Zwischen digitaler und realer Welt
Rund 300 Besucher machen sich fit in Sachen Medienkompetenz.
LINDAU - Wer geht heutzutage schon freiwillig am Samstag in die Schule? Um rund 300 Menschen in die Mittelschule Reutin zu bekommen – wie jetzt am Samstag – muss schon etwas Besonderes geboten werden. Im Falle der Informationsmesse für Eltern in Sachen Medienkompetenz war das allerdings der Fall.
Das Thema war aber nicht nur für die Eltern und weitere Verwandte interessant, sondern offensichtlich auch für die Kinder und Jugendlichen, denn viele begleiteten ihre Eltern, sei es aus Interesse am Thema oder auch der Vorstellung, mal mit den Eltern an Computer oder Tablet zu spielen. Vielleicht aber auch – böse Unterstellung – um herauszufinden, wie es die Eltern anstellen, dass in manchen Stunden zu Hause keine Chance besteht, ins Internet zu kommen.
Gefahren für den Nachwuchs
Denn zur Medienkompetenz gehört beileibe nicht nur die Fähigkeit, im Internet zu zocken oder zu spielen, sondern auch das Wissen um all die Gefahren, die ein unbeschränktes Internet für den Nachwuchs in sich birgt und mögliche Lösungsansätze, diesen Gefahren rechtzeitig zu begegnen, ohne gleich den Stecker zu ziehen.
Zum zweiten Mal, gleichzeitig zum ersten Mal im Unteren Landkreis, hat der Arbeitskreis Medienkompetenz Landkreis Lindau diese Messe organisiert. Vor einem Jahr mit großem Erfolg in Lindenberg, dieses Jahr also in Lindau, genauer in der Schule Reutin. Nach Schätzungen von Stefan Fürhaupter vom Arbeitskreis waren es locker 300 Besucher, die sich an den Infoständen sowie in den Vorträgen über die Neuen Medien und den besten Umgang damit informierten.
Oberbürgermeister Gerhard Ecker hatte die Schirmherrschaft übernommen, wohl wissend um all die Probleme, die die virtuelle Welt mit sich bringt. „Ich meine, Medienkompetenz muss man lernen“, sagte er bei seiner Begrüßung und befand, dass das Internet und die Neuen Medien per se nicht einfach verteufelt werden dürften, denn sie eröffnen eine ganz neue Welt. In dieser müsse man sich aber auch wie in der realen Welt zurechtfinden. Er betonte aber auch, dass Eltern und Großeltern eine Vorbildfunktion hätten und man das Handy wie auch den Computer auch ausschalten sollte, um miteinander zu reden.
„Sicheres Internet – Privatsphäre und Datenschutz“, unter diesem Titel gaben Vertreter der Telekommunikation der Stadtwerke Lindau Tipps und Hilfestellungen, wie Eltern ihre Kinder vor einschlägigen Internetseiten bewahren können mittels Router-Einstellungen und anderem, um auch dem findigen Nachwuchs so manche Internetfalle zu ersparen. Denn sonst können sie beispielsweise in die Falle von Cyber-Grooming (sexuelle Belästigung), Pornoseiten und Sexting (Versenden von erotischen Selfies via Internet) geraten. Dazu hatte Michael Kröger vom Referat für Sexualpädagogik und Prävention gegen sexuelle Gewalt, Aktion Jugendschutz Bayern, einen Infostand aufgebaut. Über das Recht am eigenen Bild, Urheberrecht und allem, was damit in Zusammenhang steht, informierten die beiden Jugendkontaktbeamten der Polizeiinspektionen Lindau und Lindenberg, Matthias Kaiser und Thomas Walter. Walter hielt auch einen Vortrag zu dem Thema, was im Falle von Missbrauch, illegalem Herunterladen und anderem an Mahngebühren auf die Kinder, beziehungsweise ihre Eltern zukommen kann.
Der Leiter der Suchtfachambulanz Lindau/Lindenberg von der Caritas, Klaus Bilgeri, stand Rede und Antwort an seinem Infostand zum Medienkonsum. Zu Medienkonsum und möglichen Suchtgefahren referierte er auch in einem Vortrag. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland der Prozentsatz der Internetsüchtigen im niedrigen einstelligen Bereich liegen würde, gab er besorgten Eltern ein wenig Entwarnung, empfahl aber, sich mit den Kindern über das zu unterhalten, was sie so im Internet machten: „Wenn Sie von spanischen Dörfern hören, lernen Sie sie kennen!“beschrieb er das bildlich und gab Hinweise, welche Typen von Sucht auftreten könnten. Das sei neben Online-Sex das Chatten auf der Suche nach Bekanntschaften, Glücksspiel, der Onlinehandel, Spiele und die Informationssuche. Im Fall von obsessiver Onlinespielerei stelle sich die Frage, welche Funktion das Spiel für den Anwender habe – also der Grund, warum er spiele. Wenn als Antwort die Regulierung und Verdrängung von unangenehmen Gefühlen stehe, sei durchaus eine Suchtgefahr vorhanden. „Das ist im Grunde das gleiche wie bei Alkoholoder Drogen- und Medikamentensucht“, stellte Bilgeri fest.
Die Eltern zocken mit
Dass Spiele auch Spaß machen können, welche Spiele sich für welches Alter eignen, das konnte bei HansJürgen Palme ausprobiert werden. „Gaming, Zocken – probieren Sie es selber aus“, eine Einladung, der sich vor allem die jüngeren Besucher nicht entziehen konnten. Aber auch Eltern informierten sich gerne, um sich für den Umgang mit ihren Kindern ein wenig zu rüsten.
Christina Mack von der Erziehungsberatungsstelle Lindau gab Empfehlungen, welche Medien in welchem Alter geeignet sind. Denn, wie Ecker eingangs festgestellt hatte, die Neuen Medien dürften nicht einfach verteufelt werden. Man müsse sie kennenlernen, damit auch gefahrlos mit ihnen umgegangen werden könne.
Mit Alternativen zum digitalen Erleben rundete der Kreisjugendring Lindau das Angebot an Infoständen ab. Was unter den Schlagwörtern „WILDesachen, outdoor events & teamtraining“angeboten wurde, setzt kein Smartphone und keinen Computer voraus. Es setzt, im Gegenteil, die analoge Nähe von Mitmenschen voraus.