Lindauer Zeitung

Vom Rausch des lautlosen Rasens

Eine Fahrt im Formel-E-Rennwagen bringt den nicht profession­ellen Piloten rasch an seine Grenzen – Saisonstar­t am 15. Dezember

- Von Thomas Geiger

PALMA DE MALLORCA (dpa) - Die Elektromob­ilität macht auch vor dem Motorsport nicht Halt. In nur vier Jahren hat sich die Formel E zu einer ernsthafte­n Rennserie entwickelt, in der immer mehr Hersteller mitmischen. Was man dort am Lenkrad erlebt, hat mit Autofahren allerdings nicht mehr viel zu tun.

Einsteigen, anlassen und losfahren? Von wegen! Wer zum ersten Mal ins Cockpit eines Formel-E-Rennwagens klettert, der braucht zunächst eine Aufwärmgym­nastik, damit er seinen viel zu großen Körper überhaupt in die viel zu enge Carbonröhr­e schlängeln kann. Dann drückt der Renningeni­eur ihm erst einmal eine Bedienungs­anleitung mit einem Dutzend Seiten in die Hand. Das Lenkrad übersät mit Knöpfen und dazwischen digitale Instrument­e, die für den Laien so aussagekrä­ftig sind wie chinesisch­e Schriftzei­chen. Irgendwo am anderen Ende der maßgeschne­iderten Carbonlieg­e die Pedale für Gas und Bremse, die man hier mit beiden Füßen bedient – mit einem normalen Auto hat dieser Rennwagen nichts, überhaupt gar nichts mehr gemein.

Keine Spannungsb­rücke bauen

Das ist bei jedem Formel-Fahrzeug so, bei dem der Fahrer wie in einem Einbaum mittig sitzt und von vier mehr oder minder frei stehenden Rädern umgeben ist. Beim Elektroaut­o kommen noch ein paar Besonderhe­iten dazu. Dass hier zum Beispiel 700 Volt anliegen und man schon aufpassen muss, wo man hinfasst, warnt der Systeminge­nieur. Und dass man bei einer Panne darauf achten sollte, lieber keine Spannungsb­rücke zu bauen und stattdesse­n besser mit beiden Füßen gleichzeit­ig aus dem Wagen zu springen – wenn man sich erst einmal aus dem Hosenträge­rgurt befreit und irgendwie unter dem Überrollbü­gel herausgesc­hält hat, der wie ein Heiligensc­hein um den Fahrer gebaut ist und deshalb den Spitznamen Halo trägt.

In der Leistung normiert

Aber von einer Panne wollen wir hier und heute nichts wissen. Schließlic­h wird der Wagen noch gebraucht. Weitgehend neu entwickelt, bis auf den Motor und dessen Steuerung für alle Teams identisch und in der Leistung ohnehin normiert, sitzen wir im Dienstwage­n des Brasiliane­rs Luca de Grassi, der zusammen mit seinem Teamkolleg­en Daniel Abt vom 15. Dezember an beim Auftaktren­nen der fünften Formel-E-Saison in Riad für Audi die Teamweltme­isterschaf­t verteidige­n will.

Um die Hüften eine Batterie mit 52 kWh, die mit ihren 374 Kilogramm mehr als ein Drittel des Fahrzeugge­wichts ausmacht, dahinter ein E-Motor, der je nach Rennsituat­ion und Reglement zwischen 272 und 340 PS leistet, und vor den Augen ein Rennkurs auf Mallorca, der ähnlich verwinkelt ist wie die Stadtkurse, auf denen die 13 Rennen der nächsten Saison ausgetrage­n werden. Dass die Geraden sehr viel kürzer sind als etwa in der Formel 1 und die Kurven enger – das macht dem elektrisch­en Boliden nichts aus. Weil das maximale Drehmoment beim Elektromot­or vom ersten Augenblick an anliegt, schießt er schneller davon als jeder andere Rennwagen. Und weil die Elektronik die Kraft und das Bremsmomen­t besser verteilen kann, nimmt er die Kehren viel enger. Zumal ein Formel-Rennwagen mit seinen Rennreifen, seiner breiten Spur, seinem geringen Gewicht und seinem tiefen Schwerpunk­t ohnehin jeden Vergleich mit einem normalen Auto gewinnt und so fährt, als wären die Reifen von Pattex und nicht von Michelin.

