Lindauer Zeitung

Praktisch auf Augenhöhe

- Von Peter Ilg

nbezahlt Arbeiten und für andere Kaffee kochen: das mussten Praktikant­en vielleicht früher. Heute begegnet man sich auf Augenhöhe, schon aus eigenem Interesse: Die Unternehme­n suchen Absolvente­n mit Berufserfa­hrung. Die wiederum wollen wissen, ob ihnen der Job liegt. Deshalb sind Praktika für beide so wichtig.

Absolvente­n und Berufseins­teiger, die keine praktische­n Erfahrunge­n mitbringen, haben es im Auswahlpro­zess deutlich schwerer als Bewerber mit Praxiserfa­hrung. Zwar wertet ein Fünftel aller Unternehme­n in Deutschlan­d Praktika nicht als Berufserfa­hrung, für 60 Prozent sind sie dennoch eines der wichtigste­n Entscheidu­ngskriteri­en im Auswahlpro­zess. In jedem vierten Unternehme­n kommen Bewerber ohne Praktika nicht in die engere Wahl. Für ein Fünftel der Unternehme­n sind Auslandser­fahrungen wichtig. Zu diesen Erkenntnis­sen kommt die Online-Jobplattfo­rm StepStone in einer Studie mit mehr als 25 000 Fach- und Führungskr­äften, darunter gut 2000 Personaler.

Soviel zu den Fakten. Sie zeigen: Wer praktische Erfahrunge­n während des Studiums sammelt, hat es später bei der Jobsuche leichter. Das ist die Sicht der potenziell­en Arbeitgebe­r. Genauso wichtig sind Praktika für die Absolvente­n selbst, denn sie dienen der berufliche­n Orientieru­ng. Nicht jeder passt in einen Weltkonzer­n oder in ein Industrieu­nternehmen. Doch das findet man nicht in der Theorie, sondern allein in der Praxis in der Arbeitswel­t heraus. Liegt mir die Branche, ist die Aufgabe so, wie ich sie mir vorgestell­t habe oder sollte ich mich besser umorientie­ren? Ein Praktikum kann auf diese entscheide­nden Fragen eindeutige Antworten liefern. Doch Experten mahnen auch zur Vorsicht: „Man sollte allerdings keine Blümchenpr­aktika machen, sondern bewusst ausgewählt­e Karrieresc­hrittchen in Richtung Zielberuf“, sagt Reinhard Scharff, Geschäftsf­ührer der Personalbe­ratung ‚Die Stellenbes­etzer‘ in Stuttgart. Vorpraktik­um müssen die laut Studienord­nung geforderte­n Aufgabenbe­reiche abgedeckt sein. Darauf ist unbedingt zu achten, damit das Praktikum auch anerkannt wird. In vielen Studiengän­gen ist ein Praktikum in Form eines Praxisseme­sters als fixer Studieninh­alt eingeplant. Das hilft dabei, das spätere Aufgabenfe­ld kennenzule­rnen, sich fachlich darauf vorzuberei­ten und Kontakte zu knüpfen, die später ein Türöffner sein können. Wie das Nürnberger Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung in Studien immer wieder herausfind­et, werden die meisten Stellen über persönlich­e Kontakte vergeben. Beziehunge­n, oft als Vitamin B bezeichnet, sind daher wichtig und wertvoll. In manchen Studiengän­gen bietet es sich an, das Praxisseme­ster im Ausland zu absolviere­n. Damit lassen sich Praxiserfa­hrung und Sprachkenn­tnisse kombiniere­n. So wichtig, wie oft vermutet, ist dieser Punkt aber nicht. „Nur jedes elfte Unternehme­n schaut besonders auf Talente, die mehrere Sprachen beherrsche­n“, sagt Dr. Sebastian Dettmers, Geschäftsf­ührer bei StepStone. Praktikum folgt, hängt vom Studiengan­g ab. Eher unwahrsche­inlich ist das bei Ingenieure­n und Informatik­ern, möglich bei Sozial- und Politikwis­senschaftl­ern und häufig im Kultur- und Medienbere­ich. In Nebenjobs und Werkstuden­tentätigke­iten lässt sich das Sammeln praktische­r Erfahrung mit Geld verdienen kombiniere­n. Fast alle Praktikant­en erhalten für ihre Arbeit Geld, im Schnitt sind das 1099 Euro pro Monat, steht im Praktikant­enspiegel der Unternehme­nsberatung Clevis. Seit 2010 sind die Praktikant­engehälter um 400 Euro gestiegen, was mit an der Einführung des Mindestloh­ns für Praktikant­en gilt. Der gilt allerdings nur für freiwillig­e Praktika, die mindestens drei Monate dauern.

 ?? Foto: Franziska Gabbert ??
Foto: Franziska Gabbert
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany