Die Schiedsrichter im Parlament
Alexander Hold (Freie Wähler) und Thomas Gehring (Grüne) über ihre Aufgaben im Landtag
ALLGÄU/MÜNCHEN (az) - Alexander Hold (Freie Wähler) und Thomas Gehring (Grüne) freuen sich auf ihre neuen Aufgaben als Vizepräsidenten des bayerischen Landtags. Warum Hold das Kabinett als hochkarätig und Gehring die Handschrift der Freien Wähler als blass einstuft, erzählen sie im Interview mit Markus Raffler.
Herr Hold, man hat Sie im Vorfeld der Kabinettsbildung als möglichen Minister gehandelt. Jetzt sind Sie Landtagsvizepräsident. Sind Sie glücklich mit Ihrer neuen Aufgabe? Hold:
Auf jeden Fall! Das ist eine sehr ehrenvolle und für einen Parlamentsneuling ungewöhnliche Aufgabe mit großer Verantwortung. Die Mitglieder des Landtagspräsidiums sind maßgeblich für den Umgang, den Stil im Parlament verantwortlich. Vom gesamten Landtag in so ein herausgehobenes Amt gewählt zu werden, ist ein großer Vertrauensbeweis. Und als Richter liegt es mir, da vorne zu sitzen und zu moderieren. Man kann fast sagen ( lacht ): Zurück zu den Wurzeln!
Herr Gehring, wie geht es Ihnen mit der neuen Aufgabe? Als parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen hatten Sie in der Fraktion maßgeblich mitzureden. Das ist jetzt vorbei, oder? Gehring:
Nein, warum? Als Landtagsvizepräsident habe ich in der eigenen Fraktion eine herausgehobene Position. Ich freue mich sehr auf dieses neue Amt. Die neue Funktion hat im Parlament großes Gewicht, auch wenn man das von außen nicht immer so wahrnimmt. Der Landtag ist ein Ort, der wie kaum ein anderer für die Volkssouveränität steht. Diese Souveränität zu repräsentieren, ist ein tolles Gefühl.
Welche Aufgaben haben Sie beide genau im Landtag? Hold:
Der Landtagspräsident und seine derzeit fünf Stellvertreter sind gemeinsam mit den 200 Mitarbeitern der Landtagsverwaltung verantwortlich für den Geschäftsgang des Parlaments. Und wir sind Mitglieder in dessen wichtigsten Gremien: im Ältestenrat und im Fraktionsvorstand.
Gehring: Außerdem sind wir Botschafter, die das Parlament nach außen vertreten. Jetzt am Wochenende bin ich erstmals in dieser neuen Rolle unterwegs: In Landshut lege ich bei einer Veranstaltung der Kriegsgräberfürsorge einen Kranz nieder.
Und bei den Sitzungen? Gehring:
Im Parlament werden die Konflikte dieses Landes ausgetragen, da wird diskutiert und gestritten. Als Sitzungsleiter sind wir eine Art Schiedsrichter, die dafür sorgen, dass die Spielregeln eingehalten werden. Die Sitzungsleitung wechselt alle eineinhalb Stunden, da ist jeder Vizepräsident gefordert.
Das Plenum ist nach der jüngsten Wahl nicht nur größer geworden. Es dürfte nach dem Einzug der AfD auch mehr Reibungspunkte geben. Sind Sie auf schwierige Situationen vorbereitet? Gehring:
Man muss ein gemeinsames Gefühl im Präsidium entwickeln: Was gehört zur Kultur des Parlaments, was lässt man laufen, auch bei den Zwischenrufen? Dass es da auch mal deftig zugeht, gehört dazu.
Hold: Ja, aber es gibt klare Grenzen. Entscheidend ist, dass man als sitzungsleitender Präsident sein Handwerkszeug beherrscht. Man muss die Spielregeln, sprich die Geschäftsordnung, kennen. Im Landtag ist alles genau geregelt, bis hin zur minutengenauen Redezeit. Das ist für mich als Neuling eine Herausforderung. Wobei ich nichts davon halte, sich wie ein Bundesliga-Schiedsrichter auf alle Spieler eines Matchs vorzubereiten. Besser ist es, unvoreingenommen auf sein Fingerspitzengefühl zu vertrauen.
Joschka Fischer hat bei einer Bundestagsdebatte 1984 Richard Stücklen den legendären Satz an den Kopf geworfen: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“Wie wäre da Ihre Reaktion ausgefallen? Hold: So etwas geht gar nicht!
Was wäre die Konsequenz? Hold:
Es gibt verschiedene Ordnungsmaßnahmen im Landtag, von der Ermahnung bis zum Sitzungsausschluss. In diesem Fall wäre wohl eine Rüge angemessen.
Was ist mit der politischen Arbeit? Ist die angesichts der neuen Aufgabe überhaupt noch möglich? Gehring:
Natürlich, ich bin ja als Abgeordneter gewählt und werde nach jetzigem Stand auch für die Grünen im Bildungsausschuss sitzen. Aber es stimmt, in der neutralen Rolle des Vizepräsidenten muss man sich vom Abgeordnetenplatz lösen und die Rolle in der Fraktion abstreifen. Das ist nicht immer einfach.
