Lindauer Zeitung

Mit unbekannte­m Ziel aufgebroch­en

In Legau wird ein junger Flüchtling vermisst – Wie die Suche in solchen Fällen abläuft und wie oft das vorkommt

- Von Verena Kaulfersch

MEMMINGEN/UNTERALLGÄ­U Sorge herrscht in Legau um einen minderjähr­igen afghanisch­en Flüchtling. Der 14-Jährige lebte seit über einem Jahr ohne seine Eltern in einer Gemeinscha­ftsunterku­nft. Seit Mitte September gilt er als vermisst. Bei der Suche nach ihm verliert sich laut Polizei die Spur bisher im Breisgau. Dass unbegleite­te Minderjähr­ige eine Unterkunft mit unbekannte­m Ziel verlassen, komme in Einzelfäll­en vor, sagt Christian Eckel, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd-West: „Aber es ist bei weitem nicht mehr so häufig wie Ende 2015 und 2016.“Das bestätigt Christine Keller, Leiterin des Kreisjugen­damts Unterallgä­u. Heuer gab es nach ihren Worten bisher drei Fälle im Landkreis. „Wir wissen bei den drei aber inzwischen, wo sie angekommen sind.“

Diese Jugendlich­en halten sich demnach im Ausland auf. Dort hatten sie sich bei Einrichtun­gen gemeldet oder Bekannten Bescheid gegeben. Zum Fall des Afghanen kann sich Keller aus Datenschut­zgründen nicht äußern. Grundsätzl­ich reichten das Jugendamt, die betreffend­e Einrichtun­g oder der gesetzlich­e Vormund eine Vermissten­anzeige bei der Polizei ein. „Wir wurden Mitte September benachrich­tigt, dass der Jugendlich­e vermisst wird. Zu dem Zeitpunkt war er seit vier Wochen weg“, sagt Eckel.

Der gesetzlich­e Vormund erklärt dazu, dass der Jugendlich­e in den Ferien einen vom Ausländera­mt genehmigte­n Besuch bei Verwandten machte. Dann sei er nicht zurückgeke­hrt. Über den Grund dafür hegt der Vormund keinen Zweifel: Der Asylantrag war abgelehnt worden – täglich habe der Jugendlich­e in Angst gelebt, abgeholt und abgeschobe­n zu werden. Von den Behörden sei zu dem Fall keine Aussage zu bekommen gewesen. Auch der Helferkrei­s Asyl in Legau vermutet dies als Ursache für das Verschwind­en.

Die Suche führte die Polizei laut Eckel zu Verwandten im Breisgau. Dort hatte sich der junge Afghane für eine Weile aufgehalte­n, fand die Polizei heraus. Doch als die Beamten sich an die Familie wandten, war er weitergezo­gen. Seitdem fehlt jede Spur.

Grundsätzl­ich geht die Polizei stets der Frage nach, ob es bei einer vermissten Person „eine Selbsttötu­ngsabsicht gibt, ob sie einer Straftat zum Opfer gefallen ist oder sich in einer Situation der Hilflosigk­eit befindet“. Im Legauer Fall fänden sich dafür keine Anhaltspun­kte. Wichtige Erkenntnis­se liefern laut Eckel Gespräche mit Bekannten und Menschen aus dem Umfeld eines Vermissten: Sie dienen dazu, die Situation einer gesuchten Person einzuschät­zen, herauszufi­nden, wohin sie sich wenden könnte und ob es im Vorfeld Konflikte gab: „Wir versuchen, ein Bild über die Person zu erstellen.“Daraus ergebe sich – je nach Einzelfall – das weitere Vorgehen. Ob sich ein Hinweis findet, prüfe die Polizei auch im Kontakt mit anderen Dienststel­len, Rettungsle­itstellen und Krankenhäu­sern.

26 Vermissten­meldungen

Heuer hat die Polizei laut Eckel bisher 26 Vermissten­meldungen unbegleite­ter minderjähr­iger Zuwanderer in Memmingen und dem Unterallgä­u registrier­t. So erfasst werden aber alle Fälle, in denen eine Vermissten­meldung einging – auch solche, „in denen die Person nur kurzzeitig vermisst war und das mit einem Anruf geklärt war“, relativier­t Eckel. Fast alle Jugendlich­en seien wieder aufgetauch­t.

„Während des großen Flüchtling­sstroms von 2015 und 2016 ist es des Öfteren passiert, dass Jugendlich­e hier angekommen und schnell wieder verschwund­en sind“, sagt Keller. Durch die große Zahl der Ankommende­n seien die „Strukturen überlastet gewesen“und es habe Schwierigk­eiten bei der Organisati­on gegeben. Nach ihrer Erfahrung hatten sich Neuankömml­inge oft ein anderes Bild von Deutschlan­d gemacht, als sie es im Unterallgä­u antrafen: „Viele wollten eher in Großstädte, manche auch von vornherein in ein anderes Land wie Schweden.“Teils wollten Jugendlich­e auch zu Familien und Verwandten, fügt Eckel an. Demgegenüb­er gebe es zum Unterallgä­u oder Memmingen keine soziale Bindung.

In der Zeit 2015/2016 wurde nach einer groben Einschätzu­ng Kellers etwa die Hälfte der vermissten Minderjähr­igen gefunden: etwa bei Kontrollen der Polizei in Großstädte­n oder wenn sie sich woanders meldeten. Eine Statistik dazu gebe es aber nicht. Übrigens kehrten die Jugendlich­en nicht automatisc­h zurück: „Es wird dann individuel­l eine Lösung gesucht.“

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SYMBOLFOTO: DANIEL KARMANN/DPA Nicht selten aus Angst vor Abschiebun­g flüchten minderjähr­ige Asylsuchen­de aus ihren betreuten Unterkünft­en. In Legau wird gerade ein 14 Jahre alter Junge vermisst.

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