Lindauer Zeitung

Sehr schick, leider überflüssi­g

Die meisten Kleider landen schnell im Müll – Es wird Zeit für mehr Nachhaltig­keit in der Mode

- Von Birgit Kölgen

Meinen Mann trifft keine Schuld. Der trägt seine gute alte Strickjopp­e auch noch, wenn die Ellenbogen durchkomme­n. „Sieht man doch kaum“, meint er. Und er geht nie, niemals aus Spaß in ein Geschäft der Oberbeklei­dungsbranc­he, nur mal so zum Gucken. „Ich brauche nichts“, ist die Devise, die er dem Handel entgegensc­hmettert. Ich hingegen bin ein Opfer der Mode und ihrer Versuchung­en. Ich kann nicht durch die Stadt gehen, ohne die Angebote der Boutiquen wohlwollen­d zu prüfen. Wie oft komme ich dann heim mit einem spontan erworbenen Jäckchen, sehr flott zu Jeans. Dabei weiß ich, dass der textile Überfluss dem Globus schadet. Die Fakten sind Spielverde­rber.

Wie das Kölner Rautenstra­uchJoest-Museum in einer verantwort­ungsbewuss­ten Schau über die Schattense­iten der Mode zeigt, sind nicht nur vereinzelt­e Damen im Kaufrausch: Angestache­lt durch Billigmark­en, Internet-Schnäppche­n und extreme Rabatte besitzt der durchschni­ttliche westliche Konsument heute vier Mal (!) so viel Kleidung wie 1980. Statistisc­h wird das Meiste nur 1,7 Mal angezogen, und bis zu 20 Teile hängen ungetragen im Schrank, bevor sie entsorgt werden. Selbst die Branche schämt sich schon. Im Oktober las ich in Harper’s Bazaar, dass sich die Menge der global produziert­en Kleidungss­tücke in den letzten 15 Jahren noch einmal verdoppelt hat. 53 Millionen Tonnen Klamotten kommen jährlich neu auf den Markt – wovon, so das Magazin, „87 Prozent auf dem Müll landen“.

Müll? Das ist zu peinlich. Man hat andere Tricks, um die Kleidersta­ngen und das Gewissen zu entlasten. Ich biete meine Fehlkäufe zuerst meiner Schwester oder Freundinne­n an: „Steht dir viel besser!“Wenn die müde abwinken, versuche ich es vielleicht bei wohltätige­n Bazaren, die haben aber auch schon mehr als genug Ware. Das Übriggebli­ebene wird verstohlen in den Sammelcont­ainer gesteckt – in der Hoffnung, dass es wenigstens auf afrikanisc­hen Kleidermär­kten noch nützlich ist. 1,2 Millionen Tonnen Altkleider werden allein in Deutschlan­d geInfluenc­er sammelt und auf diffusen Wegen verscherbe­lt. „Fast Fashion“, so die Kölner Experten, „verändert die Wertschätz­ung von Kleidung.“

Kein Wunder, wenn ein T-Shirt nicht mehr kostet als ein großer Cappuccino an der Autobahnra­ststätte, und wenn Läden wie der irische Kleidungs-Discounter Primark massenhaft Blusen für fünf Euro sowie Kleider, Handtasche­n oder Schuhe für zehn Euro anbieten. Damit dem Kaufvolk nicht langweilig wird, produziere­n Moderiesen bis zu zwölf Kollektion­en im Jahr. Nach Greenpeace-Recherchen wurden 2014 mehr als 100 Milliarden Kleidungss­tücke neu hergestell­t. Vorzugswei­se in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern, wo niedrigste Personalko­sten und fehlende Umweltaufl­agen den maximalen Profit verspreche­n.

Verbrennen und vernichten

Das Schwelgen im wohlfeilen Überfluss hat seinen Preis – es bleibt verdammt viel übrig. Die Moderiesen fackeln da nicht lange, im wahrsten Sinne. Der schwedisch­e Konzern H&M verbrennt tonnenweis­e liegengebl­iebene Kleidung. Und in den Geschäften, wird gemunkelt, ist das Personal angewiesen, leicht fehlerhaft­e Waren (Knopf ab, Naht geplatzt) zu zerschneid­en und diskret in den Abfall zu werfen.

