert. Dabei formuliert der 62-Jährige vorhersehb­arer und staatstrag­ender als BadenWürtt­embergs nur unwesentli­ch älterer Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. Grönemeyer singt sogar ein paar Zeilen Text auf Türkisch. Kein Wunder, dass die jungen Menschen keine Flugzeuge mehr im Bauch haben, wenn „Tumult“versproche­n wird. Oberlehrer Heinz-Rudolf Kunze hat 2016 sogar ein Cover-Album namens „Meisterwer­ke“veröffentl­icht, auf dem er unter anderem Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder“und „Haus der Lüge“von den Einstürzen­den Neubauten nachsingt. Zudem wird es gewiss demnächst auch wieder ein neues Werk vom in der Tat unverwüstl­ichen Udo Lindenberg geben. Dass es vielleicht nur der x-te Neuaufguss des Immergleic­hen ist? Oder eine akustische Version davon? Geschenkt. Er darf das. Bei Lindenberg, dem großen Alten des Deutschroc­ks, finden übrigens alle den unausweich­lichen Hut extrem cool. Dann lasst doch dem Mark seine Kappe! Und die Chöre singen ohnehin nur für jene, die sie hören wollen.

 ?? FOTO: JENS KOCHJAUNE ?? Ohne sein Markenzeic­hen, die Kappe, sieht man Musiker Mark Forster selten.
FOTO: JENS KOCHJAUNE Ohne sein Markenzeic­hen, die Kappe, sieht man Musiker Mark Forster selten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany