Neues Walser-Buch
In „Spätdienst“geht es für den Schriftsteller ums Ganze
Einst meinte in grauer Vorzeit der damalige Feuilletonchef der FAZ: „Der Walser ist ein Genie der deutschen Sprache, aber es kommt nichts dabei raus.“Der Mann hieß Friedrich Sieburg und war zu seiner Zeit als Kritiker hochangesehen. Heute kann man sagen: Er hat sich mit seinem Urteil gründlich geirrt. Sieburg ist inzwischen so gut wie vergessen, Martin Walser mit seinen fast 92 Jahren so wach und aufmerksam wie eh und je, schreibt und lebt in einem fort – und hüllt sich in Verse, „als wären es Schutzgewänder, schön, weltabweisend, die Einbildung heißt Aufenthalt“. So präludiert es zu seinem neuesten Werk mit dem offenbar aus der Schichtarbeit stammenden Begriff „Spätdienst“.
Der Dichter in Hochform. Er macht, was er kann: dichten. Keine Altherrenfantasien von steilen Brüsten wie in seinem letzten Bekenntnisroman des vorigen Jahres, sondern eine sorgfältig komponierte Sammlung von traditioneller Dichtkunst, ein Lebenstagebuch mal lyrisch, mal epigrammtisch, den eigenen Werdegang von der Jugend bis ins hohe Alter mit dem Vers begleitend, auch hier dem eigenen Diktum folgend: „Durch Schreiben kann alles schön werden.“
In diesen lyrischen Geständnissen geht es nicht mehr um ein „Leben im Dienst des Rechthabenmüssens“, dem sich Walser so lange Zeit ausgesetzt fühlte. Seinem Tagebuch hat er 1979 anvertraut: „Der Mensch ist ein Dichter. Und wenn er kein Dichter mehr ist, dann ist er auch kein Mensch mehr.“
Das Dichten ist der Humus seines Schreibens, eine Form, der Walser seit seinen Anfängen als Autor frönt. Doch schon am Beginn seines „Spätdienstes“herrscht Abschiedsstimmung: „Wie klingt die Zeit im Gewölbe der Nacht?“Es ist nicht mehr der Querkopf, der sich mit der Freude an der Polemik in jede intellektuelle Schlacht warf, die ihm auf dem Feld der Rechthaberei angeboten wurde.
Mit sich und der Welt im Reinen
In der Lyrik erreicht ein Dichter wie Walser höchste Frequenzen der deutschen Sprache. Walser hat vor zwölf Jahren seinen ersten Gedichtband veröffentlicht – „Das geschundene Tier“. Es waren zwar keine Balladen, sondern Vier-, Fünf-, Sechsoder Achtzeiler, inhaltlich kreisend um „Täuschung und Enttäuschung“des liebenden Schmerzensmannes.
Jetzt in „Spätdienst“geht es ums Ganze: „Widersprüche graben in mir /nach Wahrheit und finden sie nicht./Ich segle solang lustig ins Licht.“Es sind nicht nur Bekenntnisse, in denen von persönlichen Niederlagen die Rede ist. Walser ist es leid, all die Schlachten, denen er sich ausgeliefert hat, noch einmal neu zu schlagen. Den Rezensenten und Kritikern, die er mit seinen vielen Büchern so oft mit Futter versorgt hat, begegnet er jetzt mit einer Altersmilde, die einen Autor zur Kenntlichkeit bringt, der weitgehend mit sich und der Welt im Reinen ist: „Soll ich mich in Sprache kleiden, mit Messern Frieden schließen und Bäume mir ins Knopfloch stecken? Ich soll, glaube ich, lachen und beten.“
Bekenntnis und Stimmung: „Es hängt der Dezember vom Himmel/ langsam eilt der Tag,/abwärts weisen die Zeiger, Stimmung muss sein jetzt.“Alissa Walser, Tochter des Autors, ergänzt mit ihren Arabesken diese Empfindung aufs Schönste.