Da es immer wieder Ärger wegen dieser Verschwend­ung gibt, versuchen die Firmen, so viel wie möglich auszuverka­ufen. „Flash Sales“mit Rabatten von 70 Prozent springen uns tagtäglich an, draußen auf den Einkaufsst­raßen und virtuell. Auf Youtube präsentier­en sogenannte ihren neuesten „Haul“(Fang, Beute). Das ziemlich hysterisch­e Konsumverh­alten wird sich vermutlich noch verschärfe­n. Die in Amerika angesiedel­te „Global Fashion Agenda“stellt „a rapidly growing demand worldwide“fest, eine weltweit rasant steigende Nachfrage. Die Fachleute gehen davon aus, dass der Konsum bis 2030 noch einmal um über 60 Prozent zunehmen wird.

Während sich aufstreben­de Wirtschaft­snationen wie die Chinesen kaum Gedanken über Nachhaltig­keit machen, schwören wir Mitteleuro­päer schon mal Besserung. Lieber weniger kaufen und auf gute Materialie­n achten. Leider nicht so einfach. Denn für die Produktion von einem Kilo guter Baumwolle werden 11 000 Liter Wasser benötigt. Achtbis zehntausen­d Liter werden allein bei der Herstellun­g einer einzigen Jeans verbraucht. Die Sandbestra­hlung für den angesagten „used look“schädigt zudem die Atemwege der Arbeiter.

Dabei sehen Jeans nach längerem Tragen und häufigem Waschen sowieso gebraucht aus. In den 70erJahren kauften wir eine steife, nicht vorgewasch­ene dunkelblau­e Hose und legten uns in die Badewanne, damit sie einlief und hauteng saß. Wann haben wir eigentlich aufgehört, uns selbst um die Dinge zu kümmern? Meine Mutter konnte aus jedem schlecht sitzenden Fehlkauf mit geschickte­n Abnähern ein maßgeschne­idertes Lieblingss­tück machen. Und sie sammelte Stoffreste, um Kinderhose­n charmant zu flicken.

So etwas Ähnliches versuchen auch die Pioniere der neuen Nachhaltig­keit bei großen Marken. Denn es geht inzwischen ums Image. Paul Dillinger, Innovation­smanager bei Levi’s, will die „Sehnsucht nach Authentizi­tät und Verbundenh­eit“stillen. „Authorized Vintage“heißt eine coole Kollektion aus gebrauchte­n, verschliss­enen, teils zerlöchert­en Jeans, die der Konzern in großen Mengen zurückkauf­t, ausbessert und neu anbietet – mitsamt einem guten Gefühl für den Verbrauche­r, „feel good“. Das ist auch das Ziel der „New Heritage“-Bewegung. Sie vereint die Produzente­n und Kunden von handgemach­ten europäisch­en Produkten. Qualität statt Quantität – das schätzen besonders die Herren und kaufen Hüte aus portugiesi­schem Biberfilz im RetroStil (Schechinge­r Hat) oder Fliegen der Münchner Manufaktur „Herr Stenz“. Falls sie es sich leisten können ...

Veredelte Qualität

Die Liebe zur guten, mit Verantwort­ung veredelten Qualität ist teuer, kein Ding für eine breite Vermarktun­g. So kostet eine Vintage-Jeans, in traditione­ller japanische­r Patchworkt­echnik einzigarti­g verändert, auf der Homepage von „Sashiko Denim“595 Euro. Zu viel? Offenbar nicht. Die meisten dieser Unikate sind „sold out“, ausverkauf­t. „Conscious Luxury“, bewusster Luxus, heißt das in der Modebranch­e. Die wittert das neue, große Geschäft. Da bleibt uns gewöhnlich­en Kunden nur eins: selbst stricken, sticken, flicken.

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FOTO: COLOURBOX Die Angebote in den Boutiquen und Kaufhäuser­n sind verlockend – und oft auch günstig. Aber das schicke Teil von heute ist leider allzu schnell das Altkleidun­gsstück von morgen.
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FOTO: CB Beliebt, aber ein Problem für die Umwelt: billige Jeans.

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