Hold: Bei mir ist es ähnlich. Ich werde voraussichtlich im Ausschuss für Verfassung und Recht mitarbeiten. Über dessen Tisch laufen alle Gesetzesvorlagen. Als Vizepräsident bin ich außerdem Mitglied des Fraktionsvorstands – quasi das Bindeglied zwischen parlamentarischer Arbeit und Fraktion.
Was sagen Sie zur neuen Landesregierung? Kritiker sprechen von einem „Weiter-so-Kabinett“. Gehring:
Beim Blick auf den Koalitionsvertrag habe ich schon das Ge- fühl, dass vieles einfach nur fortgesetzt wird, beispielsweise bei der Energiepolitik. Die Handschrift der Freien Wähler ist sehr blass, teilweise ist sie gar nicht zu lesen. Jünger und weiblicher ist das Kabinett nur auf Seiten der CSU geworden. Hanebüchen ist die jüngste Benennung von acht Regierungsbeauftragten: Erst haben die Freien Wähler gegen das Vorgehen der CSU geklagt, jetzt tragen sie das Ganze mit. Und ich bin neugierig, wie Parteichef Aiwanger den Wechsel vom krachledernen Oppositionspolitiker zum Minister hinkriegt.
Spricht da nicht auch der Frust aus Ihnen, dass die Grünen bei der Wahl das zweitbeste Ergebnis eingefahren haben, bei der Regierungsbildung aber leer ausgegangen sind? Gehring:
Nein, das hat nichts mit Frust zu tun. Wir wären bereit gewesen, mitzuregieren. Für uns wäre es wichtig gewesen, bei vielen Themen für Veränderung zu sorgen. Jetzt aber sehe ich die leider nicht.
Hold: Eine Koalition ist nie ein Wunschkonzert, da muss jede Seite Abstriche machen. Aber darüber, was wir für Familien, in der Bildungspolitik und in Sachen Balance zwischen Städten und ländlichem Raum durchgesetzt haben, müsste Thomas Gehring eigentlich jauchzen. Und dass wir die Rückgängigmachung der Änderung des Alpenplanes durchsetzen, hätte uns wohl niemand zugetraut. Interessanterweise verliert darüber keiner von denen, die das gefordert hatten, ein Wort. Was das Kabinett angeht: Wir haben die Positionen hervorragend besetzt – ohne Quote.
Und was ist mit den acht Staatsbeauftragten, für deren Ernennung die Freien Wähler heftig kritisiert wurden? Hold:
Noch ist niemand ernannt. Im Gegenteil: Wir klagen nach wie vor gegen das Vorgehen der ersten Regierung Söder, am Parlament vorbei Regierungsbeauftragte zu installieren. Was in den letzten Tagen an die Presse gelangt ist, ist nicht mit der Fraktion der Freien Wähler abgestimmt. Wir arbeiten an einem Gesetzentwurf, nach dem alle Beauftragten vom Parlament gewählt werden müssen. Manche sind ja sinnvoll und seit langem etabliert. Trotzdem wollen wir rote Linien einziehen, etwa bei der Anzahl, der personellen Ausstattung und der Vergütung. Ein Beauftragter braucht sicher keinen eigenen Dienstwagen mit Fahrer.
Was können Sie in Ihrer Funktion fürs Allgäu bewegen – was hat Priorität? Gehring:
Wir sind gewählte Abgeordnete dieser Region. Darum werde ich weiter im Allgäu unterwegs sein, um zu erfahren, was die Menschen bewegt. Zentrales Thema ist für mich die Bahnelektrifizierung. Bayern muss ein Programm auflegen, um hier anzuschieben, denn im Verkehrswegeplan ist außer der Strecke München-Memmingen-Lindau nichts enthalten. Hier hoffe ich auf eine Allianz Allgäuer Abgeordneter. Wichtig ist eine Tourismusförderung, die Wertschöpfung, Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit beinhaltet. Beim Alpinzentrum Balderschwang muss man die Fragen stellen: Macht das Konzept fürs ganze Allgäu Sinn? Sind alle einbezogen, die wichtig sind? Gibt es Doppelstrukturen? Nicht zu vergessen den öffentlichen Nahverkehr: Der muss Landesaufgabe werden.
Hold: Die Fortentwicklung der Hochschule ist sehr wichtig. Beim geplanten Tourismuszentrum in Kempten gilt es jetzt, die jüngsten Schwierigkeiten über Ministeriumsgrenzen hinweg zu lösen. Die Bahn hat ebenfalls Priorität. Die Strecke Kempten-Kaufbeuren-Buchloe darf angesichts des Ausbaus der Memminger Strecke nicht ins Hintertreffen geraten. Unsäglich finde ich außerdem, dass die Elektrifizierung der Strecke Oberstdorf-Ulm in den Planungen weit hinten steht. Und natürlich bleibt der ÖPNV ein großes Thema, auch wenn da dicke Bretter zu bohren sind.
Wie lässt sich die neue Aufgabe mit Ihrem übrigen Engagement vereinbaren? Hold:
Stadtrat in Kempten werde ich bleiben, das ist meine politische Basis. Mit meiner Tätigkeit im Fernsehen ist das Abgeordnetenmandat aber nicht kompatibel. Meine Talksendung am Spätabend wird daher bald Geschichte sein.