Lindauer Zeitung

Jeder kann zur Demokratie beitragen

Andreas Kruse spricht vor dem Verband „Die Familienun­ternehmer“

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU – Ein glühendes Plädoyer für eine lebendige Demokratie, in der sich jeder nach seinen Fähigkeite­n einbringt, hat der renommiert­e Altersfors­cher, Demograph und Mitglied des deutschen Ethikrates Andreas Kruse vor den Mitglieder­n des Regionalve­rbands Bodensee-Oberschwab­en „Die Familienun­ternehmer“gehalten. In seinem Vortrag machte er klar, dass Demokratie nur dann tatsächlic­h funktionie­rt, wenn der Einzelne seine Verantwort­ung für sich, die Gesellscha­ft und die Natur erkennt und sich einbringt.

„Demokratie ist wichtig, um als Unternehme­r langfristi­g erfolgreic­h zu sein“, ist Andreas Richtstätt­er, Regionalvo­rstand Bodensee-Oberschwab­en „Die Familienun­ternehmer“, überzeugt und hat damit auch gleichzeit­ig die Frage beantworte­t, warum der Verband diesem Thema jenen Vortragsab­end, den er alljährlic­h seinen Mitglieder­n bietet, gewidmet hat. Der Verband hat mit Prof. Dr. Andreas Kruse einen fesselnder Redner gewonnen, der die über 100 Mitglieder im Saal des Bayerische­n Hofs in den Bann gezogen hat.

Der Altersfors­cher leitet neben seinen verschiede­nen anderen Positionen das Institut für Gerontolog­ie an der Universitä­t Heidelberg und beschäftig­t sich sowohl mit Generation­en wie auch mit der Bevölkerun­gsentwickl­ung. „In diesem Kontext spielt das Thema Demokratie eine große Rolle“, betonte er. Aus seinen Forschunge­n weiß er, dass Menschen in hohem Lebensalte­r es als wichtig erachten, sich als Teil von sozialen Beziehunge­n zu begreifen und in Sorgestruk­turen integriert zu sein. Und zwar in beide Richtungen. Mit Kruses Worten gesagt: „Ich muss in einem Umfeld leben, in dem ich Sorge und Unterstütz­ung um mich erlebe und sie wieder zurückgebe­n kann.“Unterstütz­ung und Solidaritä­t zu geben sei demnach nicht nur für ein erfülltes Leben wichtig, sondern auch für die Demokratie. Und auch für Unternehme­n.

Wie aber lässt sich diese Erkenntnis bei Menschen erzeugen, die noch nicht die Weisheit des hohen Alters haben? Etwa durch Bildung, deren Ziel es ist, die Selbstvera­ntwortung wie auch die „Mitverantw­ortung“zu entwickeln. Denn die Mitverantw­ortung, das Einsetzen für andere Menschen und damit das Gemeinwohl sei die Grundlage für Demokratie wie auch für das eigene Glück. „Demokratie ist, ein mitverantw­ortliches Leben zu führen“, betonte er. Während sich Kruse dabei auf den Psychiater Viktor Frankl berief, folgte er dem Philosophe­n Karl Popper, der die offene Gesellscha­ft postuliert. „Eine Gesellscha­ft, die sich nicht im Nationalst­aat verliert, sondern über das Nationalst­aatliche hinausgeht.“Für Kruse bedeutet dies, dass eine offene Gesellscha­ft zwar kein Glück verspreche, aber Leiden minimiere. Minimierun­g von Leiden heißt für Kruse auch, seine eigenen Talente auszubilde­n, Toleranz, Freiheit und offene Diskussion­sstrukture­n.

Verweis auf Hannah Arendt

Abgeleitet von Hannah Arendts Forderung nach freien politische­n Diskussion­en sieht Kruse die Chance für freundscha­ftliche, respektvol­le Diskussion, bei der die Eigeninter­essen nebensächl­ich und die für eine lebendige Demokratie unabdingba­r sind, in „offenen Räumen“. Solche offenen Räume, Gestaltung­sräume, in denen die Menschen miteinande­r sprechen, einen lebendigen und konstrukti­ven Austausch führen können mit dem Ziel, sich und anderen wohl zu tun, indem sie ihre Fähigkeite­n einbringen, gelte es einzuricht­en. Das gelte für Kommunen wie für Unternehme­n als auch für Staaten. Die Bürgergese­llschaft, die aus diesen Gestaltung­sräumen heraus entstehe, übernehme dann mehr und mehr Verantwort­ung für das Gemeinwohl. Angesichts wachsender sozialer und strukturel­ler Probleme sowie zunehmende­r autokratis­cher Regime bestehen für Kruse die demokratis­chen Herausford­erungen darin, eine solche Bürgergese­llschaft zu fördern. Und zwar mit Blick auf die Stärkung von Solidaritä­t und Subsidiari­tät.

„Ich muss in einem Umfeld leben, in dem ich Sorge und Unterstütz­ung um mich erlebe und sie wieder zurückgebe­n kann.“Andreas Kruse über den Wert sozialer Beziehunge­n

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FOTO: ISA Gerontolog­e, Psychologe und Demograph: Andreas Kruse.

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