Jeder kann zur Demokratie beitragen
Andreas Kruse spricht vor dem Verband „Die Familienunternehmer“
LINDAU – Ein glühendes Plädoyer für eine lebendige Demokratie, in der sich jeder nach seinen Fähigkeiten einbringt, hat der renommierte Altersforscher, Demograph und Mitglied des deutschen Ethikrates Andreas Kruse vor den Mitgliedern des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben „Die Familienunternehmer“gehalten. In seinem Vortrag machte er klar, dass Demokratie nur dann tatsächlich funktioniert, wenn der Einzelne seine Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die Natur erkennt und sich einbringt.
„Demokratie ist wichtig, um als Unternehmer langfristig erfolgreich zu sein“, ist Andreas Richtstätter, Regionalvorstand Bodensee-Oberschwaben „Die Familienunternehmer“, überzeugt und hat damit auch gleichzeitig die Frage beantwortet, warum der Verband diesem Thema jenen Vortragsabend, den er alljährlich seinen Mitgliedern bietet, gewidmet hat. Der Verband hat mit Prof. Dr. Andreas Kruse einen fesselnder Redner gewonnen, der die über 100 Mitglieder im Saal des Bayerischen Hofs in den Bann gezogen hat.
Der Altersforscher leitet neben seinen verschiedenen anderen Positionen das Institut für Gerontologie an der Universität Heidelberg und beschäftigt sich sowohl mit Generationen wie auch mit der Bevölkerungsentwicklung. „In diesem Kontext spielt das Thema Demokratie eine große Rolle“, betonte er. Aus seinen Forschungen weiß er, dass Menschen in hohem Lebensalter es als wichtig erachten, sich als Teil von sozialen Beziehungen zu begreifen und in Sorgestrukturen integriert zu sein. Und zwar in beide Richtungen. Mit Kruses Worten gesagt: „Ich muss in einem Umfeld leben, in dem ich Sorge und Unterstützung um mich erlebe und sie wieder zurückgeben kann.“Unterstützung und Solidarität zu geben sei demnach nicht nur für ein erfülltes Leben wichtig, sondern auch für die Demokratie. Und auch für Unternehmen.
Wie aber lässt sich diese Erkenntnis bei Menschen erzeugen, die noch nicht die Weisheit des hohen Alters haben? Etwa durch Bildung, deren Ziel es ist, die Selbstverantwortung wie auch die „Mitverantwortung“zu entwickeln. Denn die Mitverantwortung, das Einsetzen für andere Menschen und damit das Gemeinwohl sei die Grundlage für Demokratie wie auch für das eigene Glück. „Demokratie ist, ein mitverantwortliches Leben zu führen“, betonte er. Während sich Kruse dabei auf den Psychiater Viktor Frankl berief, folgte er dem Philosophen Karl Popper, der die offene Gesellschaft postuliert. „Eine Gesellschaft, die sich nicht im Nationalstaat verliert, sondern über das Nationalstaatliche hinausgeht.“Für Kruse bedeutet dies, dass eine offene Gesellschaft zwar kein Glück verspreche, aber Leiden minimiere. Minimierung von Leiden heißt für Kruse auch, seine eigenen Talente auszubilden, Toleranz, Freiheit und offene Diskussionsstrukturen.
Verweis auf Hannah Arendt
Abgeleitet von Hannah Arendts Forderung nach freien politischen Diskussionen sieht Kruse die Chance für freundschaftliche, respektvolle Diskussion, bei der die Eigeninteressen nebensächlich und die für eine lebendige Demokratie unabdingbar sind, in „offenen Räumen“. Solche offenen Räume, Gestaltungsräume, in denen die Menschen miteinander sprechen, einen lebendigen und konstruktiven Austausch führen können mit dem Ziel, sich und anderen wohl zu tun, indem sie ihre Fähigkeiten einbringen, gelte es einzurichten. Das gelte für Kommunen wie für Unternehmen als auch für Staaten. Die Bürgergesellschaft, die aus diesen Gestaltungsräumen heraus entstehe, übernehme dann mehr und mehr Verantwortung für das Gemeinwohl. Angesichts wachsender sozialer und struktureller Probleme sowie zunehmender autokratischer Regime bestehen für Kruse die demokratischen Herausforderungen darin, eine solche Bürgergesellschaft zu fördern. Und zwar mit Blick auf die Stärkung von Solidarität und Subsidiarität.
„Ich muss in einem Umfeld leben, in dem ich Sorge und Unterstützung um mich erlebe und sie wieder zurückgeben kann.“Andreas Kruse über den Wert sozialer Beziehungen