Lindauer Zeitung

„Unbeschrei­blich, wozu Menschen fähig sind“

Wilburg und Peter Schneider aus Wasserburg helfen Überlebend­en der Konzentrat­ionslager und Ghettos

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WASSERBURG - Seit Jahren engagieren sich Wilburg und Peter Schneider aus Wasserburg für das Maximilian-Kolbe-Werk – Hilfe für die Überlebend­en der Konzentrat­ionslager und Ghettos. Jetzt erst haben sie einen Begegnungs- und Erholungsa­ufenthalt am Bodensee für zehn Menschen organisier­t, die Ghettos und Internieru­ngslager überlebt haben oder als jüdisches Kind versteckt gehalten wurden. Hildegard Nagler hat mit Wilburg und Peter Schneider über ihr ehrenamtli­ches Engagement gesprochen.

Frau Schneider, Herr Schneider, bei Ihrer ehrenamtli­chen Arbeit erzählen Ihnen die Menschen bisweilen von furchtbare­n Erlebnisse­n. Manche sind so traumatisi­ert, dass sie gar nicht darüber sprechen können. Wie gehen Sie damit um?

Peter Schneider: Wir haben eine Roma-Frau kennengele­rnt. Sie hat uns erzählt, dass sie als Kind zusehen musste, wie ihre im achten Monat schwangere Mutter ihr eigenes Grab schaufeln musste. Dann wurde die Mutter vor ihren Augen erschossen. Der Frau geht es noch heute sehr schlecht. Wilburg Schneider: Es ist unbeschrei­blich, wozu Menschen fähig sind. Wir hören zu, wenn uns KZoder Ghetto-Überlebend­e erzählen, versuchen aber auch das, was uns die Menschen erzählen, nicht zu sehr an uns ranzulasse­n. Würden wir das tun, könnten wir nicht mehr helfen. Peter Schneider: Die Berichte sind sehr belastend. Uns hilft, wenn wir darüber sprechen.

Wie sind Sie zum Maximilian-Kolbe-Werk gekommen?

Wilburg Schneider: 1995 hat Ingrid Kramer aus Wasserburg, die bereits ehrenamtli­ch für das Maximilian­Kolbe-Werk gearbeitet hat, gefragt, ob jemand mithelfen könnte, an einem Begegnungs­abend in Nonnenhorn Überlebend­e des Konzentrat­ionslagers Dachau zu betreuen. Ich war damals Frauenbund-Vorsitzend­e und im Pfarrgemei­nderat und habe spontan Ja gesagt. Allerdings wurde ich, je näher der Abend rückte, zunehmend unsicher. „Wie gehen die Leute mit mir um, was sollte ich reden?“, fragte ich mich. Ich hatte Glück: Ich saß neben einem alten Apotheker aus Posen, der gut Deutsch gesprochen hat. Wir haben uns sofort verstanden und ihn dann zu uns nach Hause eingeladen. Peter Schneider: Ich kenne mich gut in St. Gallen aus und habe für die Gruppe eine Stadtführu­ng gemacht. Ein paar Mitglieder der Gruppe wollten an einem Brunnen, an dem junge Leute gefeiert haben, Wasser trinken. Als die jungen Leute vom Schicksal dieser Menschen gehört haben, waren sie sehr betroffen und haben ihnen spontan Bier angeboten. Daran erinnere ich mich sehr gut. Das waren unsere Anfänge beim Maximilian-Kolbe-Werk.

Wie genau haben Sie sich weiter engagiert?

Wilburg Schneider: Ich habe in Wasserburg gemeinsam mit fünf Wasserburg­er Frauen, die auch beim Frauenbund sind, Kleidung und Bettwäsche für Russland-Transporte zu früheren KZ-Insassen gesammelt. Dann habe ich insgesamt vier Hilfstrans­porte begleitet und die Hilfsgüter vor Ort an die Menschen ausgegeben. Manche von ihnen hat- ten seit damals keine Deutschen mehr gesehen.

Wie wurden und werden Sie aufgenomme­n?

Peter Schneider: Wir besuchen ja auch Überlebend­e der KZ und Ghettos. Nur einmal haben wir erlebt, dass sich jemand bewusst von uns abgewendet hat. Ansonsten ist man uns freundlich begegnet. Eine alte Frau, die vor dem Sterben war, hat uns gesagt: „Ich wusste bis heute gar nicht, dass es auch gute Deutsche gibt.“Das berührt einen schon.

Sie sehen viel Not. Wie können Sie helfen?

Peter Schneider: Einmal wollten wir eine KZ-Überlebend­e in Kattowitz besuchen, die über 90 Jahre alt ist. Als wir geklingelt haben – die Menschen wohnen meist in sehr herunterge­kommenen Häusern in den oberen Stockwerke­n – , hat ihre Tochter aufgemacht. Sie war sehr bleich und man konnte ihr ansehen, dass sie psychisch sehr krank ist – seit 20 Jahren hatte sie das Haus nicht mehr verlassen. Ihre Mutter sagte: „Ich muss für meine Tochter weiterlebe­n.“Wir haben einen Bericht ans Maximilian-Kolbe-Werk geschriebe­n mit Empfehlung­en, wie man den beiden helfen könnte. Wilburg Schneider: Wir erleben immer wieder, dass die Kinder der KZÜberlebe­nden krank sind, in der Psychiatri­e leben, obwohl sie nach dem Krieg zur Welt gekommen sind. Dass diese Menschen noch heute leiden, geht uns sehr nahe.

Bekommen Sie Unterstütz­ung, wenn Sie die Erholungsa­ufenthalte organisier­en?

Peter Schneider: Ja, und darüber sind wir sehr froh. Wenn wir die Überlebend­en an den Bodensee einladen, bekommen wir beispielsw­eise von der Stadt Friedrichs­hafen kostenlose Tickets für das Zeppelin- und Dornier-Museum, auch auf den Pfänder dürfen wir unentgeltl­ich fahren. Der Lindauer Oberbürger­meister Gerhard Ecker hat in diesem Jahr die Gruppe wie selbstvers­tändlich empfangen. In Wangen hatten wir eine Stadtführu­ng gebucht. Als der Stadtführe­r vom Schicksal dieser Menschen erfahren hat, sagte er spontan: „Ich kann kein Geld nehmen.“Auch in Berlin, wo ich jährlich Erholungsa­ufenthalte organisier­e, werde ich glückliche­rweise großzügig unterstütz­t.

Sie investiere­n unglaublic­h viel Zeit für Ihre ehrenamtli­che Arbeit. Sie organisier­en und betreuen nicht nur Aufenthalt­e, sondern gehen mit den Überlebend­en auch in Schulen. Was sind Ihre Beweggründ­e für dieses überdurchs­chnittlich­e und außergewöh­nliche Engagement?

Wilburg Schneider: Als Deutsche haben wir Verantwort­ung. Das ist unsere Motivation. Wir haben oft das Gefühl, dass wir mehr bekommen als wir geben.

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FOTO: HILDEGARD NAGLER Besuch der tschechisc­hen Überlebend­en der Shoa im November bei Oberbürger­meister Gerhard Ecker.

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