Dem Klima zuliebe schnittig durch den Wind
Die Hersteller betreiben immer mehr Aufwand, um den cw-Wert ihrer Autos zu senken
bei höheren Geschwindigkeiten: „Eine Verbesserung des cw-Wertes um 0,01 bedeutet im Prüfzyklus immerhin ein Gramm CO2 weniger“, erläutert Teddy Woll, der bei Mercedes die Aerodynamik-Entwicklung leitet. Im Realbetrieb bringe diese Verbesserung allerdings schon zwei Gramm. Und weil der Einfluss des cw-Wertes mit der Geschwindigkeit steigt, klettert die Einsparung bei Tempo 150 sogar auf fünf Gramm CO2 pro Kilometer, sagt Woll.
Rekordverdächtiges Ergebnis
Das erklärt, weshalb Woll zuletzt mit der Limousine der A-Klasse über mehrere Wochen im Windkanal war – und dabei mit einem besonders gründlich verkleideten Unterboden, speziellen Felgen, strömungsgünstigen Spiegeln und vielen kleinen, kaum sichtbaren Kanten oder Linien ein rekordverdächtiges Ergebnis erzielt hat: Die Stuttgarter feiern das kleine Stufenheck mit einem cwWert von 0,22 als strömungsgünstigstes Serienauto der Welt. Zum Vergleich: Ein G-Klasse-Geländewagen hat etwa 0,5. „Die Reduktion des cw-Wertes um 0,03 Punkte – wie von der fünftürigen A-Klasse zur Limousine – bringt im NEFZ- 2,5, im WLTPZyklus 4,0 und bei konstanter Autobahnfahrt mit 140 km/h 12,0 Gramm CO2 oder einen halben Liter Sprit“, rechtfertigt Woll den Feinschliff im Windkanal.
Allerdings ist der cw-Wert allein nicht aussagekräftig, sondern man muss ihn mit der Stirnfläche des Fahrzeugs multiplizieren, schränkt Woll ein und präsentiert dann überraschende Ergebnisse: Dann ist die A-Klasse in etwa so windschnittig wie ein Radler, der aufrecht auf seinem Hollandrad sitzt.
Auch andere Hersteller machen viel Wind um die Aerodynamik. Audi-Designchef Marc Lichte zum Beispiel war noch nie so oft im Windkanal wie bei der Gestaltung des ersten Elektroautos der Marke. „Der E-Tron ist weniger im Studio als hier im künstlichen Sturm gezeichnet worden“, sagt Lichte mit Blick auf die großen Turbinenräder, mit denen man Windgeschwindigkeiten von weit mehr als 200 km/h erzeugen kann. Wichtig ist das einerseits, weil Passagiere in einem ansonsten stillen E-Auto Windgeräusche als besonders störend empfinden. Und andererseits lässt sich so etwas mehr Reichweite aus der Batterie kitzeln, erläutert der Designchef und verweist auf ein paar Details: So ist der Unterboden nicht nur verkleidet, sondern hat wie ein Golfball zahllose Dellen, die besser für den cw-Wert sind.
Günstige Effizienzsteigerung
Im Gegensatz zu vielen anderen Disziplinen der Effizienzsteigerung hat die Aerodynamik einen entscheidenden Vorteil, sagt Woll: „Es gibt sie quasi zum Nulltarif“. Zwar investieren die Hersteller Millionen in Windkanäle, und die Entwickler sitzen oft monatelang für Simulationen am Rechner. Doch während man zur Gewichtsreduktion teure Materialien braucht und für die Elektrifizierung des Antriebs viel Geld ausgeben muss, kostet eine strömungsgünstige Karosserie im Grunde nicht mehr als eine mit großem Luftwiderstand, sagt Woll. „Hätte man bei der A-Klasse die gleichen zwölf Gramm CO2-Einsparung auf der Autobahnfahrt über das Gewicht erzielen wollen, hätte man dafür 500 Kilogramm aus dem Wagen heraus und viel Geld in die Hand nehmen müssen.“
Das stimmt allerdings nur zum Teil. Denn mit der zunehmenden Bedeutung der Aerodynamik wächst auch ihr Budget, und die Entwickler leisten sich immer öfter sogar aktive Systeme, mit denen der Luftwiderstand beeinflusst werden kann. Jalousien, die nur dann Luft durch den Kühler streifen lassen, wenn der Motor sie wirklich benötigt, sind deshalb mittlerweile weit verbreitet. Und dass viele Oberklasse-Geländewagen eine Luftfederung haben, liegt nicht allein am Komfortgewinn. Sondern auch daran, dass man den Wagen dann auf der Autobahn um ein paar Zentimeter absenken und so die Stirnfläche und mit ihr den Verbrauch reduzieren kann.
Das gilt auch für den neuesten Schrei der Aerodynamiker – den elektronischen Außenspiegel. Bislang vor allem bei Designstudien eingesetzt, montiert Audi nun beim ETron zum ersten Mal in der Großserie Videokameras statt Spiegel – und gewinnt allein über den geringeren Luftwiderstand 35 Kilometer Reichweite.
Mit Feinschliff allein sind große Sprünge beim cw-Wert nicht mehr zu machen, schätzt Designprofessor Fügener. Er glaubt, dass man für radikale Einsparungen auch radikale Formen etwa mit extrem langen Heckkonstruktionen braucht, die aber weder praktisch sind noch zum gängigen Geschmack passen. Doch Woll ist überzeugt, dass die Entwicklung weitergeht: Je größer der Leidensdruck in Sachen CO2 werde, desto weiter werde der Luftwiderstand sinken. „Bis wir die 0,2er-Marke bei einem Serienauto knacken, ist es deshalb nur noch eine Frage der Zeit.“