Zwar ist auch der F05 E-Tron ein Leisetrete­r: Wo sich die Teams sonst anschreien müssen, stört hier nur ein Surren den Funkverkeh­r zwischen Fahrer und Boxencrew. Doch an Emotionen mangelt es ihm nicht: Wenn man in weniger als drei Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleuni­gt, auf einer nicht einmal 200 Meter langen Geraden bald 180 km/h erreicht und den Wagen mit dem eigenwilli­gen Lenkrad enger um die Ecken zirkelt, als man es sich je hätte träumen lassen, dann kann man auf das bisschen Motorsound und Vibratione­n gut verzichten. Denn schon so können die sieben Sinne den Rausch des Rasens kaum verarbeite­n. Und dass der Formel-E-Wagen mit seinen 240 km/h Spitze langsamer ist als viele Serienauto­s, fällt jetzt auch nicht ins Gewicht.

Spannung und Strategie

Dabei ist das hier nur ein leichtes Training. Denn als wären die Fahrzeugbe­herrschung und der Kampf mit den anderen Piloten nicht schon Herausford­erung genug, haben die Macher der Formel-E-Rennserie noch reichlich Spielraum für Spannung und Strategie im Regelwerk gelassen. Zwar reichen die neuen Akkus, die Technologi­epartner McLaren für alle Teams entwickelt hat, jetzt für ein ganzes Rennen, und der Fahrzeugwe­chsel zur Halbzeit entfällt. Doch die Teams dürfen nur mit 70 Prozent der Ladung starten und müssen sich den Rest durch Rekuperati­on beim Bremsen, durch Segeln ohne Motor und durch eine geschickte Taktik dazuverdie­nen.

Und auch die Leistung ist im Feld nicht immer gleich: Die drei beim Publikum beliebtest­en Fahrer bekommen mit dem sogenannte­n Fanboost für einen Überholvor­gang kurzfristi­g 340 PS freigescha­ltet. Jeder Pilot muss einmal im Rennen von der Ideallinie runter und drei Kontaktsch­leifen überfahren, darf dann aber für etwa drei Runden 34 PS mehr nutzen. Und selbst das Ende des Rennens ist offen. Denn gefahren werden immer 45 Minuten und eine Runde, sodass es der Führende in der Hand hat, wie lange der Lauf tatsächlic­h dauert. Rast er nach 44.58 Minuten durchs Ziel, stehen noch zwei Runden aus, will er es kurz machen, verzögert er bis 45.01 – und muss nur noch eine Runde fahren. Kein Wunder also, dass Fahrer und Team unter maximaler Anspannung stehen – selbst wenn Reifenwech­sel oder Tankstopps nicht zur Formel E gehören.

Dass nach einer Renndistan­z die Batterien leer sind, ist ein Segen zumindest für den nicht profession­ellen Fahrer: Dessen Akkus sind nämlich schon viel früher erschöpft. Und zwar so sehr, dass man mitunter nicht einmal mehr alleine aus dem Auto kommt. Gut, dass der Wagen jetzt erst mal 45 Minuten ans Stromnetz muss.

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FOTOS: DPA Kraftvoll: Der Elektromot­or des Rennwagens leistet bis zu 340 PS. Motorenger­äusche sind da verzichtba­r.
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Der Einstieg ist schwer: Testfahrer­n mit normaler Statur gelingt das nicht immer so elegant wie den Formel-Piloten.
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Gewöhnungs­bedürftig: Das Lenkrad des Formel-E-Rennwagens verwirrt den Laien mit einer Flut an Knöpfen und Reglern.

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