Den Weg aus der Gewalt finden: Neue Fachkraft hilft Frauen
In Kooperation mit Memmingen und dem Unterallgäu bietet der Kreis Lindau neues Beratungsangebot
LINDAU - „Es braucht viele Schritte, bis sich Gewaltopfer aus ihrer Situation befreien können.“Das ist dem Lindauer Landratsamtsjuristen Tobias Walch und der Gleichstellungsbeauftragten Ursula Sauter-Heiler klar. Künftig finden Betroffene im Kreis Lindau professionelle Hilfe: Eine Fachkraft kümmert sich um sie, informiert über rechtliche Möglichkeiten genauso wie sie für Gewaltopfer auch einen individuellen Sicherheitsplan erstellen kann. Der Ausschuss für Bildung und Soziales hat diese neue Kooperation, die zum Jahreswechsel startet, einstimmig gutgeheißen.
„Direkt nach einer Gewalterfahrung ist die Bereitschaft etwas zu ändern am größten“, schilderte Walch im Sozialausschuss: Das sogenannte Interventionsfenster ist nach seinen Worten nur sehr klein, maximal drei Tage lang. Schaffe man es nicht, die misshandelten Frauen innerhalb dieser Zeit zu aktivieren, dann brauche es bis zu „sieben heftige Eskalationen, bis sich die Frau aus der Gewaltspirale herauslöst“. Für ihn ist deshalb klar: „ Man muss von Gewalt betroffenen Frauen binnen 72 Stunden ein Beratungsangebot machen.“Offenkundig werde Gewalt in erster Linie, wenn die Polizei sie aktenkundig macht. Die Beamten würden dann, das Einverständnis der misshandelten Frau vorausgesetzt, die Fachkraft einschalten.
Walch und Sauter-Heiler ist bewusst: Nur etwa ein Drittel der Frauen will nach einer Gewalttat reden. Ein weiteres Drittel sei nur bereit, schriftliches Info-Material entgegenzunehmen. Und der Rest schotte sich ab.
Über zwei Jahrzehnte lang sind für solche Frauen in erster Linie nur die Ehrenamtlichen des Lindauer Vereins Hilfe für Frauen in Not Ansprechpartner gewesen. Immer wieder haben Kreisräte nachgebohrt, ob im Kreis nicht doch eine hauptamtliche Kraft für dieses schwierige Thema wichtig sei. Auch der Arbeitskreis Wege aus der Gewalt und verschiedene Fachdienste hätten immer wieder den Wunsch geäußert, die Hilfe für solche Frauen zu intensivieren.
Polizei informiert Beraterin über Vorfälle
Nach zwei Jahren Vorarbeit und vielen Gesprächen gibt es nun eine Lösung: In Kooperation mit der Stadt Memmingen und dem Kreis Unterallgäu wird Lindau sich an einem Projekt der „proaktiven Intervention“beteiligen. Das nennt sich „MMUM“und steht unter der Federführung des Memminger Frauenhausvereins. Erhält dieser von der Polizei eine Nachricht zu einer Gewaltanwendung – ob Schläge, Vergewaltigung oder auch Stalking – dann meldet sich die Sozialpädagogin binnen kürzester Zeit telefonisch beim Opfer und vereinbart dann, wenn gewünscht, bis zu drei persönliche Gespräche. Dabei werde sie sich um das aktuelle Befinden kümmern und die Gefährdungslage abklären, aber auch über das Gewaltschutzgesetz und weitere Schutzangebote informieren.
Der Memminger Frauenhausverein sei in dieser Hinsicht sehr erfahren, sagte Walch im Sozialausschuss: Nach seinen Worten betreue diese Einrichtung jährlich zwischen 60 und 70 Frauen. Bisher habe sich der Verein selbst finanzieren müssen. Da mit der Kooperation von Memmingen, Unterallgäu und Lindau der Einsatzumfang steige, erfülle diese Arbeit dann die Vorgaben eines Förderprogramms des Freistaats, erklärte Walch den Kreisräten. Ab Jahresbeginn engagieren sich danach zwei Fachfrauen mit insgesamt knapp zwölf Wochenstunden für das Projekt „MMUM“. Das kostet pro Jahr voraussichtlich 18 500 Euro, von denen 80 Prozent über München finanziert werden könnten. Das restliche Geld müssen Verein, Memmingen und die beiden Landkreise aufbringen.
Dass aus Zeitgründen Landrat Elmar Stegmann den Kooperationsvertrag schon unterzeichnet hat, damit der Förderantrag rechtzeitig ans Sozialministerium abgeschickt werden kann, haben die Lindauer Kreisräte nachträglich einstimmig gebilligt wie auch den Beitritt zum Projekt selbst.